Tuchos im Tretboot

Zwei Zeitschriften wollen die Weltbühne beerben - das Blättchen und Ossietzky

Das Blättchen, die im Osten erscheinende Nachfolgezeitung der Weltbühne, hatte sich einen Zusammenschluß mit Ossietzky gewünscht, einer auf die gleiche Traditionslinie fixierten Neugründung im Westen. Die "Tandemlösung" sah vor: Alternierend könne in der einen Woche das Blättchen an den Abonnentenstamm ausgeliefert werden, in der anderen Woche Ossietzky, Vertrieb, Redaktion, Aboverwaltung et cetera blieben aber getrennt.

Eckart Spoo, Chef von Ossietzky und als frisch verrenteter Redakteur der Frankfurter Rundschau mit der nötigen Zeit fürs Blattmachen ausgestattet, mag den Begriff "Tandemlösung" allerdings gar nicht: "Ein Tandem ist doch ein Fahrzeug", sagte er bei einem Treffen des Deutschen Medienclubs Ost am vergangenen Donnerstag in Berlin, und wenn man alles trennte, könne man doch nicht von Tandem sprechen. "Beim Tandem sitzt aber auch immer einer vorne", rief ein Zuhörer. Auf die einigende Formulierung "Tretbootlösung" kam niemand, dabei charakterisierte ein solcher Begriff gar nicht so schlecht, mit wieviel Vorwärtsdrang zu rechnen wäre, wenn die von beiden Redaktionen repräsentierte Linke gemeinsam in die Pedalen stiege.

Seit wenigen Wochen sind sowohl das Blättchen als auch Ossietzky auf dem Markt, beide erscheinen nicht wie geplant wöchentlich, sondern alle vierzehn Tage, beide bestehen aus 32 Seiten, beide kopieren die von Siegfried Jacobsohn, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky in den zwanziger Jahren geprägte Wochenzeitung bis ins Detail: Das gleiche Format, die gleiche Cover-Farbe und auf keinen Fall Fotos oder Grafiken. "Es kommt auf die Inhalte an", meint Spoo, woraus man wohl folgern muß, daß ein gutes Foto oder eine hübsche Lithographie inhaltsfrei sind. Sogar die von Jacobsohn eingeführte Rubrik "Antworten", in der gleichermaßen Medienkritik betrieben wird, Leserfragen beantwortet werden und aktuelles Zeitgeschehen kommentiert wird, findet sich in beiden Weltbühne-Nachfolgezeitungen.

Was beide gleichfalls eint, so ist der Eindruck, der beim Treffen im Medienclub übrig blieb, sind die Leser. Mehrfach fiel der Begriff "Katastrophe", da sich "die Linke wieder mal streitet", weil sich "die Linke nicht auf den richtigen Gegner" konzentriert, weil keine "Kräfte gebündelt" werden, sondern sich "die Linken beharken".

Weil alle der Meinung sind, eine Weltbühne-Nachfolge sei das, was die Republik nachhaltig verändern könnte, glauben auch alle, dieses hehre Projekt könne nur von einer Weltbühne-Nachfolgezeitung geleistet werden, nie und nimmer von zwei Zeitschriften, weil die sich ja gegenseitig die Leser wegnähmen.

Auf die Frage eines Zuhörers an Eckart Spoo, warum es überhaupt einer weiteren linken Wochenzeitung bedürfe, ob es nicht schon Jungle World und Freitag gebe und mit anderem Erscheinungsrhythmus noch etliche andere, die auch gewiß nicht unwichtig sind, antwortete Spoo gar nicht erst. "Keine Abgrenzung" wolle man gegenüber den genannten Blättern, aber ansonsten, Spoo holte weit aus, müsse man doch wie weiland die Weltbühne gegen Hugenberg heute gegen die fortgeschrittene Konzentration auf dem Medienmarkt vorgehen.

Hier treffen sich Leser und Macher von Ossietzky, und hier tut sich eine erstaunliche Differenz zum Blättchen auf. Die beiläufige Bemerkung eines Blättchen-Redakteurs, für ihn gebe es nichts Schöneres, als eine eigene Zeitung zu machen, konterte ein Zuhörer mit dem Satz: "Doch, es gibt etwas Schöneres: gemeinsam." Ein anderer beharrte darauf, Ossietzky solle von Hannover nach Berlin umziehen, denn das sei schließlich Hauptstadt und bald auch Parlamentssitz, nur dann werde man ernstgenommen. Außerdem müsse der Kioskvertrieb aufgebaut werden, wenn die Laufkundschaft nicht betreut werde, ende alles ganz traurig. Lauter Hinweise von Menschen, die tatsächlich glauben, ein linkes Massenblatt sei im Entstehen. Und alle sind der festen Überzeugung, daß es allein auf den Titel und den Anspruch ankäme, schon wären Ossietzky oder Blättchen gut.

Daß, ökonomisch betrachtet, beide, auch wenn sie gemeinsam erschienen, Klitschenblätter sind, ja daß sogar, wiederum nur ökonomisch betrachtet, auch die Weltbühne der zwanziger Jahre ein Klitschenblatt mit etwa 16 000er Auflage war, daß auch der Freitag und Jungle World Klitschenblätter sind, war an jenem Abend von geringem Interesse.

Weil eine Zeitung dann gut ist, wenn sie in einer guten Tradition steht und auch Gutes im Sinn hat, fragte nicht nur niemand nach der Auflage, sondern auch niemand nach dem, was wirklich drin steht.

Eckart Spoo verkündete beispielsweise, er wünsche "nicht unbedingt die satirische Form". Sicher, es gebe Leser, "die etwas Humoriges verlangen, das widerstrebt mir aber". Denn: "Aufklärung ist mit spaßiger Unterhaltung nicht zu befriedigen". Ihm sei es lieber, wenn mit einer intelligenten Formulierung ein Sachverhalt gut beleuchtet werde.

In den vorliegenden Ausgaben von Ossietzky wird dieser Anspruch zur Hälfte eingelöst. Im aktuellen Heft, erschienen am 1. März, gelingt es dem zum erweiterten Herausgeberkreis gehörenden Dietrich Kittner und seiner Frau Christel zwar nicht, einen intelligenten Gedanken zu formulieren, aber nachweislich humorfrei und bar jeder satirischen Form bitten sie in einem Offenen Brief an Manfred Kanther um ein "Lauschasyl" in seinem Büro, um sich mal ungestört unterhalten zu dürfen, und, ganz schön bissig, unterzeichnen den Brief noch "mit den untertänigsten Grüßen". Auch gewiß unironisch charakterisiert Norman Paech in einem Beitrag die alliierte Golfkriegsintervention als den "Blitzkrieg vor sieben Jahren". Ein intelligent formulierter Gedanke, auf den Ossietzky und Tucholsky nicht gekommen wären, denn dieser Begriff wurde ja erst 1939 erfunden.

Zur Begründung für die von Paech und Kittner repräsentierte Humorfreiheit gibt Eckart Spoo die Verpflichtung zur Aufklärung an. Darunter stellt er sich in bester Tradition der deutschen Arbeiterbewegung, etwas vor, das man mittels Textchen und Täfelchen, vergleichbar den offensichtlich nach Kant und Descartes benannten Stunden im Biologieunterricht, betreiben könne und wo es ja auch nichts zu lachen gibt.

Wenn Kittner also gegen die da oben wettert oder Paech die Praxis der Alliierten mit einem Nazibegriff belegt (und ganz nebenbei Ursache und Wirkung verwechselt: erst war der irakische Überfall auf Kuwait, dann die alliierte Reaktion), dann wollen sie, dies ist eine sehr höfliche Interpretation, zum Zweck der Beförderung der guten Sache, Menschen dort abholen, wo die sich gerade befinden, ihnen in ihren Worten klar machen, wie böse die Welt sei und daß es eine Alternative gebe. Das ist Aufklärung als Schulunterricht. Menschen, die sich für klug halten, teilen Menschen, die sie für blöd halten, mit, was Sache ist.

Und diese Sache ist vor allem eins: bierernst. Wenn nämlich allein "die Inhalte" zählen, dann gelingt kaum noch ein Satz. Ein Patrick Rössler formuliert in einer Betrachtung der Berlinale so etwas: "Doch dann ging's bergauf, gerade als der Zoopalast in einem Meer des Schmerzes zu versinken drohte." Oder: "Doch das grelle Licht am Ende des Berliner Tränentals ist nicht zwangsläufig zynisch."

Der Schriftsteller Heinz Knobloch beschreibt in einer Glosse, wie er in einer Berliner U-Bahn einen jungen Mann beim Beschriften eines Schildes mit den Buchstaben "HH" beobachtet, weil der offensichtlich nach Hamburg trampen möchte. "Hoffentlich würde er sein Ziel noch erreichen, gute Nacht", verabschiedet sich Knobloch und fügt hinzu: "Manche Autofahrer sind hilfreich und gut. Und mutig."

Da muß man die eben formulierte höfliche Interpretation doch zurücknehmen. Was in einer Diskussion, nach entsprechender Kritik, vielleicht damit begründet würde, daß man die Leser da abholen wollte, wo sie stehen, stellt sich am Ende doch als authentischer Ausdruck des Milieus heraus, das die Autoren gemeinsam mit ihren Lesern bilden. Kulturell spießig und, was die Chancen politischer Interventionsfähigkeit angeht, von maßloser Selbstüberschätzung getragen.

Das erklärt auch, warum den Lesern trotz etlicher vorliegender Ausgaben die Artikel, die ja nachlesbar sind, vollends egal sind, und ihnen allein der Umstand, daß da Menschen guten Willens eine traditionsreiche Zeitung wiederbeleben wollen, schon als Grund zum Loben und Abonnieren ausreicht.

Das Blättchen unterscheidet sich da zwar nicht grundsätzlich, aber ein bißchen schon von Ossietzky. Die Macher vom Blättchen, die auf ihrem Titel, der vom Schrifttyp noch stärker an die alte Weltbühne erinnert, notieren, daß sie in "Berlin-Prenzlauer Berg" residieren, beharren in einer durchaus sympathische Weise darauf, daß es ihnen Spaß macht, eine eigene Zeitung zu erstellen.

Warum sich ihr Spaß doch nur darauf konzentriert, die Weltbühne zu imitieren, erschließt sich leider dann doch nicht. Aber in den Texten findet sich immerhin keine solche DKP-Prosa, wie sie Ossietzky präsentiert.

Vergleicht man etwa zwei Texte, einer aus Ossietzky, einer aus dem Blättchen, zu einem wichtigen außenpolitischen Thema, nämlich der Golfkrise, fällt auf, daß Ossietzky-Autor Norman Paech außer dem Ressentiment, daß es sich um einen "Blitzkrieg" handele, außer der Nullerkenntnis, daß es doch immer wieder nur ums Öl gehe und außer dem Lamento, daß das Völkerrecht wohl nichts mehr zähle, nichts zu bieten hat. Im Blättchen schreibt ein Henner Fürtig statt dessen eine Analyse, warum ein eventueller Militärschlag auch aus Alliiertensicht dysfunktional wäre. Über Fürtigs Text lohnt das Nachdenken, über Paech muß man wahlweise gähnen oder sich aufregen.

Regte man sich auf, hätte man aber immerhin einen Effekt erzielt, den andere Texte in Ossietzky nicht schaffen. Daß Eckart Spoo auf der Veranstaltung in Berlin die Frage nach dem Sinn einer neuen linken Wochenzeitung letztlich nur mit dem Hinweis auf die Hugenberg-Presse der zwanziger Jahre beantworten konnte, paßt da vielleicht ebenso ins Bild wie der Umstand, daß partout keiner auf die Formulierung "Tretbootlösung" zur Charakterisierung einer eventuellen Zusammenarbeit der Blätter kam.