Bossi und Cacciari - die neuen Dogen

Parlamentswahlen in "Padanien". Im Veneto soll jetzt eine "katalanische" Partei gegründet werden
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Zweimal wurden die Bürger Padaniens in diesem Jahr bereits zu den Urnen gerufen. Nachdem im Mai - nach Angaben der Lega Nord - von knapp 30 Prozent der.ca. 25 MillionenWahlberechtigten der einzige Kandidat, der italienische Senator und Lega-Chef Umberto Bossi, zum Staatsoberhaupt gewählt wurde, standen am 26. Oktober die ersten Parlamentswahlen an: Die Auswahl unter den Lega-Klonen reichte von padanischen Katholiken bis zur KP Padaniens - mit regionalen Schmankerln, wie der Liste "Tirol bleibt eins" für die Regionen Trento und Alto Adige. Im nächsten Frühjahr dann soll das Volk über die padanische Verfassung abstimmen. Drei Wahlen in weniger als einem Jahr: "Nicht schlecht", spottete der Corriere della sera, "es scheint zuzugehen wie in Italien auch." (27. Oktober 1997)

Trotz der Beteuerungen der rechten Hand des Präsidenten Bossi, Bobo Maroni, daß Italien durch die Duldung der padanischen Abstimmungen - angefangen bei der Unabhängigkeitserklärung im Oktober 1996 - die Souveränität Padaniens anerkannt habe, fehlen dem neuen Staat nach wie vor die dazugehörigen Gewaltorgane. Zum ersten Mal seit Beginn des padanischen Wahlreigens hat nun Regierungschef Prodi den padanischen Staatspräsidenten an diesen entscheidenden Mangel erinnert: "Gebt euren Manifestationen keine verfassungsfeindliche Bedeutung, sonst wären die Behörden gezwungen zu intervenieren." Eine äußerst moderat gehaltene Mahnung an einen wie Bossi, der eine eigene padanische Miliz unterhält. Von dieser ließ er sein Wahllokal in der südtoskanischen Stadt Grosseto, geschmackvollerweise "Fort Alamo" genannt, das praktisch die derzeitig beanspruchte Südgrenze Padaniens markiert, gegen imaginäre Feinde beschützen.

Und selbst der väterlich erhobene Zeigefinger Prodis war der Führung des Partito democratico della sinsistra (PDS), Mehrheitsfraktion der ehemaligen italienischen KP und mit Abstand größte Partei im Regierungsbündnis L'ulivo, noch zu streng - obwohl die Aktivität der italienischen Behörden sich letztlich darauf beschränkte, in Bologna einen Streifenwagen zum Schutz eines Legalokals vor Autonomen abzustellen. Unisono bemühten sich denn auch Parteichef D'Alema und Innenminister Napolitano am Wahlabend, die Aktivitäten ihres einstigen Lieblings herunterzuspielen: Das einzige, was den beiden zur Kritik einfiel, war, daß die padanischen Wahlen undemokratisch gewesen wären, da ja nur eine einzige Partei in mehreren Kostümen, die Lega nämlich, zur Wahl gestanden hätte. Im selben Atemzug beeilten sie sich, die Forderung des Führers der neofaschistischen Alleanza Nazionale, Fini - der sich wie stets gegenüber seiner hauptsächlich aus dem Süden kommenden Klientel als Retter des Vaterlandes gerierte -, die Lega von den bevorstehenden Provinzwahlen im nordöstlichen Vicenza auszuschließen, abzulehnen. Die Begründung: Die Lega stünde als stärkste Partei in dieser Provinz auch für durchaus legitime Wünsche der dortigen Bevölkerung.

Daß die sezessionistischen, wohlstandschauvinistischen Anwandlungen derer, die sich stammesbewußt als Lombarden oder Venetier definieren, dem PDS nicht kritikwürdig vorkommen, verweist darauf, daß er und die Lega das legitime siamesische Zwillingskind der sogenannten Zweiten Republik darstellen. In D'Alemas eigenen Worten: "Die Lega ist eine unserer Rippen, sie ist die größte Arbeiterpartei des Nordens. Sie hat sehr viel mit der Linken gemein und wir haben eine ähnliche gesellschaftliche Basis."(L'Unitˆ, 8. Mai 1995).

Tatsächlich vereint sie, wie ein Leitartikel von Il manifesto festhielt, ein gewisser "Vulgärmarxismus". Damit umschrieb Manuela Cartosio jenes Bewußtsein des stets (von Rom, von der Mafia etc.) sich betrogen wähnenden arbeitsstolzen Staatsbürgers, das man in den Musterregionen des "roten Gürtels" wie in den subunternehmerischen Schwitzbuden der lombardischen oder piemontesischen fabbrica diffusa in Reinkultur trifft. Ein Bewußtsein, das sich nicht erklären kann, wohin die Früchte der eigenen Arbeit verschwinden, und zur Erklärung dieses Rätsels den angeblich von Räuberbanden beherrschten Zentralstaat ausmacht. Diese - auch von den Bürgerbewegungen Osteuropas geteilte - Projektion, die die Schuldenlast (und damit Abgabenlast) des in die Krise geratenen Sozialstaates nur als individuelle Korruption zu deuten vermag (man erinnere sich an die Schalck-Golodkowski-Hysterie), ist der Geist der Republik der mani pulite, der sauberen Hände, wie sie aus der autoritären Rebellion der Mailänder Staatsanwaltschaft entstand.

Dringendstes Reformanliegen der neuen Republik, die dazu ein eigenes Verfassungsgremium, die Bicamerale, schuf, war und ist somit die Dezentralisierung Italiens. In diesem Projekt des autogoverno (Selbstregierung), das in Deutschland Subsidiarität heißt, verflechten sich unentwirrbar die Krise der "Organisation der Ökonomie und der Organisation des Subjekts" (Pohrt). Die dergestalt irrational-rationelle Notwendigkeit der Senkung der Staatsausgaben mittels Regionalisierung der sozialen Sicherungssysteme und die ebenso irrational-rationelle Kalkulation der Bewohner von Marktgewinnerregionen bestimmen das Liebeswerben des ulivo um die Sezessionisten.

Massimo Cacciari, ehemals prominenter Verfechter der Arbeiterautonomie, heute PDS-Bürgermeister von Venedig, blieb es vorbehalten, diesen doppelten Irrsinn - unter dem schwülstigen Motto der "Versöhnung von Demokratisierung und Identitätsfindung" - sowohl als Buchautor ("Geophilosophie Europas") wie auch als politischer Praktiker zu verkaufen. Letzteres umso eifriger, seit Bossi nach der padanischen Präsidentenwahl seinen Regierungssitz nach Venedig verlegt hat. Venedig wird so zum Terrain des Kampfes um den besseren Regionalismus. Wie der "Philosoph auf dem Bürgermeisterstuhl" sich gegen den häufig mit plumper keltischer Mythologie agitierenden Senator im Wettstreit um die Niederwerfung des "keynesianischen Leviathans Italien" (Bossi) durchsetzen will, verriet er dem Corriere (27. Oktober 1997) in einem Interview: "Venetien riskiert heute, zwischen dem sezessionistischen Abweg und einem ungebrochenem Zentralismus eingequetscht zu werden. Deswegen muß es dringlichst eine eigene föderalistische, autonome und regionale Kraft aufbieten, um sich gegen beide Prozesse zu stellen." Eine Kraft, die Cacciari zusammen mit einem berüchtigten Vorkämpfer des Veneto-Regionalismus, Mario Rigo, unter dem Arbeitstitel "katalanische (!) Partei" zu gründen plant.

Auf die Frage, ob er nicht dort ernten wolle, wo die Lega gesät habe, spricht der vom Klassenkämpfer zum Stammeskrieger mutierte Cacciari Klartext: "Warum nicht? Bei den Legisten gibt es einen moderaten Flügel, der sich nicht an der separatistischen Stichelei beteiligt, und der sich bei uns wiederfinden könnte ... Heute folgen viele Bossi, weil sie keine glaubwürdige alternative Kraft sehen, die ihre Belange mit Überzeugung verträte - angefangen beim fiskalischen Steuerföderalismus." Und aufgehört bei der Regionalisierung der Kranken- und Pensionskassen, sowie der Kommunalisierung der Arbeitslosenversicherung? Mit Cacciari und Blair könnte die Sozialdemokratie den im Diskursjargon so genannten Kampf um die "Definitionshegemonie" gewinnen: Zwangsarbeit heißt tough love, Herrschaft ohne Sozialversicherung autogoverno.