Garaudy Supermytholog

Der Ex-Chefideologe der französischen KP ist in Paris als Auschwitz-Leugner verurteilt worden

"Der Mythos der sechs Millionen vernichteten Juden bildet eine der Gegenwahrheiten, die nach über einem halben Jahrhundert noch immer die meisten Verwüstungen in der Welt, und nicht nur im Nahen Osten, anrichten." Roger Garaudy, der Mann, der diesen Satz schrieb, ehemaliger Chefideologe der französischen Kommunisten, später zum muslimischen Glauben konvertierter Philosoph und Auschwitz-Leugner, ist am 27. Februar 1998 von einer Pariser Strafkammer wegen des Tatbestandes der "Leugnung von Verbrechen gegen die Menschheit", definiert im Sinne der Nürnberger Prozesse, verurteilt worden.

Gegenstand des Verfahrens war Garaudys Schrift "Les Mythes fondateurs de la politique israélienne" ("Die Gründungsmythen der israelischen Politik"), die die Zeitschrift La Vieille Taupe (Der alte Maulwurf) zum Jahreswechsel 1995/96 auf 237 Seiten veröffentlichte. La Vieille Taupe, heutzutage nur in einschlägigen Neonazi-Buchhandlungen oder unter der Ladentheke erhältlich, war ursprünglich einmal eine linksradikale Zeitschrift, die den bürgerlichen Antifaschismus denunzieren wollte, da die bürgerliche Demokratie als mit dem Nazismus wesensgleich angesehen wurde. Im Laufe der Jahre reduzierte sich die Kritik am Antifaschismus jedoch auf die Leugnung des Holocaust, der für die Vieille Taupe-Gruppe zum zentralen Glaubenssatz wurde und einen Teil ihrer Mitglieder zur extremen Rechten überwechseln ließ. Vieille Taupe verlegte denn auch konsequent Schriften des Auschwitz-Leugners Robert Faurisson (vgl. "Armer Rittersporn", Jungle World, Nr. 8/1998). Als Kronzeuge diente u.a. der bekannte Anti-Imperialist Noam Chomsky, der Meinungsfreiheit für Faurisson forderte, auch wenn er dessen Ideen ablehnte.

In Garaudys Text ist u.a. zu erfahren, der Genozid an den europäischen Juden - bei ihm ist von "Shoah Business" und "Mythos Holocaust" die Rede - zähle zu den "theologischen Mythen", welche neben der biblischen Verheißung vom "Gelobten Land" die Gründung des Staates Israel rechtfertigen sollten. Den größten Teil seines Buches hat Garaudy übrigens aus bereits veröffentlichten Texten von Robert Faurisson, des Vordenkers der "Negationisten", wie die Geschichtsrevisionisten in Frankreich genannt werden, zusammengestoppelt.

Kritiker Garaudys, der seit 1956 dem Politbüro der KP angehört hatte und 1970 als Abweichler aus der Partei ausgeschlossen worden war, behaupten, dieser habe zeit seines Lebens keinen eigenen Gedanken gehabt, sondern sei stets auf der Suche nach fertigen Glaubenssätzen gewesen. Daher seine wiederholte religiöse Bekehrung, die ihn vom Stalinismus über den Protestantismus und Katholizismus zum Islam führte. Die revisionistischen Positionen Garaudys, ob kopiert oder nicht, waren den Pariser Richtern 120 000 Francs (36 000 Mark) Geldstrafe wert. Der Staatsanwalt hatte 150 000 Francs Geldstrafe für den Ex-Kommunisten gefordert. Sein Verleger Pierre Guillaume, gegen den die Anklage auf eine Haftstrafe plädiert hatte, wurde freigesprochen, da "Die Mythen" de facto unter Ausschluß der Öffentlichkeit vertrieben worden seien.

Keine 14 Tage vor der Urteilsverkündung in Paris war Garaudy noch von jubelnden Zuhörern als Held gefeiert worden, wenngleich in etwas südlicher gelegenen Gefilden. Mit einer offiziellen Einladung des ägyptischen Kulturministers Faruk Hosni im Gepäck, hatte Garaudy am 15. Februar seinen Auftritt auf der 30. Internationalen Buchmesse in Kairo, wo er, so meldete der Korrespondent von Le Monde am selben Tag nach Hause, "einen warmen Empfang vor einem von vornherein ergebenen Publikum" erhielt. Neun Tage später zeichnet die Pariser Libération die Szene nach: "Roger Garaudy Superstar. Der französische Autor hat letzte Woche in Ägypten einen Empfang erfahren, der eines Nobelpreisträgers würdig wäre. Konferenzen, Ehrenbezeugungen, Fernsehsendungen, Empfänge bei den höchsten christlichen und muslimischen Würdenträgern des Landes: Nichts ist ausgespart worden. Als Krönung des Ganzen erhielt Garaudy aus den Händen eines Ministers die muslimische Predigermedaille, die höchste religiöse Auszeichnung des Landes. Anläßlich des Prozesses, der ihm in Frankreich gemacht wird, ist der Autor der 'Gründungsmythen' in Ägypten zu einem Helden geworden, fast ebenso bekannt wie Präsident Jacques Chirac oder Alain Delon. Das ging soweit, daß zum Zeitpunkt seines Prozesses eine Demonstration vor der französischen Botschaft organisiert und eine Delegation von Anwälten nach Paris geschickt wurde."

Das Interesse an den kruden Thesen eines Roger Garaudy beschränkt sich in der arabisch-muslimischen Welt nicht auf Ägypten: "Der Nahe Osten hat das 'Garaudy-Fieber'", stellte der Pariser Figaro bereits am 5. Februar 1998 - der Mythologe war noch nicht nach Kairo abgereist - fest, und weiter: "Wenn das Ausmaß der Mobilisierung von Intellektuellen (...) überrascht, so ist es doch nur das Abbild einer Region, die durch ständige Krisen durcheinandergerüttelt ist." In den Vereinigten Arabischen Emiraten will die Ehefrau des Staatsoberhaupts dem von einer Geldstrafe bedrohten Franzosen 50 000 Dollar stiften, in Syrien gründen Rechtsanwälte ein Komitee zur Verteidigung Garaudys, und in Jordanien unterstützen zwölf Oppositionsparteien - von Linksradikalen bis zu islamischen Fundamentalisten - einen Aufruf gegen den Prozeß, welcher "der französischen Justiz Schaden zufügt".

Keiner der großen Geister, die nunmehr lautstark die bedrohte Meinungsfreiheit Roger Garaudys in Frankreich einklagten, hatte sich zuvor für jene des äyptischen Universitätsprofessors Abou Zeid eingesetzt, dem die religiösen Autoritäten den Prozeß wegen "Apostasie" (Abfall vom rechten Glauben) machten und dem doch Konsequenzen ganz anderer Dimension drohten. Das Erstaunen darüber formulierte Beschir Al-Sayed in der Zeitung Al-Ahali. Doch eher dünn gesät sind die dissidenten Stimmen unter der arabischen Intelligenzija zu der Affäre Garaudy, die häufig etwa von Mohammed Sid-Ahmed, dem Leitartikler der großen ägyptischen Zeitung Al-Ahram mit der "Dreyus-Affäre" verglichen wird. Garaudy wäre demnach mit ƒmile Zola zu vergleichen, der mit seinem berühmten "J'accuse" (Ich klage an) die Wende in der damaligen Debatte herbeigeführt hatte. Mohammed Sid Ahmed, der diesen Vergleich anstellte, gehört dabei eher zu den zurückhaltenden und vermittelnden Stimmen in dieser Debatte und beklagt seinerseits: "Die Garaudy-Affäre hat enthüllt, in welchem Maße der israelisch-arabische Konflikt ausgewuchert ist. Von einem nationalen Territorialkonflikt ist man zu einem religiösen und irrationalen Konflikt übergegangen."

Und während Garaudy vor einer begeisterten Zuhörerschaft in Kairo behauptete, daß die "französischen Medien zu 95 Prozent von Zionisten kontrolliert" seien, kündigte in Frankreich Robert Faurisson in National Hebdo, der Zeitschrift des Front National, an, einige arabische Staaten würden den "Fall Garaudy" dazu benutzen, um von der Unesco die Streichung der Holocaust-Denkmäler in Auschwitz aus der Schutzliste zu fordern, da sie nicht authentisch seien.