Blutwurst Hausmacherart

Helmut Kohl macht deutlich: Deutschsein bleibt eine biologische Frage

Das völkische Hemd ist der deutschen Regierung immer noch näher als die kapitalistische Jacke. Hätte es noch eines Beweises für diese These bedurft, die Debatte um das Staatsbürgerschaftsrecht hätte ihn in der vergangenen Woche geliefert. Da wurde wie selten zuvor deutlich, wo die Fronten in dieser Frage verlaufen: Zwischen einer Zweckallianz aus Wirtschaft und Antirassisten einerseits und der xenophoben Masse - vertreten durch den ideellen Gesamtdeutschen Helmut Kohl - andererseits.

Da rechnete der Bundesverband der Deutschen Industrie vor, daß die Bundesrepublik jährlich rund 400 000 Einwanderer brauche, um die materielle und technologische Produktivität auf dem derzeitigen Stand zu halten. Norbert Walter vom Vorstand der des ideologischen Antirassismus gewiß unverdächtigen Deutschen Bank bestätigte diese Einschätzung und forderte eine "kontrollierte Einwanderungspolitik". Selbst Vertreter des eher vernunftbegabten Flügels der Union wie der Rechtspolitiker Horst Eylmann setzten sich für eine tendenzielle Abkehr vom Ius Sanguinis ein, dem Blutsprinzip des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts. Eine Reform, so Eylmann, sei "ohne eine zeitlich beschränkte, teilweise Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft für in Deutschland geborene Ausländerkinder nicht machbar".

Doch da ist Helmut Kohl vor: "Dann hätten wir vier, fünf, sechs Millionen Türken", trompetete der Kanzler vor versammelten Jungunionisten - passenderweise auf deren "Deutschlandtag". Auch wenn die aufstrebenden Nachwuchskonservativen sich wenig begeistert zeigten, verstanden sie Kohls Äußerung doch so, wie sie gemeint war: als Disziplinierungsmaßnahme. Seit Fraktionschef Wolfgang Schäuble angefangen hat, sich mit kleinen Ausfällen gegen die Parteilinie zu profilieren (was durchaus in Kohls Kalkül paßt), hat die Stimme des Vorsitzenden in der CDU deutlich an Gewicht verloren (woran ihm nicht gelegen sein kann). Vor dem Parteinachwuchs machte der Chef deutlich: An unserer Linie einer radikalen Ausgrenzung ändert sich kein Deut. Verbale Äußerungen, die daran Zweifel aufkommen lassen, sind schon ärgerlich genug, aber Politik wird daraus keine. Sollte es zu einer Abstimmung über die Frage der Doppelten Staatsbürgerschaft kommen, wird der Fraktionszwang, der die Abgeordneten auf die Parteilinie verpflichtet, nicht wie bei den "Gewissensfragen" Abtreibung und Vergewaltigung in der Ehe aufgehoben.

Das Signal wurde über die Parteigrenzen hinaus verstanden: Sie sei zwar für einen parteiübergreifenden Gruppenantrag zur Duldung der Doppelten Staatsbürgerschaft, kuschte die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP) - aber nicht gegen den Willen der CDU. Die Hoffnung auf einen interfraktionellen Gruppenantrag ist damit so gut wie gestorben; im Moment hat eben der Wahlkampf Vorrang.

Und nach der Wahl, sollte Rot-Grün sie gewinnen? Die SPD-Bekenntnisse zur Doppelten Staatsbürgerschaft klingen nicht gerade euphorisch; insbesondere der voraussichtliche Spitzenkandidat Gerhard Schröder hat sich bis jetzt geradezu auffällig bedeckt gehalten.

Gut möglich, daß uns die alte deutsche Auseinandersetzung zwischen Aufklärung auf der einen Seite und der Blutsideologie auf der anderen, zwischen der Allianz aus Kapitalismus und Humanismus hie und dem völkischen Prinzip da, auch nach 1998 noch erhalten bleibt.