Maria Mies

»Regionalisierung statt Globalisierung!«

Die Welt als globale Freihandelzone - das könnte bald Wirklichkeit werden, sollte das Multilaterale Abkommen für Investitionen (MAI) in Kraft treten. Seit drei Jahren verhandeln die 29 Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris über das Abkommen. Das MAI sieht weitreichende Regelungen zum Schutz von Kapitalanlage im Ausland vor und räumt ausländischen Unternehmen gleiche Rechte wie einheimischen Betrieben ein. Multinationale Konzerne könnten vor Gerichte klagen, wenn sie sich durch die nationale Gesetzgebung benachteiligt sehen. Die Kritiker befürchten, der völlige Verlust nationaler Souveränität beseitige auch jede Möglichkeit, soziale und ökologische Auflagen durchzusetzen. Doch für ihre Argumentation haben sie unliebsame Sympathie erhalten - mittlerweile haben auch Nationalisten das Thema für sich entdeckt. Am 25. April findet in Bonn eine bundesweite Konferenz gegen das Abkommen statt. Eine der Initiatorinnen der Anti-MAI-Kamapagne ist Maria Mies, emeritierte Professorin für Soziologie an der Fachhochschule Köln. Sie bezeichnet sich selber als Ökofeministin und wurde bekannt durch ihre Arbeiten über Subsistenzproduktion in den Ländern der sogenannten Dritten Welt.

Dem MAI wird vorgeworfen, es liefere die Nationalstaaten an die Multis aus. Aber auch ohne dieses Abkommen investieren Konzerne nicht oder ziehen ihr Kapital ab, wenn sie keine günstigen Voraussetzungen vorfinden - was ist also daran neu?

Das Problem scheint mir darin zu liegen, daß Auslandsinvestitionen zum wichtigsten Wachstumsmotor überhaupt erklärt werden. Alle glauben an dieses Dogma - das gilt auch für die sogenannten Entwicklungsländer. In Deutschland wird dies vom Wirtschaftsministerium pausenlos betont, um den Standort zu retten. Wenn die Investoren ausblieben, wäre dies im Sinne der neoliberalen Politik eine schwere Strafe.

Diese Strafe gibt es doch jetzt schon.

Das ist richtig. Die Bundesregierung beteuert auch, daß das MAI keine grundsätzlichen Veränderungen bedeuten würde - nach den bestehenden Gesetzen kann ein ausländischer Investor beispielsweise seine Gewinne vollständig aus der Bundesrepublik abziehen. Eine Ausdehnung dieser Regelung auf die sogenannte Dritte Welt, wie es das MAI vorsieht, wäre jedoch verheerend. Dort wird immer noch verlangt, daß ein Teil der Gewinne im Gastland zu investieren sind, um bestimmte Entwicklungsziele zu realisieren. Solche Auflagen wären mit dem MAI unmöglich.

Selbst in den südlichen Ländern, zum Beispiel in Lateinamerika, sind diese Auflagen heute eher die Ausnahme.

Aber mit dem MAI hätten diese Länder überhaupt kein Möglichkeit mehr für eine eigene Wirtschaftspolitik. Diese Länder haben dann nur noch die Funktion, als Standorte für die Gewinnproduktion der Multis zu dienen - wie das in den Freihandelszonen jetzt schon überall passiert.

Die Einhaltung dieser Vereinbarungen könnte nur von einer internationalen Instanz überprüft und durchgesetzt werden - und so eine Organisation existiert noch gar nicht.

Das MAI sieht vor, so eine Instanz zu schaffen - eine internationale Streitschlichtungsstelle, die außerhalb staatlicher und parlamentarischer Kontrolle liegt und sich hauptsächlich aus Vertreter der Wirtschaft zusammensetzt. Die Konzerne würden dort wie juristische Personen behandelt und könnten gegen die jeweiligen Staaten klagen, wenn ihnen durch die nationale und subnationale Gesetzgebung wirtschaftlicher Schaden entsteht.

Und wer sollte diese Schiedssprüche durchsetzen?

Es wird sicherlich keine Weltpolizei geben. Aber die Regierungen, die gegen das Abkommen verstoßen, müßten dann mit Wirtschaftssanktionen der anderen Teilnehmerstaaten rechnen. Wie das im einzelnen aussehen könnte, ist noch nicht ganz klar.

Wäre dies zu verhindern, wenn die Nationalstaaten weiterhin ihre nationale Souveränität behielten? In Großbritannien hat die Regierung Thatcher ganz souverän eine völlige Deregulierung des Arbeitsmarktes durchgesetzt, wie es auch die OECD nicht extremer fordern könnte.

Genau gegen diese Politik wenden wir uns. Sie hat zu einer extremen Polarisierung geführt. Den berühmten "Trickle-Down"-Effekt - wenn es den Eliten gut geht, profitieren auch die unteren Gesellschaftsklassen - gibt es nicht, das ist eine Lüge.

Die Frage war, ob Nationalstaaten überhaupt eine Instanz darstellen, an die man appellieren sollte.

Die Frage ist berechtigt - welche Instanz ist noch in der Lage, die Bevölkerung vor dem Staat zu schützen, wenn dieser nur noch Erfüllungsgehilfe der Multis ist? Das MAI geht davon aus, daß sich Regierungen wie Multis verhalten - als ob die jeweiligen Länder und die Volkssouveränität ihr Privatbesitz seien, den sie zu beliebigen Konditionen verkaufen könnten. Umgekehrt verhalten sich die Konzerne wie Regierungen - sie können den Staaten vorschreiben, welche Gesetze sie zu machen haben. Das heißt, die bisherige Definition des Nationalstaats ist überholt. Die Alternative, die in der Widerstandsbewegung sichtbar wird, ist, daß ein ganz anderer Begriff von Souveränität und neue Konzepte von Demokratie entstehen könnten - daß die Menschen die Wirtschaft bestimmen und nicht die Konzerne. Und dies ist auch jenseits des Nationalstaates denkbar, das kann auch in einer Region oder einer Stadt geschehen. In Kanada haben sich zum Beispiel ganze Provinzen zu MAI-freien Zonen erklärt. Die Alternative Globalisierung versus Nationalstaat ist überholt. Statt Globalisierung setzten wir auf Regionalisierung, aber nicht unter der Führung des Kapitals.

Aber zunächst richtet sich unser Protest gegen die Politik der Multis. Und natürlich wenden wir uns auch an die Parlamente: Sie sollen endlich aufwachen und sich informieren, was sie da unterzeichnen werden. Das heißt aber nicht, die Nationalstaaten zu glorifizieren und sie als einzige Alternative zu betrachten.

Die Warnung vor einer Aufgabe des Nationalstaates wird auch von Rechts formuliert - in Frankreich sieht etwa der Front National die nationale Kultur durch das MAI bedroht.

Diese Gefahr sehe ich auch. Es ist fast unvermeidlich, daß rechte Gruppen ebenso wie Linke sagen: Das MAI geht zu weit, was geschieht mit unserer Souveränität und Selbstbestimmung? Daher ist es wichtig klarzumachen, daß wir zwar gegen die Globalisierung durch das Kapital sind, aber deswegen nicht den Nationalstaat alter Prägung befürworten. Wir sind InternationalistInnen.

Welche rechten Organisationen haben sich hier den Protesten gegen das MAI angeschlossen?

Soviel wir wissen, sind es vor allem der Bund freier Bürger und die Republikaner.

Glauben Sie nicht, daß in jeden Diskurs, der dem Nationalstaat emanzipatorische Eigenschaften unterstellt, der grundsätzliche Fehler eingebaut ist, daß er auch von Rechts benutzt werden kann?

Unser Widerstand gegen das MAI spricht dem Nationalstaat keine emanzipatorischen Eigenschaften zu. Ich als Frau habe nie auf den Staat vertraut. Das Problem ist wahrscheinlich ein spezifisch deutsches. In Frankreich regt sich niemand darüber auf, daß für die nationale Kultur gekämpft wird. Wenn wir das in Deutschland zum Thema machen würden, wären wir sofort als Faschisten verschrien. Bei uns wirkt das wie ein Denkverbot - und dagegen wehre ich mich. Es muß möglich sein, die Globalisierung zu bekämpfen und gleichzeitig die Rechte der Arbeiter, der Frauen und der Umwelt einzuklagen - und solange wir nichts anderes geschaffen haben, müssen wir uns auch an die Parlamente der Länder wenden. Das heißt aber noch lange nicht, daß wir NationalchauvinistInnen sind.

Was erhoffen Sie sich von dem Anti-MAI-Kongreß am 25. April?

Wir wollen damit vor allem die Öffentlichkeit erreichen und eine kritische Auseinandersetzung über das MAI in die Medien tragen. Was darüber hinaus geschehen soll, müssen wir sehen. Darüber wird auch der Kongreß entscheiden.