Kein Frieden fürs Öl

Die Vereinten Nationen sehen keine Lösung des Konfliktes in Afghanistan. Die Ölmultis setzen auf die talibanischen Gotteskrieger als Garanten einer eigenartigen Stabilität

Die Pläne liegen längst fertig in irgendwelchen Schubladen: Von Turkmenistan über Afghanistan nach Pakistan soll eine Erdöl-Pipeline gebaut werden, ein Gemeinschaftsprojekt zweier Ölmultis, der saudi-arabischen Delta-Oil und der im US-Staat Kalifornien ansässigen Unocal. Die ertragreichen Ölfelder Turkmenistans sollen so einen Hafenanschluß erhalten, damit sie endlich ausgebeutet werden können.

Die Umsetzung der Pipeline-Pläne ist aber gefährdet, solange die instabile politische Situation in Afghanistan anhält. Das Land, das nach zwei Jahrhunderten Monarchie und 24 Jahren Republik im Oktober zum "Islamischen Emirat" erklärt wurde, will nicht zur Ruhe kommen. Seit April 1978, als der damaligen Sowjetunion nahestehende Militärs putschten, befindet sich Afghanistan im permanenten Kriegszustand. Selbst die Vereinten Nationen (UN) erklärten am 30. Oktober, eine Lösung des Konfliktes sei derzeit nicht in Sicht. Der deutsche UN-Beauftragte Norbert Holl in Afghanistan will seine Mission zum Jahresende abbrechen und ist damit der vierte gescheiterte Vermittler der UN seit fünf Jahren.

Staatschef Mullah Mohammad Omar, der zugleich den Titel Emir al-Momineen trägt, bemüht sich, den Eindruck politischer Stabilität zu vermitteln. Als Führer der Taliban ("Theologiestudenten") regiert er die von ihm kontrollierten Gebiete, rund zwei Drittel des Landes, streng nach islamisch-fundamentalistischen Grundsätzen. Kaum waren seine Truppen im September letzten Jahres in der Hauptstadt Kabul einmarschiert, wurde die Scharia - der Sittenkodex des Islam - als allgemeingültig eingeführt. Auf den Straßen der von den Taliban beherrschten Region dürfen sich Frauen nur noch verschleiert bewegen, der Zugang zu Krankenhäusern ist ihnen seit dem 6.September grundsätzlich untersagt, damit keine "zufälligen Kontakte" zu männlichem Klinikpersonal entstehen können. Ein Besuch von Schule oder Universität kommt für sie ebenfalls nicht in Frage. Zur Durchsetzung der Scharia sind Prügelstrafen an der Tagesordnung.

Traditionell gelten 99 Prozent der Afghanen als Muslime, und bis zur Verkündung der Republik im Jahre 1973 war neben dem säkulären parallel auch immer das islamische Recht in Kraft. Die Demokratische Volkspartei Afghanistans (DVPA) wußte schon, warum sie kaum die Frauenrechtlerin Anahita Ratibzad aus der Regierung drängte, um Frauenfragen fortan ans Erziehungsministerium zu delegieren. Auch die sowjetische Tageszeitung Prawda bemühte sich am 27. Juli 1979 als "Erfindungen der propagandistischen Dienste des Westens und der rektionären Kreise mancher Nachbarstaaten" abzutun, daß die afghanische Regierung Rechte gläubiger Muslime verletze.

War Afghanistan ein islamisch geprägtes Land, blieb der religiöse Fundamentalismus hingegen bis Ende der siebziger Jahre nahezu unbedeutend. Erst mit dem "Heiligen Krieg" gegen die DVPA und deren militärische Unterstützung aus der Sowjetunion erlebte er seinen gesellschaftlichen Aufschwung. Dies ist zum Teil darin begründet, daß die Islamisten einerseits von den USA und Pakistan als Machtfaktor gegen die Sowjetarmee aufgebaut wurden, andererseits aber auch die DVPA partiell mit ihnen kooperierte, um andere Oppositionsgruppen auszuschalten.

Die bisherige Unterlegenheit gegenüber dem Westen wurde von den islamistischen Führern der Abwendung von der Religion zugeschrieben. Mit diesem modernisierten Islam-Bild gelang es den Fundamentalisten im Gegensatz zur DVPA oder der maoistisch geprägten Shola-e Jamid (ewige Flamme), die Anfang der siebziger Jahre mehrfach die Kabuler Universität durch Streiks lahmgelegt hatte, insbesondere unter der Landbevölkerung Sympathien zu erlangen. Die Rückbesinnung auf die Religion über alle Klassen- und Nationengrenzen hinweg lag dieser näher als die marxistisch-leninistischen Theorien der Studenten, zumal über neun Zehntel der Landbevölkerung Analphabeten waren.

Auch die Feudalherren des Landes konnten sich eher mit einem politischen Islamismus anfreunden als mit den Plänen zur Enteignung und Kollektivierung ihrer Landgüter. So gehörte mit Sayyid Ahmad Gilani ein Großgrundbesitzer und Freund des früheren - 1973 gestürzten - afghanischen Königs Zahir Shah zur ersten Generation der islamistischen Vordenker, die sich schnell zum wichtigen Machtfaktor entwickeln sollten.

Allerdings kann der afghanische Islamismus nicht als monolithischer Block betrachtet werden. Im Jahr 1980 wurde zwar der Versuch einer einheitlichen "Islamischen Allianz" unternommen, der alle Moslem-Größen des Landes angehörten: neben Gilani, dessen Verbündeten Burhanuddin Rabbani auch der spätere Ministerpräsident Gulbuddin Hekmatyar und sein hartnäckiger Konkurrent Ahmed Schah Massud sowie der mächtige Rebellenführer Abdulrab Rasul Sayyaf. Doch das Bündnis-Projekt, das angeblich insbesondere von CIA und dem pakistanischen Geheimdienst ISI angekurbelt worden sein soll, brach binnen weniger Monate wieder auseinander. Während des militärischen Kampfes gegen die "ungläubigen" Rotarmisten beharkten sich die verfeindeten Fraktionen nicht nur mit Worten, sondern auch mit Waffen. Am 15. Februar 1989 wurde die sowjetische Armee abgezogen. Als die religiösen Krieger drei Jahre später die Hauptstadt einnahmen und den kommunistischen Landeschef Mohammad Najibullah stürzten, brachen diese Konflikte in ihrer vollen Schärfe aus.

Die inner-islamische Auseinandersetzung zwischen Schiiten und Sunniten spielt dabei allerdings eine unbedeutende Rolle. Letztere stellen mit über 90 Prozent die klare Mehrheit unter den afghanischen Moslems, auch wenn die Schiiten 1993 darauf beharrten, mittlerweile gehöre über ein Viertel der Bevölkerung ihrer Glaubensrichtung an. Die Konfliktlinie verläuft vielmehr entlang sogenannter ethnischer Grenzen, ist die Bevölkerung des Landes doch sehr heterogen. Eine Mobilität zwischen den durch feudale Strukturen geprägten verschiedenen Gruppen gibt es jedoch so gut wie gar nicht.

An dieser Stelle setzte 1992 der offene Kampf islamistischer Gruppen untereinander an. Mit Burhanuddin Rabbani wurde nicht nur ein erfolgreicher Warlord gegen die Truppen der UdSSR und Najibullahs, sondern auch ein Vertreter der tadschikischen Bevölkerungsgruppe zum Präsidenten der "Islamischen Republik Afghanistan" ernannt. Die Tadschiken stellen ein knappes Viertel der Afghanen und bewohnen hauptsächlich den Norden des Landes. Von der größten und einflußreichsten Bevölkerungsgruppe im Staat, den Paschtunen, werden sie nur als "Fersiwan" (Persischsprachige) bezeichnet. Die im Süden ansässigen Paschtunen weigerten sich von Beginn an, Rabbani als Staatsoberhaupt zu akzeptieren. Auch die DVPA hatte 1980 versucht, mit nationalistischen Kampagnen gegen die Hazara-Minderheit, die Paschtunen für sich zu gewinnen. Nachdem sich 1992 und 1993 erst Gulbuddin Hekmatyar als Frontmann der Paschtunen aufspielte, gelten mittlerweile die Taliban als Vertretung dieser Gruppe.

Unterstützt werden die Koranstudenten dabei von Pakistan, das wirtschaftliche Interessen im nördlichen Nachbarstaat verfolgt. Sollte die geplanten Öl- und Gasleitungen durch Afghanistan zustande kommen, könnte das islamisch regierte Pakistan zum Verladehafen ausgebaut werden. Auf derselben Seite stehen auch Saudi-Arabien und die USA, die zum einen als politischer Arm der Ölfirmen agieren, andererseits ein Interesse daran haben, den iranischen Einfluß in der Region zu schwächen. Denn wenn nicht über Afghanistan und Pakistan, könnte das flüssige und gasförmige Gold nur noch durch den Iran zum Indischen Ozean gelangen. Die Islamische Republik verfolgt natürlich eigene Absichten und fördert gezielt die schiitischen Hazara.

Partiell decken sich die iranischen Interessen mit denen Rußlands und Usbekistans, die von Norden her das Geschehen in Afghanistan zu beinflussen versuchen. Schon 1980 hatte Sakin Begmatowa, Außenministerin der damaligen kirgisischen Sowjetrepublik, die heutigen Interessen Rußlands klar benannt, als sie das Eingreifen der Roten Armee damit begründete, daß die "Plage" des Islamismus "auch auf unser Gebiet hätte übergreifen können".

Der Usbekengeneral Raschid Dostam - bis 1992 an der Seite Najibullahs kämpfend, um dann mal die eine, mal die andere islamische Fraktion zu unterstützen - fürchtete hingegen, seine Bevölkerungsgruppe würde unter der Herrschaft der Taliban zu leiden haben. Nicht weiter verwunderlich also, daß Dostam sich mit den Hazara und von Ahmed Schah Massud angeführten Islamisten zur sogenannten Nordallianz gegen die Taliban verbündet hat.

Für die Ölkonzerne Delta-Oil und Unocal aber ist ein Fortgang des Bürgerkrieges wenig wünschenswert. Ist die schönste Pipeline doch wenig ertragreich, wenn sie ständig von Panzern oder Boden-Boden-Raketen bedroht ist. Wie Le Monde diplomatique bereits vor einem Jahr berichtete, rechnet der Unocal-Vizechef Chris Taggart jedoch fest damit, daß die Taliban sich durchsetzen und von Washington dann problemlos anerkannt würden. Als Transitland ist Afghanistan, selbst arm an Bodenschätzen, außerdem nicht nur für die Unocal attraktiv. Auch die Erdöl-Vorkommen aus dem direkt nördlich liegenden Kasachstan, die sich das US-Unternehmen Chevron bereits vertraglich gesichert hat, bräuchten noch dringend eine Hafen-Anbindung.