Keine Hürden für Herrn Höppner

Sachsen-Anhalts PDS setzt nach dem Platzen der Großen Koalition auf antifaschistische Einheit und verzichtet bei der Tolerierung einer SPD-Minderheitsregierung auf eigene Bedingungen

Über den Ausgang gab es schon vor der Abstimmung keine Zweifel: Der Parteitag empfiehlt "den Abgeordneten der Landtagsfraktion der PDS die Wahl des SPD-Ministerpräsidenten für den Fall zuzusagen, daß eine Koalition mit der CDU ausgeschlossen ist". Bedingungen: Keine. Doch. Vorstand und Fraktion hätten gerne ein Gespräch mit Landeschef Reinhard Höppner, bevor man eine Minderheitsregierung seiner Partei toleriere, ließ die Fraktionsvorsitzende Petra Sitte wissen. Mehr nicht, schließlich wollen Sachsen-Anhalts Sozialisten dem selbst in den eigenen Reihen umstrittenen Sozialdemokraten "keine Hürden" in den Weg stellen.

Gegen die Angriffe aus der Bonner Parteizentrale und vor allem der Union habe man Höppner in Schutz nehmen müssen, erläutert der Landtagsabgeordnete Matthias Gärtner. Schon das erste Signal kam von seiner Gruppe. Bereits eine Woche nach der Landtagswahl hatte die AG Junge GenossInnen Sachsen-Anhalt auf einem Landestreffen ihre Magdeburger Parlamentarier aufgefordert, Höppner im ersten Wahlgang zum Ministerpräsidenten zu wählen. Nach dem Wahlerfolg der DVU brauche es "ein breites linkes außerparlamentarisches und parlamentarisches Bündnis aus Gewerkschaften, antifaschistischen Gruppen, Jugendorganisationen, Flüchtlingsvereinen, Bündnis 90 / Die Grünen, SPD und PDS".

Noch auf dem Landesparteitag am vergangenen Wochenende war zu spüren, wie den Genossen und Genossinnen das Abschneiden der Rechtsextremen in den Knochen saß. Folglich herrschte denn auch Einmütigkeit, als über den Leitantrag "Bündnis gegen Rechts. Jetzt!" abgestimmt wurde. Lediglich ein Delegierter aus den Reihen der Kommunistischen Plattform (KPF) votierte gegen das Kurzprogramm, in dem die PDS ihre bisher eher an traditionellen Faschismusanalysen orientierten Einschätzung um neue Aspekte erweitert - eine in der Tat bemerkenswerte Entwicklung, auf die man in anderen Landesverbänden der Sozialisten bislang vergeblich wartet.

So heißt es in dem Antrag, soziale Ursachen von Protestwahlverhalten dürften nicht davon ablenken, daß Rechtsextremismus zur wählbaren Alternative geworden sei. Und: Rechtsextreme und neofaschistische Entwicklungen der Vergangenheit wie der Gegenwart hätten immer auch "einen individuellen, einen subjektiven Faktor". Latente Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz, Intelligenzfeindlichkeit, Obrigkeitsdenken, persönlicher Egoismus und Sündenbocksuche stünden am Anfang faschistischer Denkmuster, die "in der Mitte der Gesellschaft gedeihen".

Eine Reduzierung rechtsradikaler Wähler auf die Rolle verführter Opfer ist, daran wollte zumindest kaum ein Redner oder eine Rednerin im Magdeburger Büro- und Tagungscenter einen Zweifel lassen, mit der sachsen-anhaltischen PDS nicht zu machen. Birke Bull, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Mitverfasserin des Antrages, erklärte mit Blick auf die DVU-Propaganda: "Es war deutlich, auf wessen Kosten die soziale Frage gelöst werden sollte." Die Wähler und Wählerinnen hätten sich bewußt für rechtsextremen Protest entschieden. Gegen weitere "akzeptierende Sozialarbeit" mit rechtsradikalen Jugendlichen sprach sich Matthias Gärtner aus. Neonazis hätten schließlich genau dort den stärksten Einfluß, wo sie sich in staatlich finanzierten Jugendzentren breitmachen konnten. Notwendig sei hingegen, in den Medien, an den Schulen und mit Veranstaltungen vor Ort präsent zu sein, um dem dominierenden Alltagsverständnis, nachdem es schick sei, rechts zu sein, "liberale und geistreiche Lebensvorstellungen entgegenzusetzen". Unbeachtet verhallte da die Stimme eines Delegierten, der den Hauptschuldigen bei DVU-Chef Frey und kapitalen Hintermännern sucht: "Die DVU kommt aus München, nicht aus Berlin oder Magdeburg."

Ob die neuen Ansätze mit den Sozialdemokraten umzusetzen sind, darf freilich bezweifelt werden, auch ohne den Blick eigens auf die penetranten Wahlparolen aus der Bonner SPD-Zentrale zu lenken. Denn während sich dort ein Kanzlerkandidat Gerhard Schröder alle Mühe gab, auf Distanz zu den Rotsocken zu gehen, hat Sachsen-Anhalts Innenminister Manfred Püchel bereits im Land vorgearbeitet, um die Demokratischen Sozialisten in die Schranken zu weisen: Just zu Beginn des PDS-Parteitages ließ er via Mitteldeutsche Zeitung wissen, daß angesichts des DVU-Wahlerfolges die 1995 beschlossenen Personalkürzungen beim Verfassungsschutz zurückgenommen werden müßten - für PDS-Parlamentarierin Birke Bull ein "kurzfristiger Schluß", der die "eigentlichen Ursachen für das Wahlergebnis" unterschätzt. Und ein "problematisches Signal am Beginn des Magdeburger Modells", zählt doch der Beschluß zu den wenigen vorzeigbaren Erfolgen, auf die die Sozialisten nach vier Jahren Tolerierung zurückblicken können. Zwar konnte die Landtagsfraktion durch Vorabsprachen bei Haushaltsabschlüssen rund 400 Millionen Mark an geplanten Kürzungen bei kommunalen Investitionen verhindern, einen Sanierungsfonds für in Not geratene Betriebe durchsetzen, ein Jugendprogramm mit rund 300 Arbeitsplätzen für Sozialarbeiter schaffen und die Pro-Platz-Pauschale für Kindertagesstätten hochtreiben, doch damit war dann auch schon Ende der Fahnenstange. In anderen Bereichen ging die Partei bislang praktisch leer aus.

Daß man nun dennoch weder auf der Forderung nach einer Absetzung des Ex- Treuhandmanagers und jetzigen Wirtschaftsministers Klaus Schucht noch auf einen schriftlichen Vertrag besteht, um Höppners Minderheitsregierung zu tolerieren, dürfte allerdings nicht ausschließlich der notwendigen Front gegen den Neonazismus geschuldet sein. Vorwürfe wie "Tolerierung zum Nulltarif" machten zu Recht bereits vorher die Runde.

So räumt die sachsen-anhaltische PDS-Vorsitzende Rosemarie Hein denn auch ein, sie habe auf Wahlveranstaltungen "ziemlich viel Dresche für die eingegangenen Kompromisse" bekommen. Nun wolle man aber nicht mehr "hinter die Ergebnisse von 1994-1998 zurück", erklärte sie optimistisch und hofft auf einen "qualitativen Zuwachs an wirksamen politischen Veränderungen" gegen die Bonner Politik des Sozialabbaus.

Im eigenen Bundesland allerdings, so machte der PDS-Politiker Frank Beier vergangene Woche deutlich, will man "ausdrücklich auch mit der CDU gegen Rechtsradikalismus" zusammenarbeiten, auch wenn sich die Wahlaussagen der Union laut PDS-Leitantrag "in der Nähe zu Parolen der DVU" befindet. Die CDU selbst will freilich in Bonn und Magdeburg wenig von der rot-schwarzen antifaschistischen Verbrüderung wissen. Im Gegenteil hatte Unionspfarrer Peter Hintze pünktlich zum Parteitag für Stimmung gesorgt: Er verglich die PDS indirekt mit der NSDAP.