Ludger Volmer

»Wir wollen diese Eindeutigkeit nicht«

"Lechts und rinks", heißt es seit Ernst Jandl, "kann man nicht velwechsern". Kann man aber doch, wenn man sich die wirtschaftspolitschen Programmentwürfe linker und rechter Bündnisgrüner ansieht, deren Vorstellungen von Mittelstandspolitik sich bis in die Formulierungen gleichen: Mitte September legte der Bundesvorstand einen Programmentwurf für die Bundestagswahl vor, der von der Parteirechten unm Joseph Fischer sogleich als "dürftig" und "Traumtänzerei" unter Beschuß genommen wurde. Vergangene Woche zog Fischers Freund Tom Koenigs mit einem eigenen wirtschaftspolitischen Papier nach. Ludger Volmer, Jahrgang 1952, ist Gründungsmitglied der Grünen. Von 1990 bis 1994 war er Bundesvorstandsprecher der Partei, heute sitzt er - wie schon Ende der achtziger Jahre - für sie im Bundestag. Ludger Volmer ist Mitglied des "Babelsberger Kreises", in dem sich Angehörige der bündnisgrünen Parteilinken zusammengeschlossen haben.

"Zwischen dem wirtschaftspolitischen Programmentwurf des bündnisgrünen Bundesvorstands und dem Wirtschaftsprogramm, das Tom Koenigs vom rechten Parteiflügel vorgelegt hat, kann ich wenig Unterschiede erkennen: Beide orientieren auf einen ãinnovativen Mittelstand".

Die beiden Texte unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt: Die Programmvorlage des Bundesvorstandes läßt sich nicht auf Mittelstandsförderung reduzieren, während der Gegenentwurf von Tom Koenigs mittelständische Klientelpolitik beschreibt. Die Programmvorlage geht völlig zu Recht davon aus, daß sich Grüne auch um die Entwicklung der Wirtschaft kümmern müssen, und da setzen wir auf die kleineren und mittleren Unternehmen, aber wir reduzieren die Wirtschaftspolitik nicht darauf. Wir haben ein sehr breites Kapitel zur Beschäftigungspolitik, denn wir halten die existenzsichernde Erwerbsmöglichkeit für eine der Zielsetzungen, die Wirtschaftspolitik erreichen muß, und nicht für ein nachgeordnetes Problem, das über die Sozialpolitik zu erledigen wäre. Und erst recht sind wir nicht der Ansicht, die Tom Koenigs äußert, daß es ausreicht, wenn den Menschen ermöglicht wird, einige Stunden pro Woche zu arbeiten.

... unabhängig vom Entgelt. Aber ist Tom Koenigs nicht viel eindeutiger als der Vorstand, wenn er sagt: Hier ist unsere Klientel, auf die orientieren wir uns?

Wir wollen diese Eindeutigkeit nicht, weil die Grünen nicht in diesem Sinne eindeutig eine Mittelstandspartei sind. Wir werden zwar zum großen Teil von Leuten gewählt, die soziologisch der Mittelschicht angehören, das heißt aber nicht, daß sie politisch in der Mitte stehen, und das heißt auch nicht, daß sie ökonomisch nur die eigenen Klientelinteressen befriedigen wollen.

Sie gehen also davon aus, daß die Klientel der Grünen der altruistische Mittelstand ist?

Das sind sehr grobe Kategorien, die Sie da anwenden. Bei uns ist unter anderem der Teil der Mittelschichten versammelt, der anders als die FDP-Wählerschaft nicht nur auf den eigenen Vorteil achtet, sondern ein funktionierendes Gesamtsystem will, in dem die Zielsetzungen ökologische Nachhaltigkeit und Erwerbsfähigkeit für alle gewährleistet werden.

Der Mittelstand hat aber objektive Interessen, die nicht unbedingt zu den Inhalten linker Politik passen. Wie lange wird sich halten, was bei den Grünen an linken Positionen übrig ist, wenn sie hauptsächlich auf diese Wähler orientieren?

Wir orientieren ja nicht auf diese Schicht. Wir nehmen nur zur Kenntnis, daß diese Leute uns bevorzugt wählen. Das heißt aber nicht, daß wir deren ökonomische Interessen im engeren Sinne verwirklichen; eine solche Analyse würde ich für vulgärmarxistisch halten.

Sie verwirklichen also deren ökonomische Interessen im weiteren Sinne?

Uns geht es darum, daß ökologische Nachhaltigkeit und eine Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit ins Zentrum der Wirtschaftspolitik gerückt werden. Diese Politik kann nicht mehr zurückgreifen auf die Modelle der siebziger Jahre, die keynesianischen Modelle der Sozialdemokratie. Und auch der Neoliberalismus der Konservativen ist gescheitert. Er hat die Probleme nur verschärft und hat zu einer Umverteilung von unten nach oben geführt. Allerdings ist jede linke Wirtschaftspolitik mit dem Phänomen der Globalisierung konfrontiert. Was passiert, wenn man dem ohne funktionierende Mechanismen ausgesetzt wird, das haben wir in den vergangenen Jahren in Ostdeutschland erlebt.

Am vergangenen Wochenende hat der Luxemburger Beschäftigungsgipfel der europäischen Grünen die Einführung eines sogenannten Non-Profit-Sektors gefordert; Koenigs fordert, ãmehr Gemeinwohlverantwortung in Wirtschaft und Gesellschaft zu verlagern: Tritt nun der Kommunitarismus als neuer Hoffnungsträger in Erscheinung?

Das kann man dem Non-Profit-Sektor des Luxemburger Gipfels nicht vorwerfen. Der geht vielmehr davon aus, daß viel Arbeit vorhanden ist, die aber von der gewerblichen Wirtschaft oft nicht profitabel aufgenommen werden kann, so daß die Wirtschaft die Finger davon läßt. Wir suchen nun nach Wirtschaftsmodellen, diese Arbeit jenseits von kommunitaristischer Selbsthilfe-Orientierung - also subsidiärer Arbeit ohne Lohn und ohne Sozialleistung - zu bewältigen. Wir knüpfen damit an Experimente an, die die linke Alternativbewegung schon zu Beginn der achtziger Jahre im kleinen Stil eingeführt hat.

Ist es nicht eine zu einfache Rechnung zu sagen, durch mehr Innovationsfirmen schaffen wir größere Mengen von Arbeitsplätzen? Mit Innovationen werden ja vor allem Arbeitsplätze wegrationalisiert.

Wir vereinseitigen das ja nicht wie Koenigs, der die gesamte Wirtschaftsförderung auf das Instrumentarium zurückschneidet, das auch die FDP benutzt; ergänzt um einige soziale und ökologische Kategorien. Wir meinen, daß die Massenarbeitslosigkeit nur durch ein ganzes Bündel von Maßnahmen bekämpft werden kann: Wir brauchen mehr und neue Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt, das heißt, man muß Unternehmenspolitik betreiben. Wir brauchen einen zweiten Arbeitsmarkt für diejenigen, die im ersten nicht unterkommen. Entscheidend aber sind Arbeitszeitsverkürzung und Arbeitsumverteilung. Wir brauchen einen völlig neuen Begriff von Arbeit, weil wir davon ausgehen, daß die klassische Erwerbsbiographie, bei der der Mann ein Leben lang 40 Stunden arbeitet und die Frau am Herd steht, erstens nicht mehr umsetzbar und zweitens auch nicht wünschenswert ist. Das heißt, wir brauchen für gebrochene Erwerbsbiographien flankierende Maßnahmen, etwa durch das Steuerrecht, durch die Arbeitszeitgesetzgebung, durch einen Umbau des Sozialsystems, wir brauchen auf der internationalen Ebene eine flankierende Politik, etwa eine gesamteuropäische Arbeitsmarktpolitik und einer Besteuerung von spekulativem Kapital, das sich der produktiven Anlage entzieht und nur im Stile des Kasinokapitalismus auf den Kapitalmärkten zocken geht. Nur alle diese Elemente - und noch einige mehr - werden dazu führen, daß die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Wer da sagt, er habe einen Koenigsweg, der ist ein Scharlatan.

Aber kaum einer der Punkte, die Sie genannt haben, wird bei Tom Koenigs auf Widerspruch stoßen. In der Wirtschaftspolitik liegt doch der Unterschied zwischen Realos und Linken nur noch in der Gewichtung.

Das wäre ja schön, dann würden wir unser Wirtschaftprogramm fast einstimmig verabschieden.

Werden Sie das nicht?

Ja, doch, ich gehe schon davon aus. Tom Koenigs spricht in seinem Papier einige interessante Mechanismen an, von denen ich meine, daß man sie in ein Programm aufnehmen sollte. Nur die Reduktion auf Deregulierung, auf Investitionsförderung, auf Risikokapital für kleinere und mittlere Unternehmen, die halte ich für zu kurz gegriffen. Aber als einzelne Elemente in einem größeren Set von Maßnahmen sind fast alle sinnvoll.

Was sind konkret die interessanten Mechanismen in Koenigs Papier?

Die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen durch ãChancenkapitalÒ, wie er das nennt, durch weniger Bürokratie bei der Existenzgründung, das ist im Grunde fast ein grüner Klassiker. Dann der ganze Bereich der Forschungsförderung und der Innovationsförderung. Was ich aber falsch fände, wäre nun die gesamte Wirtschaft auf die Exportförderung und auf den Weltmarkt zu orientieren.

Als der Programmentwurf vorgestellt wurde, galt die Wirtschaft neben der Außen- und Verteidigungspolitik als einer der kontroversesten Punkte. Nach großer Kontroverse sieht es jetzt ja nicht aus.

Das wäre nur dann kontrovers, wenn einige Parteifreunde meinten, wir müßten die grüne Wirtschaftspolitik so umschreiben, daß auf uns das Etikett "grüne FDP" wirklich zutrifft. Wenn wir aber an unseren Wert- und Zielsetzungen - nämlich Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, und nachhaltiges Wirtschaften - festhalten, dann wird das alles nicht kontrovers. Man kann Fachdispute führen über einzelne Mechanismen, aber letztlich werden wir uns doch mit großen Mehrheiten verständigen.

Werden Sie sich auch in Koalitionsverhandlungen mit der SPD verständigen?

Auf der einen Seite wissen wir, in Koalitionsverhandlungen bekommen wir keine Programme pur durch, auf der anderen Seite haben wir viele negative Entwicklungen auf der Landesebene immer nur deshalb geschluckt, weil wir sagten, wir müssen die strategische Perspektive im Bund im Auge haben. Das heißt aber auch, im Bund muß sich einiges in unserem Sinne verbessern, weil sich sonst die Veranstaltung nicht lohnt, und die Grünen dann ihre gesellschaftliche Funktion als Hoffnungsträger verspielen.

Könnten Koalitionsverhandlungen an der Wirtschaftspolitik scheitern?

Ja, ich halte dieses Gebiet für das schwierigste bei Koalitionsverhandlungen, während ich davon ausgehe, daß die Außenpolitik - allen öffentlichen Spekulationen zum Trotz - kein Knackpunkt sein wird und daran kein Bruch eintreten wird. Die Wirtschaftspolitik halte ich dagegen für das entscheidende Thema. Als Nordrhein-Westfale würde ich sagen: Auf Bundesebene lauern mindestens zehn Garzweiler.