»Wir haben uns aus dem Fenster gehängt«
Sie haben Gerhard Schröder soeben auf dem SPD-Parteitag vorgeschlagen, gemeinsam durch die Berufsschulen zu tingeln, um für die Ausbildungsplatzabgabe zu werben. Er hat lauthals gelacht. Können Sie sich trotzdem vorstellen, das mit ihm zu machen?
Wenn er dazu bereit ist, sofort.
Wird er denn bereit sein?
Abwarten.
Das klingt etwas reserviert, so reserviert wie dieser ganze Parteitag. Man hat den Eindruck, wegen der leidigen Kandidatenfrage gibt es so gut wie keine inhaltliche Auseinandersetzung.
Das ist eine Unterstellung. Die Parteilinke und ich - wir haben uns wirklich aus dem Fenster gehängt für das Zukunftsinvestitionsprogramm (ZIP), das hier sehr kritisch gesehen wird und für die Arbeitszeitverkürzungsoffensive. Ich habe aber keine Lust darauf, daß alle Inhalte immer nur auf die Personalfrage reduziert werden.
Wenn das Personal nicht mitmacht, dann werden sich aber auch bestimmte Inhalte kaum durchsetzen lassen. Zum Beispiel die Ausbildungsplatzabgabe.
Aber Gerhard Schröder hat doch heute eingeschwenkt. Er hat gesagt, er unterstützt das jetzt auch.
Aber er hat dazu gesagt, "Genossinnen und Genossen, ihr wißt, daß ich da anderer Meinung bin". Damit hat er gezielt seine eigene Glaubwürdigkeit in dieser Frage demontiert. Sie glauben trotzdem, daß er Sie unterstützen wird?
Ich hoffe es.
Von Parteilinken hört man viele Klagen über diesen Parteitag: Man sei hier nur zum Abklatschen, bis zur Kandidatenkür nach der Niedersachsen-Wahl werde es jetzt wohl noch ein Vierteljahr inhaltliche Lähmung geben. Teilen Sie diese Ansicht?
Nein, ich habe die Entscheidung immer richtig gefunden, die Debatte über die Kanzlerkandidaten-Frage erst im nächsten März zu führen. Das einzige, was ich daran kritisieren würde ist, daß sehr feudal entschieden wird: Zwischen zwei Männern und so, daß man gar keine großen Eingriffsmöglichkeiten mehr hat. Das ist das Problem. Ich sehe es aber nicht so, daß wir jetzt inhaltlich gelähmt wären: Wir haben mit unserem Umweltantrag das Öko-ZIP durchgeboxt; es hat eine gute Auseinandersetzung um den Leitantrag zur Innovationspolitik gegeben. Aus meiner Sicht ergeben sich hier noch eine ganze Menge von Möglichkeiten für die Wahlprogramm-Debatte, die in den nächsten Monaten ansteht. Wir werden, hoffe ich, die Möglichkeiten haben, hier noch eine ganze Reihe konkreter Projekte zu verankern.
Solange die nicht die neugefundene innerparteiliche Harmonie gefährden.
Natürlich ist das hier ein Parteitag, der ganz stark davon geprägt ist, daß wir es jetzt wissen wollen, daß wir jetzt diese Bundesregierung ablösen wollen. Es ist aber nicht aufgesetzt, daß die Genossinnen und Genossen jetzt insgesamt den Streit - sowohl um Personen als auch um Themen - möglichst herunterkochen wollen. Das ist nichts, was nur von oben kommt, sondern das haben auch die Mehrzahl der Delegierten hier so empfunden.
Einige Programmpunkte, um die man in einer anderen Situation sicherlich mehr gestritten hätte, sind aber ziemlich glatt durchgegangen - Stichwort Bundeswehreinsätze.
Ja, das ist richtig. Es gibt wie gesagt durchaus eine Bereitschaft, die grundsätzlichen Konflikte nicht bis aufs Messer auszutragen. Trotzdem hat es hier eine ganze Reihe von spannenden Kontroversen gegeben. So beispielsweise auch die Debatte zu dem Großen Lauschangriff.
Es gibt doch auch eine Bereitschaft derjenigen, die jetzt das Oberwasser haben - der Parteimitte und der Parteirechten also -, diese Situation auszunützen.
Es ist richtig, daß sich der rechte Parteiflügel hier ganz stabil gezeigt hat. Das hat man auch bei den Wahlen zum Parteivorstand gesehen: Da wurden die ganzen Linken nach unten durchgereicht. Wesentliche strukturelle Veränderungen des Gefüges in der SPD sind das aber nicht.
An den ersten beiden Tagen des Parteitags sind die Proteste der Studierenden hereingeschwappt. Am Mittwoch sprachen drei Studierenden-Vertreter zum Parteitag; darunter einer von den Juso-Hochschulgruppen, der wie die beiden anderen die SPD ziemlich scharf angegriffen hat. Man hatte nicht den Eindruck, daß die SPD so richtig darauf vorbereitet war, das aufzufangen.
Wir haben versucht, deutlich zu machen, daß wir als SPD uns nicht einfach dem Protest der Studenten anschließen können. Man muß dann schon sagen, wo die Kohle für mehr Bildungsinvestitionen überhaupt herkommen soll. Deswegen sagen wir ja, wir brauchen auch öffentliche Investitionen, die man durch Subventionsumschichtung, aber möglicherweise auch durch Kreditaufnahme mit Rückzahlungsverpflichtungen bereitstellen muß. Insoweit stellt sich die Frage, wie die SPD jetzt mit diesen Protesten weiter umgeht.
Der zweite Bereich betrifft die Strukturreform. Die Studenten haben ein Moratorium beim Hochschulrahmengesetz eingefordert, damit sie die Möglichkeit haben, in dieses Gesetz mit ihren Vorstellungen noch reinzukommen, da auch mitzudiskutieren, damit das nicht nur eine Angelegenheit ist, die im Bundestag in irgendwelchen Ausschüssen behandelt wird. Diese Forderung ist hier knapp gescheitert. Das wird sicherlich dazu führen, daß es schwer wird am jetzigen Hochschulrahmengesetz viel zu ändern, was ich sehr bedauere. Auch beim Bafög haben die Studierenden präzise Möglichkeiten vorgetragen; da sehe ich allerdings die Möglichkeit, innerhalb der SPD durchaus noch Änderungen im Sinne der Studierenden durchzusetzen. Gut war, daß die SPD sich klar gegen Studiengebühren ausgesprochen hat.
Mehrfach wurde die Forderung laut, sich dem mit den Koalitionsparteien gefundenen Kompromiß zum Hochschulrahmengesetz zu verweigern und dann in zehn Monaten, wenn man an der Regierung sein werde, ein sozialdemokratisches Gesetz vorzulegen.
Das ist eine prinzipielle Möglichkeit. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das jetzt, nachdem die Verhandlungen so weit fortgeschritten sind, überhaupt noch möglich ist.
Im Bundesrat hätte die SPD ja jetzt schon die Möglichkeit, solche Dinge zu stoppen.
Sie wird sicherlich versuchen, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Aber wenn es keine Einigung gibt, geht das Gesetz vom Bundesrat zurück in den Bundestag, wo dann wieder die Koalition die Mehrheit hat. Man kann hier also praktisch nur eine Verzögerungswirkung erreichen.
Rund 1,8 Millionen Studierende in der BRD stehen momentan ziemlich geschlossen hinter dem Protest. Das sind ja auch Stimmen, die wahlentscheidend sein können.
Das ist richtig. Das wichtigste ist aber, daß durch die Studentenproteste überhaupt wieder Bewegung in diese Gesellschaft reingekommen ist. Es gibt offene Unmutsartikulationen, Betroffenheiten werden öffentlich ausagiert: Das ist eine politische Aktion, die der gesamten bildungspolitischen Debatte den notwendigen Kick gegeben hat. Plötzlich sind die Hochschulen wieder überall in der Diskussion, nachdem sie jahrelang nur ein Randthema gewesen waren. Das finde ich sehr gut. Und ich hoffe, daß andere gesellschaftliche Gruppen, die hier in den letzten 15 Jahren deutliche Dämpfer bekommen haben, es ähnlich wie die Studenten machen. Wir brauchen einen Wechsel. Wir brauchen aber auch, wenn wir eine rot-grüne Bundesregierung haben, Druck, um den Politikwechsel zu organisieren. Deswegen ist es ganz wichtig, daß diese Proteste da sind und daß die Protestierenden versuchen, ihre Forderungen durchzusetzen und sich nicht mit lauen Kompromissen zufriedenzugeben.
Wenn die SPD hofft, von einem Klima des Protestes zu profitieren, das in der Folge der Studentenproteste entstehen könnte, dann sollte sie die Leute an den Unis aber nicht verprellen, etwa mit einem allzu weichen Agieren gegenüber der Koalition beim Hochschulrahmengesetz.
Es wäre gut, wenn es die SPD ganz konkret schaffen würde, in der Hochschulrahmengesetz-Debatte die Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Studenten zu verbessern, die Einführung von Studiengebühren und mehr Leistungsdruck zu verhindern. Die Verhandlungskommission wird das versuchen.
Es ist ja nicht so, daß sich die Sozialdemokraten prinzipiell inhaltlich gegen diese Studentenbewegung positioniert haben. Die SPD hat kein Interesse daran, daß sich hier eine gesellschaftliche Bewegung gegen sie wendet, zumal die Finanzmisere der Länder und Kommunen auf das Konto von Waigel und Kohl gehen.