Sanktionspoker um Kosovo

Die USA drängen auf schärfere Maßnahmen gegen Belgrad. Gleichzeitig werden mit bevorzugter Behandlung Montenegros separatistische Tendenzen gestärkt

Chronisten mögen genau mitgezählt haben, wieviele Ultimaten Slobodan Milosevic seit dem Beginn seiner Karriere schon hat verstreichen lassen. Während der Kosovo-Krise war es bisher erst eins. Aber nachdem der jugoslawische Präsident die Forderung der internationalen Bosnien-Kontaktgruppe nach Abzug der serbischen Polizeisondereinheiten und der jugoslawischen Armee aus dem Kosovo bis zur letzten Woche nicht erfüllt hatte, räumte die Gruppe dem jugoslawischen Präsidenten nun eine weitere Frist ein. Bis zum 9. Mai gaben die politischen Direktoren der jeweiligen Außenministerien Milosevic die Möglichkeit, der schon Ende März aufgestellten Forderung nach Verhandlungen mit den Kosovo-Albanern unter internationaler Vermittlung nachzukommen.

Gleichzeitig vereinbarten Rußland, die USA, Großbritannien, Frankreich, Italien und die BRD auf der Kontaktgruppentagung vergangene Woche in Rom, Milosevics Haltung mit der Sperrung serbischer Auslandsguthaben zu sanktionieren. Sollte die gesetzte Frist ergebnislos verstreichen, werde außerdem ein Investitionsstopp gegen Serbien verhängt. Milosevic dürfte das kaum treffen. Schon das Ende März von den Vereinten Nationen durchgesetzte Waffenembargo konnte ihn nicht davon abbringen, eine internationale Vermittlung zwischen Serbien und den Kosovo-Albanern abzulehnen. Mit der Ankündigung, serbische Auslandskonten einzufrieren, wird dies der Kontaktgruppe noch weniger gelingen. Das meiste Geld dürfte längst von den Konten abgezogen und in Sicherheit gebracht worden sein.

Seit Beginn der Kosovo-Krise Anfang März ist es Milosevic gelungen, seine innenpolitische Position zu festigen. Mit der Ernennung des Faschisten Vojislav Seselj, dem stärksten Gegner von Milosevics Sozialisten um die serbische Präsidentschaft im vergangenen Winter, zum Vizepremier konsolidiert sich die serbische Regierung erneut auf nationalistischer Grundlage. Die Koalition zwischen Seselj und Milosevic ist die Wiederbelebung des Bündnisses von 1992, das damals zur propagandistischen Vorbereitung auf den Bosnien-Krieg diente. Mit dem Schachzug, seinen stärksten Rivalen ins Kabinett zu holen, kann sich Milosevic sicher sein, die nationalistische Klientel bei der Stange zu halten. Seselj darf derweilen den Bluthund spielen, was Milosevic selbst durch die Rücksichtnahme auf diplomatische Gepflogenheiten verwehrt ist. Mit Seseljs Drohung an die Kosovo-Albaner, sie hätten im Falle eines Krieges mehr zu verlieren als die Serben, dürfte auch Milosevic konform gehen.

Doch nicht nur die Ultra-Nationalisten konnte der Präsident in seinen Anti-Verhandlungskurs einbinden: Unabhängig von der breiten Zustimmung, mit der die serbische Bevölkerung ihn gegenüber der Kontaktgruppe bestärkte, keine internationale Vermittlung zuzulassen, hat er in zwei Punkten auch die Unterstützung der bürgerlichen Opposition gewonnen. Sowohl der frühere Belgrader Bürgermeister Zoran Djindjic wie die Vorsitzende der serbischen Bürgerallianz, Vesna Pesic, sprechen sich gegen neue Sanktionen aus. Ihr Aufruf zum Boykott des Referendums verpuffte ebenso wirkungslos wie es ihrer Forderung nach Rücktritt Milosevics ergehen dürfte. Sollte er in den nächsten sechs Monaten doch noch einen ausländischen Vermittler zu Gesprächen mit den Kosovo-Albanern ins Land lassen, müßte er, so Pesic im Gespräch mit Jungle World, zur Wahrung seiner Glaubwürdigkeit zurücktreten. Vuk Draskovic schließlich, der Dritte aus dem 1997 zerbrochenen Zajedno-Bündnis, unterstützt Milosevic inzwischen sogar darin, den Kosovo-Konflikt als ausschließlich innerserbisches Problem zu behandeln, bei dem es keinerlei Vermittlung von außen bedürfe.

In Erklärungsnöten steckt deshalb weniger Milosevic als die Kontaktgruppe selbst. Insofern scheint die Verlängerung des Ultimatums nicht an den jugoslawischen Präsidenten gerichtet, sondern an die Diplomaten innerhalb der Gruppe. Sollte Milosevic - wovon auszugehen ist - einer internationalen Vermittlung bis zum 9. Mai nicht zustimmen, werden die Differenzen zwischen den USA und den westeuropäischen Kontaktgruppenländern offen zutage treten.

Bereits im Vorfeld der Tagung hatte ein Sprecher des US-amerikanischen Außenministeriums angedeutet, daß Washington für den Fall eines Fehlschlags in Rom auch zu unilateralen Schritten bereit sei, um dann "ein bißchen unabhängiger operieren" zu können. Stimmen ranghoher Regierungsvertreter zufolge war die Clinton-Administration nach dem Treffen der Kontaktgruppe am 25. März in Bonn "entmutigt". Die USA hatten auf ein entschiedeneres Vorgehen gedrängt als die anderen Mitglieder der Gruppe mitzutragen bereit waren. Allein Großbritannien hatte, ähnlich wie in der Irak-Krise, dem US-Kurs zugestimmt.

Die Androhung schärferer Sanktionen für den 9. Mai dürfte deshalb in erster Linie auf Druck der USA zustande gekommen sein. Frankreich - gemeinsam mit Italien bislang eher der russischen Position zugeneigt, es bei den gegenwärtigen Sanktionen zu belassen und eine "politische Lösung" zu suchen - sprach sich am Wochenende überraschend für zusätzliche Strafmaßnahmen aus. Eine Sprecherin des französischen Außenministeriums räumte aber ein, daß dies erst auf die Drohung der USA hin geschehen sei, die Kontaktgruppe anderenfalls zu verlassen.

Mit der Ankündigung, "keine Einigung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner" zu suchen und gegebenenfalls "wesentlich mehr Führungsgeist" zu zeigen, setzt Washington auf das vermeintliche diplomatische Patentrezept von Zuckerbrot und Peitsche: Einerseits soll Milosevic dazu ermuntert werden, einen Dialog mit den Kosovo-Albanern zu beginnen, zugleich aber hart bestraft werden, wenn er seine gewaltsame Politik in der südserbischen Provinz fortsetzt. Daß sich Frankreich trotz erheblicher Bedenken - die Sanktionen könnten die gesamte Region in Mitleidenschaft ziehen, weshalb sich alle Nachbarstaaten Jugoslawiens ungeachtet ihrer politischen Haltung zum Kosovo-Konflikt gegen ein neues Wirtschaftsembargo ausgesprochen haben - nun auf die Seite der USA gestellt hat, schafft eine neue Konstellation innerhalb der Kontaktgruppe.

Mit Rußland und Italien, das in jüngster Zeit in Serbien investiert hat, stehen zwei Befürworter weicher Maßnahmen nun den US-Hardlinern, den Briten und den Franzosen gegenüber. Isoliert dazwischen: Bonn. Auch wenn eine Angleichung an die US-Position bis zur nächsten Sitzung der Gruppe wahrscheinlich ist, gibt es doch Hinweise darauf, daß die BRD den Kosovo-Konflikt zur Stärkung der eigenen Position auf dem Balkan nutzen könnte. Im Mittelpunkt solcher Überlegungen dürfte derzeit der Präsident Montenegros, Miro Djukanovic, stehen, der Außenminister Klaus Kinkel noch am Tag vor dem Kontaktgruppentreffen in Rom einen Besuch in Bonn abstattete.

Die internationalen Diplomaten einigten sich darauf, Montenegro von den Sanktionen auszunehmen und damit die pro-westliche Haltung des stärksten innerjugoslawischen Rivalen Milosevics zu honorieren. Befürchtungen, mit diesem Vorgehen könnte der Zusammenhalt des jugoslawischen Staatenverbands weiter erschüttert werden, gewannen dadurch jedoch neues Gewicht. Djukanovic sieht sich zwar nicht zu einem montenegrinischen Separatismus gedrängt. In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau räumte er letzte Woche jedoch ein, daß es im Wahlkampf zu den Ende Mai stattfindenden Wahlen zum montenegrinischen Parlament zu schärferen nationalistischen Auseinandersetzungen kommen könnte. Momir Bulatovic, Milosevics Statthalter in Podgorica und Vorgänger Djukanovics, hatte ihm bereits in den letzten Wochen vorgeworfen, mit der Aufnahme albanischer Flüchtlinge die Separatisten im Kosovo zu unterstützen.

Das Lavieren der USA zwischen Milosevic und seinen innerstaatlichen Gegnern in der Kosovo-Krise zeigt einmal mehr, daß die US-Strategie für Jugoslawien in sich widersprüchlich ist. Mit der Festlegung auf den Erhalt des jugoslawischen Staatenverbands kommt keine Stabilisierungsinitiative Washingtons für die Region an Milosevic vorbei. Bei der Durchsetzung ihres Ziels, den Autonomiestatus des Kosovo wiederherzustellen, müssen die USA also vermeiden, daß bei den Kosovo-Albanern der Eindruck entsteht, US-Diplomaten würden ihnen in ihrem Unabhängigkeitsstreben in einer der Bosnien-Operation vergleichbaren Weise zur Seite springen.

Während die USA für die Kosovo-Albaner lediglich eine Rückkehr zum alten Autonomiestatus als ultima ratio bereithalten, dürfte Kinkel den von der FAZ angestellten Überlegungen nicht abgeneigt sein: "Rätselhaft ist dabei, warum ein Kosovo unter fortgesetzter Belgrader Herrschaft mit fast zwei Millionen frustrierten und kujonierten Albanern zur Stabilität der Region mehr beitragen soll als irgendeine andere Lösung der Statusfrage", griff das Blatt vergangene Woche offen die Haltung der USA an. Und setzte eine Sezession des Kosovo auf die Tagesordnung: "Das wahrscheinlichste Szenario ist deshalb, daß ein Krieg im Kosovo kurz und schrecklich sein wird. Jeden Schuß der Kosovo-Albaner werden serbische Polizei und jugoslawische Armee mit einem Granathagel vergelten. Und dann wird sich die Friedhofsstille über die lieblichen Hügel des Amselfeldes legen."