Winfried Nachtwei

»Das Verhältnis zur Wehrmacht klären«

Winfried Nachtwei, bis 1990 Friedenspolitischer Sprecher im Landesverband der Grünen in NRW, ist seit 1994 Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen und sitzt im Bundeswehr-Untersuchungsausschuß. Der Ausschuß tagt seit vergangener Woche, um sich mit dem Auftritt des militant-rechtsradikalen Manfred Roeder in der Hamburger Führungsakademie im Januar 1995 zu beschäftigen.

Was kann der Ausschuß aufklären?

Zunächst soll es natürlich um den Vortrag Roeders in der höchsten Bundeswehrschule gehen, dann auch um Vorkommnisse an verschiedenen anderen Standorten. Entscheidend wird allerdings sein, wie weit es gelingt, das Umfeld aufzuklären. Denn in den bisherigen Berichten des Verteidigungsministeriums sind immer nur Einzelfälle untersucht worden. Uns geht es darum, das Klima festzustellen, in dem das alles stattfand. Diese Woche wird auch über die Schenkungen der Bundeswehr an Herrn Roeder gesprochen.

Konnte denn bislang das Umfeld, also die Kontaktpersonen Roeders, erhellt werden?

Ja, schließlich wurde der Hamburger Kaufmann Rolf Vissing, der bezeichnenderweise Herrn Roeder als seinen Rechtsbeistand mit dabei hatte, vernommen. Vissing war bei der Parfino-Veranstaltung, auf der im wesentlichen ehemalige Wehrmachtsangehörige zusammenkamen, und hat danach systematisch die Beziehung zu einem Offizier des Akademie-Stabes aufgebaut.

Gehen Sie von einer gezielten Unterwanderung aus?

Bisher können wir das nicht sagen. Es ist aber eindeutig, daß die Themen Kriegsgräberfürsorge sowie humanitäre Hilfe in Rußland behandelt und von einem Offizier als sehr interessant befunden wurde. Darüber hat sich dann der Kontakt zu Vissing ergeben, den dieser systematisch weiter aufgebaut hat. Dahinter könnte sich natürlich etwas Gezieltes verbergen, aber das wissen wir noch nicht. Sicher ist, daß der Oberstleutnant Bernd Pahl über Vissing an Roeder als Referenten für das Thema gekommen ist. Und Pahl hat dann Roeder weiterempfohlen

Nach dem Roeder-Skandal wurde im Dezember bekannt, daß sich Mitglieder der rechtsradikalen Jungen Nationaldemokraten in der deutschen Armee breitgemacht haben. Kann man denn in diesem Fall von gezieltem Vorgehen sprechen?

Beim Untersuchungsausschuß wird das nicht behandelt. Sicher ist aber, daß sich Interessierte aus der Bundeswehr mit Rechtsradikalen durch verschiedene "Verbindungsthemen" treffen. Eines dieser Themen ist nun einmal das, worüber Roeder vor den angehenden Offizieren referiert hat: Die Kriegsgräberfürsorge, verbunden mit aktueller Hilfe für die Bevölkerung in diesen russischen Gebieten. Diese Unterstützung sieht zunächst einmal rein humanitär aus, und das mag sie auch sein, auf jeden Fall stellt sie aber ein Einfallstor-Thema für Rechtsradikale, und natürlich auch ein Tarnthema dar.

Sollte denn Roeder vor den Untersuchungsausschuß geladen werden?

Nein, das haben wir bisher nicht vor. Übrigens können wir schon von einem erfreulichen Zwischenergebnis des Ausschusses sprechen: Nach der ersten Sitzung gibt es einen deutlichen Konsens zwischen allen beteiligten Fraktionen und Gruppen über Roeder und Konsorten. Als Vissing dort gemeinsam mit Roeder ziemlich frech auftrat, verzichteten alle schnell darauf, ihn überhaupt weiter zu befragen. Gegenüber diesen Rechtsextremen hat es also eine Übereinstimmung aller Beteiligten des Untersuchungsausschusses gegeben.

Einen Konsens mit Unionspolitikern, obwohl Verteidigungsminister Volker Rühe nicht gerade von Pappe ist? Der Spiegel zitierte einen Generalstabsoffizier mit den Worten: "Nie wurden Befehle und was man politisch denken soll so glatt von oben nach unten durchgereicht wie unter Rühe." Welche Verantwortung trägt der Bonner Truppenchef?

Darüber hat es zumindest schon interessante Andeutungen in zwei Richtungen gegeben. Zum einen machte die Befragungen eines Zeugen deutlich, daß schnell die Devise rausging, "Gras über die Sache wachsen zu lassen", als intern bekannt wurde, wer Roeder eigentlich ist. Dieses Vorgehen wurde offensichtlich für richtig gehaltenx. In diesem Zusammenhang tat er eine wesentliche Äußerung: "Es gibt ja sonst keine Gnade." Das hat er zum einen auf die Medien bezogen, und, ohne Namen zu nennen, vor allem auf Rühe. Wer sich in der Bundeswehr Fehler leistet, wird plattgemacht. Es wird den Leuten kaum ermöglicht, sich zu Fehlern produktiv zu verhalten.

Nun zum zweiten Hinweis: Ein früherer Lehrgangssprecher aus der Generalstabsausbildung sagte, daß in der Ausbildung der sogenannte taktisch-operative Teil eindeutig dominiere und Fragen nach dem Selbstverständnis und nach der inneren Führung demgegenüber sehr nachgeordnet seien. Das habe sich darin niedergeschlagen, daß ganz grundsätzliche und brennende Themen, so die Wehrmachtsausstellung oder die Wehrpflicht, im Rahmen der Generalstabsausbildung nicht diskutiert werden konnten. So wird klar, warum es in der Bundeswehr so viel Unsensibilität gegenüber Rechtsextremismus gibt. Für solche Versäumnisse, und für diese absolute Dominanz des Handwerklichen ist ganz wesentlich die Spitze, also vor allem Rühe, zuständig.

Haben Sie denn die ernsthafte Hoffnung, daß sich in der Bundeswehr der positive Bezug zur Wehrmacht, der schließlich konstituierend für das deutsche Militär ist, verändern kann. Wenn selbst Kohls Sonderbeauftragter Horst Waffenschmidt 25 Millionen Mark Fördergelder klarmacht, um Rußlanddeutsche in Kaliningrad anzusiedeln, decken sich doch gewisse Interessen ganz offensichtlich mit jenen, die von Roeder ebenso wie von den Nationalsozialisten vertreten wurden ...

Sicher ist es historisch richtig, daß Wehrmachtsangehörige für die Bundeswehr konstitutiv waren. Aber dennoch ist das Verhältnis der Bundeswehr und ihrer Angehörigen zur Wehrmacht voll gespalten und ungeklärt. Vor allem im Alltag der Traditionspflege ist der Bezug zu ihr in der Tat oft distanzlos bis verklärt. Dann gibt es die offizielle Ebene, wo auf Distanz Wert gelegt wird. Hier bezieht man sich gerne auf den militärischen Widerstand des 20. Juli als Vorbild. Es gibt sicher eine Dominanz der Wehrmachtsverklärung, vielleicht sogar eine wachsende. Aber da sehe ich nur einen Weg, um dies zu ändern: Man muß das Verhältnis zur Wehrmacht im demokratischen Sinne klären. Und wenn da auch nur zehn Prozent Chancen existieren, dann muß man die wahrnehmen. Alles andere wäre gefährlich.

Braucht die Armee einer Weltmacht, die sich auf Auslandseinsätze einstellt, nicht gerade diesen nationalistisch orientierten Soldaten? Nicht zufällig bezeichnen sich 20 Prozent der Bundeswehr-Studenten als national-konservativ - also mindestens rechts -, was wohl in der Regel rechtsextrem bedeutet?

Möglicherweise wird diese Einstellung durch die Veränderung des Bundeswehrauftrages gefördert, es kann aber auch in eine entgegengesetzte Richtung wirken. Schließlich laufen die Auslandseinsätze immer in einem multinationalen Verbund. Man könnte hier Vermutungen anstellen, aber dazu wissen wir noch zu wenig ...

Also setzen Sie auf eine internationale Kontrolle der deutschen Soldaten?

Nicht nur das. Wenn die Bundeswehr zum Beipiel in Bosnien mit 30 verschiedenen Nationalitäten unterwegs ist, kann es in einem solchen Verbund zu einer Restabilisierung von nationalen Elementen kommen, in Abgrenzung zu den anderen. Aber es kann auch das Gegenteil passieren.

Braucht eine Armee wie die Bundeswehr nicht prinzipiell den nationalistisch gesinnten, vor allem aber autoritär strukturierten Menschen, wie er am ehesten bei den Rechtsextremen zu finden ist?

Eine Armee zieht solche Leute auf jeden Fall an.

Was erhofft sich denn ein grüner Politiker davon, in einem Ausschuß zu sitzen, der rechts radikale Tendenzen in der Bundeswehr aufspüren soll?

Da wir nur sieben bis acht Sitzungen zur Verfügung haben, wäre es schon ein Erfolg, wenn wir ein genaueres Bild vom Klima beim Bund bekämen, ein Bild von den Strukturen, in denen solche Vorfälle nicht nur möglich, sondern sogar begünstigt werden.

Gibt es eine andere, eine grüne Militärpolitik?

In Ansätzen. Auftrag, Struktur und Umfang der Bundeswehr müssen erheblich reduziert werden. Den Auftragsteil Interventionsfähigkeit lehnen wir strikt ab. Der Auftrag darf lediglich friedenserhaltende Maßnahmen beinhalten. Noch entscheidender ist, das jetzige Mißverhältnis, also Dominanz des Militärischen und Hintanstellung von Krisenprävention umzukehren zu einem tatsächlichen Vorrang für präventive Friedenspolitik.

Spricht denn bei den Grünen überhaupt noch jemand von der Abschaffung der Bundeswehr, wie dies in ihren Gründerzeiten formuliert wurde?

Wir haben uns davon nicht verabschiedet, wissen allerdings, wie die Realitäten aussehen. Die Abschaffung nationaler Armeen ist ein eher langfristiges Ziel, das nicht innerhalb von vier, aber auch nicht von zehn Jahren hinzukriegen ist. Also stellt sich die Frage, welche Schritte man in diese Richtung machen kann. Es reicht nicht, nur eine langfristige Forderung aufzustellen. Unsere Aufgabe in der Politik ist, die Schritte zu definieren, mit denen wir vorankommen in der Abrüstung und Zivilisierung von Außenpolitik.