Jägerbataillon im Wahlkampf

Rühes neue Strategie gegen Image-Verluste: Öffentliche Gelöbnisse in Lüneburg, Celle, Hamburg und Berlin

Es ist schon imposant, wie sich allein die Idee eines Gelöbnisses in Berlin über Nacht zu einer mittleren Staatsaffäre inklusive Kanzlermachtwort auswachsen kann. Ein Zufall aber ist das nicht. Als Verteidigungsminister Volker Rühe Anfang Januar bei der alljährlichen CSU-Klausur in Wildbad Kreuth zu Gast war, wollte er provozieren. Nachdem ihn über Monate Enthüllungen über rechtsradikale Soldaten in seiner Bundeswehr bedrängt hatten, mußte er wohl zeigen, wie ein Verteidigungsminister auch in hoffnungsloser Lage die Initiative wieder an sich ziehen kann. Und so warf er von den Bergen Köder in die Ebene.

Zum ersten wünschte er sich mehr Linke in die Bundeswehr. Sozusagen als Gegengewicht für die Jungnazis, die er bislang stets als Einzeltäter klassifiziert hatte. Dafür wollte er sogar mit teuer bezahlten Anzeigen in den letzten linken Presseorganen werben. Sinn für schwarzen Humor hat der Hamburger damit bewiesen. Auch wenn diese Aktion letztlich wohl zeigen soll, daß die Roten nur meckern, aber nichts für eine echte Volksarmee tun wollen, wurde sie bisher nur von Comedy-Sendungen und Kabarettisten als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ernst genommen. Der zweite Schlag aber sollte - im nachhinein gesehen - besser landen. Um ein besonderes Signal der demokratischen Gesinnung der Bundeswehr zu setzen, wollte Volker Rühe "wahrscheinlich" am 13. August ein öffentliches Gelöbnis von Rekruten vor dem Roten Rathaus in Berlin veranstalten. Doch als Vorschlag oder Angebot war das nicht gemeint. Eher als feststehender Beschluß. Schließlich hat die Bundeswehr nach Angaben des Berliner Senatssprechers Michael-Andreas Butz bereits letzten Herbst bei der Senatskanzlei angefragt, ob man ein öffentliches Gelöbnis am 13. August 1998 in der Stadt zelebrieren könne. Im Dezember dann sollen sich der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen und Verteidigungsminister Volker Rühe über Termin und Ort endgültig verständigt haben. Was Volker Rühe in Oberbayern öffentlich machte, war somit eher eine von langer Hand vorbereitete Kampfansage.

Und die politischen Gegner in Berlin reagierten genau so, wie es Rühe noch vom 31. Mai 1996 in Erinnerung hatte. Beim ersten öffentlichen Gelöbnis in Berlin hatten vor dem Charlottenburger Schloß weit über 1 000 Bundeswehrgegner mit "Mörder-Mörder"- Rufen und einem Trillerpfeifenkonzert gegen die Militarisierung der Stadt demonstriert. 500 durchbrachen die Absperrungen. Die mit mehreren tausend Beamten vorgehende Polizei setzte Wasserwerfer ein und nahm 18 Demonstranten vorläufig fest. Prozesse liefen bis ins letzte Jahr.

Zuvor hatte die von SPD und Grünen dominierte Bezirksverwaltung im Charlottenburger Rathaus versucht, die Veranstaltung zu verhindern, indem entsprechende Genehmigungen verweigert wurden. Erst ein Machtwort des Senats setzte das Gelöbnis zum 40. Gründungstag der Bundeswehr durch. Auch wenn Eberhard Diepgen im Mai 1996 vor 300 angetretenen Rekruten des Jägerbataillons 581 und eines Panzerbataillons aus Brück behauptete, daß die Bundeswehr nun auf Straßen und Plätzen wieder "heimisch" geworden sei, nicht mehr in Kasernen versteckt werden müßte - endgültig entschieden wurde die Auseinandersetzung vor zwei Jahren nicht. Eher vertagt. So brachten die Bündnisgrünen nach dem Rühe-Vorschlag im Abgeordnetenhaus einen Antrag ein, die Zeremonie im August wie sonst üblich "in der Kaserne" stattfinden zu lassen, um den öffentlichen Raum nicht zu militarisieren. Andernfalls versprachen sie lautstarken, bunten und dabei strikt gewaltfreien Protest vor dem Roten Rathaus.

Auch die PDS kündigte in einem Antrag im Abgeordnetenhaus Widerstand an. Allerdings nicht vordergründig gegen Bundeswehrgelöbnisse. Die Genossen appellierten an eine "partei-übergreifende Einigkeit". Der Tag des Mauerbaus, den die DDR zudem mit "militärischen Aufmärschen und Vereidigungen" beging, könne "kein Tag militärischer Demonstrationen, kein Tag der Bundeswehr" sein. Einen solchen Jahrestag nun durch die Bundeswehr zu besetzen, erinnere an den Versuch, das "gewaltlose Verschwinden" der DDR nachträglich in einen "militärischen Sieg über das DDR-Regime umzudeuten". Das diene "nicht dem Zusammenwachsen", sondern provoziere Betroffenheit und Widerspruch. Viel tiefer konnte die Berliner PDS nicht abknien, um einen Konsens von SPD, PDS und Bündnisgrünen gegen den Aufmarsch vor dem Roten Rathaus zu ermöglichen.

Und obwohl die Sozialdemokraten in die gleiche Kerbe schlugen, kam kein Bündnis gegen das CDU-Vorhaben zustande. Wohl vor allem, weil die SPD lediglich am Termin 13. August herummäkelt. In ihrem am Donnerstag vergangener Woche zur Abstimmung gestellten Antrag ließ sie deshalb in einem ersten Abschnitt zunächst festhalten, daß die SPD "grundsätzlich für öffentliche Gelöbnisse" eintritt. Daß Grüne und PDS-Abgeordnete in der Abstimmungsprozedur per Handzeichen dagegen votierten, Parlaments-Vizepräsident Reinhard Führer (CDU) die gehobenen Arme jedoch als Enthaltungen registrierte, ist da nur eine Posse am Rande. Schließlich wurden der Gesamtantrag der SPD wie die Anträge von Grünen und PDS abgelehnt. Führer und der eilig einberufene Ältestenrat weigerten sich, die Abstimmung zu wiederholen. Daß sich selbst Bundeskanzler Kohl im Kabinett von Rühe einen Bericht zur Gelöbnislage geben ließ und dann per Regierungssprecher ultimativ bekräftigte, daß der 13. August ein "geeigneter und richtiger Termin" sei, spricht dafür, daß es sich bei diesem Gelöbnis nicht um eine zufällig entstandene Hauptstadtschmonzette handelt. Gegenüber Journalisten angedeutete Verhandlungsbereitschaft zum Termin des öffentlichen Gelöbnisses betreffe lediglich weitere Gelöbnisse, so Kohl. Damit scheinen Ideen der SPD, die Berliner Rekruten beispielsweise am 20. Juli, dem Tag des Attentats auf Hitler, vor dem Bendlerblock oder im Juni am Platz der Luftbrücke auf eine veredelte Wehrmachtstradition einzu-schwören, vom Tisch. Es geht nicht um irgendein Gelöbnis, es geht um den 13. August, um die Mauer, die Innensenator Jörg Schönbohm gern Schandmauer nennt.

Sechs Wochen vor der Wahl will Kohl vor dem Roten Rathaus den Bürgern die Freiheitsglocke läuten, wieder mal den Sieg über das "Unrechtsregime" DDR feiern. Blühende Landschaften sind schließlich nicht zu präsentieren. Immerhin hat sich Kohl für August zum Hauptredner ernannt. Genaueres zum Programm des Tages gab der Verteidigungsminister von sich. Seiner Ansicht nach bietet der 13. August Gelegenheit, "daß wir gemeinsam mit unseren Soldaten ein Bekenntnis zu Demokratie, Recht und Freiheit ablegen". Damit ist auch die Rolle anwesender Zivilisten vorgegeben. Rühe will vor allem Gegenwart gegen DDR-Vergangenheit setzen. Das macht unter anderem seine Bemerkung deutlich, daß die Bundeswehr auch dafür stehe, "daß Abgeordnete der deutschen Sozialdemokratie nie wieder illegal von Kommunisten aus dem Roten Rathaus vertrieben werden wie 1948". Derartige Gedanken lassen einen zackigen Siegesappell erwarten. Auf Widerstand ist man dabei längst eingestellt. Schließlich soll die Polizei den Platz vor dem Roten Rathaus aus Gründen der Sicherheit - im Gegensatz zu Gendarmenmarkt und Pariser Platz - empfohlen haben. Demonstranten können auf dieser freien Fläche von Polizeieinheiten einfacher auf Distanz gehalten werden. Die Kraftprobe ist gut vorbereitet.

Aus der Gelöbnisallianz brach bisher lediglich der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst Bernhard Gertz, aus. Er warnte letzten Freitag, die Bundeswehr in den Wahlkampf hineinzuziehen. Der 20. Juli habe für die Bundeswehr eine größere innere Beziehung. Er bezweifelte zudem, daß mehr öffentliche Gelöbnisse die richtige Antwort auf den Imageverlust der Truppe durch rechtsradikale Zwischenfälle sind. Genau das gehört aber offensichtlich zur neuen Rühe-Strategie. So sind öffentliche Gelöbnisse für den 16. Februar in Lüneburg und für den 23. Februar in Celle angekündigt. Dazu lud Rühe auch Ministerpräsident Gerhard Schröder ein. Der Kanzlerkandidat wird sich dem "Vertrauensbeweis" für die Truppe wohl nicht entziehen. Auch der rot-grüne Hamburger Senat wurde aufgefordert, ein öffentliches Gelöbnis vor dem Rathaus auszurichten. Bürgermeister Ortwin Runde konterte mit dem Vorschlag, die Rekruten dann doch eher auf dem Gelände des ehemaligen KZ Neuengamme antreten zu lassen, wo 55 000 Häftlinge umkamen. In der Führungs-akademie der Bundeswehr meinte er dazu, daß dieser Ort geeigneter sei, "eine kritische Diskussion der Wurzeln und Folgen des Rechtsradikalismus" zu befördern.

Für Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, sind derartige Vorhaben, die zuvor nur die DDR-Volksarmee in Buchenwald oder Sachsenhausen praktiziert hatte, nicht grundsätzlich eine Problem. Er kann sich durchaus einen "gewissen erzieherischen Effekt" vorstellen. Den Soldaten solle dort deutlich gemacht werden, welch ungeheure Verbrechen im Namen des Vaterlandes begangen wurden. Bubis äußerte jedoch auch Verständnis dafür, daß ein Gelöbnis im KZ für Überlebende des Holocaust ein Horrorgedanke sei.

Was bleibt für den Verteidigungsminister? Er hat es in der Tat geschafft, mit einigen angedrohten Gelöbnissen in den für ihn politisch interessanten Regionen Niedersachsen, Hamburg und Berlin eine Diskussion vom Zaun zu brechen, die das Thema Rechtsradikalismus zunehmend in den Medien verdrängt.