Zu alt, zu schrill, zu Jelinek

Das deutsche Feuilleton ist unzufrieden mit der diesjährigen Büchnerpreisträgerin.

Nach Marcel Reich-Ranicki ist Literatur, die keine Geschichte erzählt, keine Literatur. Dieses Diktum sorgt seit Jahren für eine Krise in der deutschsprachigen Literatur: Die Autoren können nicht mehr erzählen, kann man fast jede Woche irgendwo nachlesen. Deshalb sind die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und ihr in die Berliner Zeitung verlängertes Feuilleton sehr unzufrieden mit der diesjährigen Büchnerpreisträgerin, denn die kann alles mögliche, nur keine Geschichten erzählen, und so zermalmen Thomas Steinfeld (FAZ) und Robin Detje (Berliner Zeitung) die Autorin, ohne sie zu verreißen, denn, wer weiß: Man könnte selbst zum Zitat werden.

"Österreich", setzt die FAZ an, "ist das Schimpfland der deutschen Literatur geworden, und es ist zumindest sonderbar, wenn dieser Furor immer wieder belohnt wird." Der Furor ist diesem Falle eine Furie namens Jelinek. Sie habe ein "großes Gespür für Provokationen", also kann es sich schon mal nicht um Literatur im eigentlichen Sinne handeln. Da will eine nur rumstänkern und den Marktwert steigern, und deshalb kann es "sie nicht gestört haben, daß der Roman 'Lust' seines Themas wegen ein Bestseller wurde, an dem die meisten Leser eben wegen der Sprache gescheitert sein dürfte." Auch das noch. Das Publikum ist ihr also scheißegal.

Die Sprache der Avantgardistin, die Bestseller mit irreführenden Titeln schreibt, deren Inhalt keiner versteht, ist eine, "die den Affekt unterdrückt, indem sie ihm die Form von lauter Phrasen und Kalauern gibt, die sich gegenseitig anstoßen wie Billardkugeln". Diese phrasendreschend-kalauernde Verklemmte schreibt, wie die Berliner Zeitung zu berichten weiß, "wenig dramatisch aneinandergereihte Prosastücke" , die sie Deppen wie Claus Peymann und Einar Schleef als "Theaterstücke" verkauft; bei jedem dieser Theaterstücke ist sie "ebenso fasziniert wie abgestoßen von den Exerzitien der Gemeinheit, der Geilheit und der Lust am eigenen Schmerz", bestätigt die FAZ die schlimme Diagnose. Und das, obwohl den "Provokationen" dieser voyeuristisch-exhibitionistischen Sado-Masochistin "keine Not, sondern ein Wille zugrundeliegt". Sie ist also nicht einmal von irgendwas betroffen!

Mag auch "der Haß sie ins Schreiben treiben" (FAZ), genießt die grundlos Vergrätzte es doch auch ein bißchen, von Haiders FPÖ "als beispielhaftes österreichisches Haßobjekt plakatiert" und in einem Gedicht geschmäht zu werden, weshalb sie es "stolz empört" (Berliner Zeitung) auf ihre Homepage stellt: Daß es noch einige Zeit dauern werde, bis "sich verzogen der Gestank/ des wahrlich penetranten Drecks/ der Mühls, Turrinis, Jelineks", bedauerte anläßlich Peymanns Abschied vom Burgtheater die Neue Kronenzeitung.

Die FAZ drückt sich gewählter aus und nennt Jelinek nicht Nestbeschmutzerin, sondern "negative Heimatdichterin". Früher hat sie mal Klavier, Orgel und Komposition studiert, aber was ist aus ihr geworden? "Die Klavierspielerin ist längst zu einer Virtuosin des schrillen Tons geworden, die über jedes Thema variieren kann" (FAZ). Eine Virtuosin, immerhin. Was macht sie draus? Variiert über jedes hergelaufene Thema, weil "dieser Ekel so groß ist, daß keine Lust dagegen bestehen kann".

Das Problem also ist "der schrille Ton" (FAZ) der Dame, die nie die sonore Stimme eines Thomas Bernhard erreichen wird, weil sie kein Mann ist. Die "Angefeindete" lebt (noch) in Wien und "definiert sich über den Grad der Abneigung, die man ihr entgegenbringt", weiß die Berliner Zeitung und erläutert: "Wenn Elfriede Jelinek sich gehaßt fühlt, bildet sie sich das nicht einfach ein" - sprich: sie ist nur leicht hysterisch - aber, auch da kennt man sich schließlich aus, "natürlich ist in der Feindschaft auch eine Heimat". Die ruckzuck versöhnte, offenbar leicht paranoide Person versteckt sich hinter "dunkel-deutschen Zitat-Montagen und liefert den intellektuellen Apparat für ihre Prosa immer gleich mit" (Berliner Zeitung). Den hatte man aber doch gar nicht bestellt, den intellektuellen Apparat. Zurück zur Absenderin.

Für die Intellektuelle - ein deutsches Schimpfwort - ist "der Weg vom 'Sportstück' zum Sportpalast kurz", und in "jedem Geschlechterverhältnis vermutet sie den Terror" (FAZ), denn die Männer- und Heimathasserin bezieht "ihre Kraft vor allem aus dem Empörungszusammenhang der radikalen siebziger Jahre" (Berliner Zeitung).

Die Retroliteratin "Elfriede Jelinek" (FAZ und Berliner Zeitung), die "verfremdet, indem sie übertreibt" (FAZ), "findet diffizilste und gröbste private Verletzungen in politischen Umständen widergespiegelt und empört sich, schon weil sie damit von sich selber ablenken kann" (Berliner Zeitung). Die bigotte Du-das-Private-ist-politisch-Alt-68erin ist "im Grunde überzeugt davon, daß es so etwas wie einen alltäglichen Faschismus gibt" - wie kann sie nur darauf verfallen sein? -, weshalb "man an den Gründen der Aggressivität zweifelt, mit der Elfriede Jelinek ihre Werke ausstattet", klärt uns die FAZ auf: "Als politische Diagnose" jedenfalls kann "dies nicht weit tragen", und die Berliner Zeitung ergänzt: "So schön sie es manchmal fände, als 'politische' Autorin klassifizierbar zu sein, den alten Allianzen zuliebe".

Das ehemalige KPÖ-Mitglied aber "sprengt in ihren Arbeiten diesen Rahmen und produziert wieder nur Kunst", frohlockt die Berliner Zeitung, "nur Kunst". Wenigstens ist von ihr nichts zu befürchten.

Jetzt die schlechte Nachricht: "Elfriede Jelinek erhält in diesem Jahr den Büchnerpreis" (FAZ), womit die Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung die "gefährliche Entspannungsattacke" (Berliner Zeitung) im Verhältnis Jelinek-Gesellschaft fortsetzt, die Schleef mit seiner Burgtheater-Inszenierung des "Sportstücks" begonnen habe: "Ein bißchen ist es, als habe Einar Schleef Elfriede Jelinek aus ihrem Empörungszusammenhang erlöst." Aber hat die Büchner-Jury auch richtig hingehört? Hat sie an die Nebenwirkungen gedacht? Natürlich nicht. "Daß aber überhaupt noch etwas tönt, daß irgendeine Dichtung zu wirken scheint, muß der Akademie als preiswürdig gegolten haben", rügt das Frankfurter Laiengericht. Klar, die Dame "scheint ihre Technik gefunden zu haben". Sozial-prognose (ungünstig): "Sie wird sich wiederholen."

Wiederholungen sind aber keine Kunst, die kennen wir nämlich aus dem Fernsehen. "Das ist ein trauriges Urteil zur Lage der deutschsprachigen Literatur", bekümmert sich die pessimistische FAZ: "Jetzt grast man die mittleren Halme ab, nachdem von den großen keiner mehr steht". Aber halt, stopp, kein Grund für Depressionen, da stehen ja noch welche ohne Büchner-Preis rum - "W.G. Sebald, Brigitte Kronauer, Ror Wolf, Robert Gernhardt". Aber ragt da nicht "Ingo Schulz" ins deutsche Feuilleton? Und wäre es nicht schön, wenn eine "vielversprechende junge literarische Karriere durch eine solche Auszeichnung in Schwung kommen" (FAZ) könnte? Bittschön, was will man denn hier noch mit der Alten?

Dennoch kommt der Büchnerpreis für ein Werk, "von dem die Autorin gern behauptet, daß es doch nur aus Stacheldraht bestehe", "mit Sicherheit nicht zu früh", denn Schlimmes steht zu befürchten, gibt die Berliner Zeitung bekannt: "Vor Claus Peymann sei sie auf die Knie gefallen und habe ihn angefleht, sie mit ans Berliner Ensemble zu nehmen", und darauf muß sich das deutsche Feuilleton vorbereiten, denn Peymann "habe ja gesagt".

Der "bekannten Schriftstellerin" muß nun bedeutet werden, daß Deutschland anders ist als Österreich, "diesem Land, das man mittlerweile vor allem um seiner Provokateure willen wahrnimmt", wie sich die FAZ beschwert: Dort mag die "Sprache des Ekels" noch funktionieren; hier haben wir aber "Ingo Schulze", den deutschen "Grund zur Hoffnung". Vielleicht kann man in Österreich "mit einem Aufklärungsfuror noch wirken" - stellt sich die FAZ blöd -, in Deutschland jedenfalls nicht.

Eben daß "die österreichische Schriftstellerin" (Berliner Zeitung) keine Besessene ist, macht Angst. Nicht ihre "Weinerlichkeit", ihre "Empörung" (Berliner Zeitung) oder ihre "Sprache des Ekels" (FAZ) kratzen die männliche Selbstgewißheit an, sondern ihre Kälte, ihre Berechnung und ihr Selbstbewußtsein. Und so ist es auch nicht die unterstellte Anmaßung Elfriede Jelineks, sich in die Reihe der österreichischen Schriftsteller wie Bernhard zu stellen, sondern die Tatsache, daß sie in diese Reihe gehört, die das österreichische Publikum in Rage versetzte.

Mit Rage hat man es in Deutschland nicht zu tun, hier ist man feinsinniger, schon immer gewesen, und "ein bißchen" (Berliner Zeitung) Skandal täte auch ganz gut, wo Ingo Schulze "Grund zur Hoffnung" ist.

Na also.