Lieber Teheran als Tel Aviv?

50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen (III): Die Schaukelpolitik nach 1965

Nichts kennzeichnete das politische Klima im Nachfolgestaat des Dritten Reiches besser als die Weigerung dieses Staates, mit Israel diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Israel wurde dabei bis 1965 dem außenpolitischen Kalkül geopfert: Man befürchtete in Bonn, daß eine offizielle Anerkennung Israels die Anerkennung der DDR durch die arabischen Staaten nach sich ziehen würde.

Nachdem die DDR jedoch die internationale Isolierung Schritt für Schritt durchbrechen konnte, war dieses Junktim für die BRD kontraproduktiv geworden - der diplomatische Boykott gegen Israel war hinfällig. Mit der anti-israelischen Lobby im Auswärtigen Amt und in der Schwerindustrie fand sich ein typisch deutscher Kompromiß: Erster Botschafter in Tel Aviv wurde ein Vertreter jenes alten Deutschlands, das die Juden in die Gaskammern geschickt hatte. Botschafter Dr. Rolf Pauls war im Krieg Offizier an der Ostfront gewesen, "gerade dort, wo die meisten Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden waren", wie die israelische Tageszeitung Ma'ariv schrieb. Die israelische Empörung berührte Bundeskanzler Ludwig Erhard nicht: "Ich nehme dazu keine Stellung. Wenn ein deutscher Mann Soldat geworden ist - der ist nicht gefragt worden, sondern er hat seine Pflicht getan. Da besteht kein Grund, ihn irgendwie zu diskriminieren." Noch brisanter war die Ernennung von Alexander Török zum Botschaftsrat. Der ehemalige Ungar hatte im Krieg dem faschistischen Diktator Mikl-s Horthy gedient und als dessen Legationssekretär in Berlin mit den Nazis kollaboriert - auch bei der Judenvernichtung.

Der Sechs-Tage-Krieg 1967 brachte einen Stimmungsumschwung. Zwar konnten Gasmasken nur gegen den Widerstand des Auswärtigen Amtes nach Israel geliefert werden. Die politische Klasse und auch die Öffentlichkeit standen aber voll hinter der israelischen Kriegspolitik. "Jede Zeitung, jede Rundfunkanstalt, jede Fernsehstation in der Bundesrepublik schien zu jener Zeit ein israelisches Organ zu sein", resümierte Inge Deutschkron. 1600 Deutsche baten um Aufnahme in die israelische Armee. Ähnliches wiederholte sich beim Yom-Kippur-Krieg 1973: 57 Prozent der Befragten äußerten ihre Sympathie für Israel - das waren sogar noch 2 Prozent mehr als 1967. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit und der Tourismus erreichten in den siebziger Jahren ihre Blüte.

Daß all dies wenig mit einer Abnahme des Antisemitismus zu tun hatte, sollte sich schlagartig 1981 beweisen. Im Zuge einer Kontroverse über das Palästina-Problem hatte der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt den israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin als "Gefahr für den Weltfrieden" bezeichnet - ausgerechnet jener Helmut Schmidt, der die Aufstellung der Pershing-II-Raketen initiiert hatte. Daraufhin hatte Begin auf die Vergangenheit Schmidts als Offizier der Nazi-Wehrmacht aufmerksam gemacht und von ihm verlangt, sich wie Brandt nach Warschau zu begeben und dort um Vergebung zu bitten. Ebenso jäh wie im Juni 1967 kippte auch jetzt wieder die Stimmung der Bevölkerung. Dies läßt sich an der Einstellung zum damals geplanten Export von 300 Leopard-2-Panzern nach Saudi-Arabien festmachen, mit denen König Khaled die "seit 1939 unterbrochene Tradition deutscher Waffenlieferungen" wieder aufnehmen wollte. Vor Begins Kritik waren 29 Prozent der Westdeutschen für den Panzer-Export gewesen, danach 52 Prozent. Dieses Votum gewinnt vor dem Hintergrund an Gewicht, daß zur gleichen Zeit die meisten Bundesbürger - im Unterschied zu früher - die Meinung vertraten, Israel könne sich langfristig nicht gegen die Araber behaupten. "Mit anderen Worten: Im Mai 1981 war die Empörung über Menachem Begin so groß, daß man sogar bereit schien, durch den Export deutscher Waffen die Existenz des jüdischen Staates zu gefährden", urteilt der konservative deutsch-jüdische Historiker Michael Wolffsohn mit vollem Recht.

Das Wechselspiel zwischen einer pro-israelischen und einer pro-arabischen Fraktion prägt die deutsche Nahostpolitik bis zum heutigen Tag. Auf der einen Seite bot die Hardthöhe während des Golfkrieges 1991 die Überstellung deutscher Patriot-Raketen und 1995 die Entsendung deutscher Blauhelme zur Entmilitarisierung der Golan-Höhen an - jeweils mit Verweis auf eine entsprechende Bitte aus israelischen Regierungskreisen. Dort wollte man jedoch, zumindest solange der US-amerikanische Schutz garantiert ist, von der Ausstellung solcher Unbedenklichkeitserklärungen für die deutsche Interventionspolitik nichts wissen, und so wurden die entsprechenden Berichte aus "gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen" bislang immer wieder von israelischen Regierungsstellen dementiert. Auf der anderen Seite betreibt Bonn abseits der feierlichen Bankette nach wie vor die Destabilisierung Israels, und wie in den fünfziger und zu Beginn der sechziger Jahre ist das von der FDP geführte Auswärtige Amt der Motor dieser Entwicklung.

Ende September 1996, bereits vor der umstrittenen Öffnung eines Tunnels unter arabischen Tempelanlagen in Jerusalem, forderte Klaus Kinkels Staatsminister Helmut Schäfer einen Stopp der deutschen Finanzhilfe an Israel: "Wir haben da Zusagen gemacht, aber das setzt voraus, daß der Friedensprozeß vorangetrieben wird." Deutschland - so Schäfer weiter - könne nicht immer nur jede israelische Regierung unabhängig von deren Verhalten unterstützen, sondern habe zu überlegen, wie man "auf Israel einwirken" könne. Diese Drohungen gehen einher mit einer Umorientierung der deutschen Nahostpolitik auf die Palästinenser: So wurde Israel im Frühjahr 1996 von der Liste der Länder gestrichen, die deutsche Entwicklungshilfe erhalten, während Deutschland der größte Geldgeber für die autonomen Gebiete ist; selbst in der Unionsfraktion und in der FAZ gibt es offene Unterstützung für einen eigenen Palästinenserstaat.

Diese Umorientierung entspricht den Bonner Wirtschaftsinteressen. Die deutsche Exportindustrie, insbesondere der Maschinenbau und die Chemie-Industrie, braucht den arabischen Absatzmarkt und will deshalb die Sanktionen gegenüber Iran, Irak und Libyen nicht mittragen. Kinkels Unterstützung für Arafat und Schmidbauers Kollaboration mit den Mullahs dienen als Visitenkarte für deutsche Geschäftsleute beim Antichambrieren zwischen Ankara, Tripolis und Islamabad. Das US-Kapital fährt die entgegengesetzte Strategie. Da es im zivilen Bereich gegen die Europäer nicht konkurrieren kann, muß es an einer Fortdauer der Spannungen im Nahen Osten interessiert sein - das garantiert einen gleichbleibend hohen Absatz von US-Rüstungsgütern in der Region; zur Bezahlung liefern Saudi-Arabien und die Scheichtümer Jahr für Jahr Milliarden Petrodollars als Schutzgelder beim militärisch-industriellen Komplex der USA ab.

Auch die von Washington periodisch inszenierten Nahostkrisen können für Israel gefährlich werden. Der fehlgeschlagene CIA-Putsch im August 1996 im Irak, notdürftig kaschiert durch Cruise Missile-Schläge gegen Bagdad und für Oppositionsführer Newt Gingrich "ein arabisches Schweinebucht-Debakel", war ein ungeheurer Prestigegewinn für Saddam Hussein und ein "direkter Auslöser" (Washington Post) der Unruhen im Westjordanland. Dennoch ist die von Bonn mit Friedensgesäusel geölte deutsch-arabische Achse für den jüdischen Staat gefährlicher: Diese Völkerfreundschaft versorgt Regime, deren erklärtes Ziel die Vernichtung der "zionistischen Teufel" ist, mit Komponenten für Massenvernichtungswaffen und trägt auch im rein zivilen Bereich zur Stabilisierung der wirtschaftlich lädierten Mullah-Herrschaft in Teheran - des größten Sponsors des Nahost-Terrorismus - bei.

Die Einstellung der Deutschen zu Israel - weitgehend identisch in der Bevölkerung und bei den Eliten - folgte in der gesamten Nachkriegsgeschichte einem gleichbleibenden Muster. Die Kontinuität des Antisemitismus wurde immer dann sichtbar, wenn Israel seine Interessen "gegen uns" anmeldete ("Wiedergutmachung", Verjährung von Nazi-Verbrechen, Bestrafung von Rüstungskriminellen, Kritik an Nazi-Kontinuitäten in Staat und Gesellschaft). Sympathie für den jüdischen Staat war dann gegeben, wenn Israel "für uns" agierte (so in den prowestlich rezipierten Kriegen 1967 und 1973). Der Philosemitismus resultiert also nicht aus der Trauer über die von Deutschland an den Juden begangenen Verbrechen, sondern hat den gleichen Ausgangspunkt wie der Antisemitismus: das "deutsche Interesse". Auf dieser Grundlage sind die Differenzen der Philosemiten zu den offenen Antisemiten zweitrangig und vorübergehend. Hinzu kommt: Mit dem Ende der Bipolarität und dem deutschen Aufstieg zur Weltmacht veränderten sich zwei außenpolitische Determinanten, die das "deutsche Interesse" bisher mit dem amerikanischen und dem israelischen koppelten.

Dan Diner stellte bereits 1991 ganz richtig fest: "Kein Wunder, daß die plötzliche historische Kehre, die das Ende des Kalten Kriegs markiert, die über Amerika vermittelte Bindung zwischen der Bundesrepublik und Israel jäh zerriß - auch wenn es noch eine merkliche Weile dauern dürfte, bis die eingetretene Zäsur zu verspüren sein wird. Das neue Deutschland bedarf der Vereinigten Staaten nicht mehr - und auch nicht jener jüdischen Instanz, die mit Rücksicht auf US-amerikanische Stimmungen gepflegt wurde. Und so wie die Bindung zwischen der alten Bundesrepublik und Israel aus dem historischen Gegensatz zwischen Juden und Deutschen erwachsen war, so wird die jetzt veränderte Weltkonstellation die historische Entgegensetzung erneuern, sowohl was deren politischen, als auch kulturellen Gehalt anbelangt. Denn während der Krieg am Golf für Deutschland einen inneren Souveränitätsgewinn zu Ungunsten des westlichen Westens bedeutete, war er für Israel mit einem realen Souveränitätsverlust verbunden."