Michael Fürst

Eine Armee ist nie links

Die Bundeswehr - ein brauner Sumpf? Zu den Konsequenzen aus den Nazi-Skandalen in der Truppe äußert sich Michael Fürst vom Zentralrat der Juden. Fürst, Jahrgang 1947, gehört diesem Gremium seit 1980 an und ist für Kontakte zur Bundeswehr zuständig. Sein Vater überlebte das KZ Riga, dessen Eltern wurden dort ermordet. Fürst ist Rechtsanwalt und Notar und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Hannover.

Die Häufung rechtsradikaler Vorkommnisse in der Bundeswehr hat sicherlich die Juden nicht unberührt gelassen.

Eine gewisse Sorge hat das alles schon ausgelöst. Spontan denken die meisten Juden bis heute: Die Bundeswehr ist eine repressive Institution und hat irgend etwas mit der Wehrmacht zu tun. So hat mich zum Beispiel eine jüdische Studiendirektorin, also eine gebildete Frau, vor einiger Zeit einmal gefragt, wie sie ihren Sohn vom Dienst in der "Wehrmacht" freibekommen könne. Sie sagte tatsächlich Wehrmacht - als ob Bundeswehr und Wehrmacht dasselbe seien.

Und Sie sehen das anders?

Nun, eine Armee ist nie links, die Armee ist in jedem Land konservativer als der gesellschaftliche Schnitt, das gilt auch für andere Machtinstrumente wie Polizei und Grenzschutz. Ich kam 1966 als Zwanzigjähriger zur Bundeswehr und verpflichtete mich als Zeitsoldat auf zwei Jahre. Damals kamen die ersten nachkriegsgeborenen Juden ins wehrdienstfähige Alter, aber ich kenne nur noch einen, der zum Bund gehen wollte. Vielleicht war ich unbefangener, weil ich aus einem deutschstämmigen Elternhaus komme, was eine große Seltenheit in der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland ist - die meisten sind ja osteuropäische Juden und nach dem Holocaust hier zurückgeblieben. Für mich war es also selbstverständlich, zur Bundeswehr zu gehen, ich habe nicht einmal darüber nachgedacht. Ich bin heute Leutnant der Reserve, habe allerdings keine Wehrübungen mehr gemacht.

Waren Sie in der Truppe mit Antisemitismus konfrontiert?

Eigentlich nicht. Das Thema Religion ist bei der Bundeswehr kein Thema. Mit einer einzigen Ausnahme, es muß 1967/68 gewesen sein. Da hat sich auf einem Fähnrichlehrgang der Lehrgangsleiter, ein Hauptmann, mir gegenüber explizit und wortwörtlich als "Antisemit" bekannt. Er habe nichts gegen mich persönlich, wohl aber "gegen das internationale Judentum", das habe ihm und seinen Verwandten in den damals deutschen Ostgebieten "das Leben zur Hölle gemacht". Ich erstattete Meldung, gemeinsam mit besagtem Hauptmann, der Vorgesetzte war entsetzt und hat ihn angeschrien, nach kurzer Zeit wurde er strafversetzt. Damals war das eine sehr ermutigende Reaktion für mich. Als ich mich vor kurzem aber nach dem weiteren Werdegang des Herrn erkundigte, mußte ich feststellen, daß er schließlich doch ganz normal weiterbefördert worden ist. Der antisemitische Vorfall hat nicht zu seiner Entlassung geführt, noch nicht einmal zu einem Karriereknick. Das ist mir dann doch unverständlich.

In den letzten Jahren wurden engere Kontakte zwischen dem Zentralrat und der Bundeswehr angebahnt.

Wir mußten uns erst etwa 1988 wieder mit der Thematik befassen. Damals liefen die Erlasse aus, die die Kindergeneration der Holocaust-Opfer ohne weitere Formalitäten vom Wehrdienst zurückstellten, wenn ein entsprechender Antrag gestellt wurde. Nun ging es um die Enkelgeneration - wir erreichten in Verhandlungen, daß die Regelung fortgeschrieben wurde. Trotzdem wuchs die Zahl jüdischer Rekruten. Vor diesem Hintergrund brachten dann die Medien 1995 die Frage auf: "Braucht die Bundeswehr einen Militärrabbiner?" Ich führte für den Zentralrat die Gespräche mit der Bundeswehr, ob Juden in Garnisonsstädten Dienst leisten können, wo es auch eine jüdische Gemeinde gibt, wir sprachen über eine Änderung des Bundesurlaubsgesetzes, damit jüdische Feiertage Berücksichtigung finden, Fragen des Kaschrut wurden erörtert. Hier ist einiges in Bewegung gekommen.

Aber nach den jetzt bekanntgewordenen Vorfällen können Sie doch den Annäherungskurs nicht ohne weiteres fortsetzen, oder?

Wir hatten zu diskutieren und zu prüfen. Offensichtlich gibt es immer noch einen Unterschied zur Armee in anderen Staaten: In Schweden verfolgen die Soldaten über U-Boot-Fotoelektronik barbusige Badenixen, in Deutschland filmen sie Exekutionen und feiern den Führergeburtstag. Was wäre, wenn irgendwann in nächster Zeit ein Video auftaucht, in dem Wehrpflichtige "Juden vergasen" spielen? Können wir Juden uns dann beruhigt zurücklehnen und unseren Müttern und Großmüttern immer noch sagen: Eure Erinnerungen täuschen euch - wir haben 1998, nicht 1933 oder 1945?

Andererseits erkenne ich bislang nur Einzelfälle, noch keine Tendenz. Was den Eindruck einer rechten Tendenz in der Bundeswehr, einer Rechtsentwicklung der Armee, erweckt, ist die Berichterstattung: Vorfälle, die sich auf etliche Jahre verteilen, kommen jetzt paketweise an die Öffentlichkeit. Doch die Frequenz dieser Vorfälle hat nicht zugenommen, es sind konstant einige wenige pro Jahr.

Aber daß die Bundeswehrführungsakademie einen verurteilten Rechtsterroristen wie Roeder zum Vortrag einlädt, ist doch kein Vorfall unter anderen - das ist doch wirklich eine neue Qualität!

Das ist tatsächlich ein ganz anders zu bewertender Fall. Wie können hochgestellte Offiziere übersehen oder nicht wissen, wer da eingeladen wurde? Das ist keine einfache Dummheit. Problematisch ist auch, daß das Vortragsthema - die Germanisierung Rußlands - keinen Anstoß erregte.

Vor diesem Hintergrund ist es falsch, wenn Rühe der Bundeswehr sein "vollstes Vertrauen" ausspricht. Und wenn er von seinen Offizieren "Zivilcourage" fordert - sie sollen solche Vorkommnisse melden -, so ist das auch befremdlich: Dazu gehört keine "Zivilcourage" - wir leben doch nicht in einem totalitären Staat! -, sondern nur ein Minimum an demokratisch-republikanischer Gesinnung, an Verfassungstreue.

Sie haben in der Jüdischen Allgemeinen dafür plädiert, den Weg der Annäherung an die Bundeswehr fortzusetzen. Wäre es, selbst im Sinne Ihres Zieles einer demokratisch-republikanischen Armee, nicht besser zu sagen: Wir brechen die Brücken ab, wenn die Hardthöhe den braunen Sumpf nicht trockenlegt?

Minister Rühe bemüht sich ehrlich, das nehme ich ihm ab, und ich kenne ihn seit vielen Jahren persönlich. Und die Verbindungen abzubrechen - was soll das bringen? Die Bundeswehr ist Bestandteil dieses Staates. Wer etwas verbessern oder korrigieren will, muß dabei sein und darf nicht beiseite stehen.

Wie könnte eine solche Korrektur aussehen?

Notwendig wäre ein Ausschuß, der aus einem gesellschaftlich pluralen und fachlich kompetenten Spektrum besteht und die Bundeswehr dabei berät, wie man rechten Strömungen den Boden entzieht, welche Veränderungen etwa für den politischen Unterricht in der Truppe und für die Innere Führung anzustreben sind.

Könnte der jetzt eingesetzte Bundestags-Untersuchungsausschuß eine solche Rolle spielen?

Leider nein. Ein solcher pädagogisch-gesellschaftspolitischer Ausschuß müßte langfristig angelegt werden, mit dem Bundestags-Untersuchungsschuß wird hingegen auf den schnellen Effekt für die Bundestagswahl spekuliert. Die Parteien wollen sich dort gegeneinander profilieren, anstatt gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Die Grünen kritisieren, daß Ausschußvorsitzender ein CSU-Bundestagsabgeordneter geworden ist ...

... der sich dafür ausgesprochen hat, eine Bundeswehrkaserne nach dem Nazi-General Dietl zu benennen. Das ist wirklich nicht glücklich. Andererseits entspricht die Nominierung des CSU-Mannes den Ausschußregularien. Man kann das nicht formal angreifen. Man kann sich nur wundern.