In Südkorea sagt der KCTU den Generalstreik ab

Kims Krisen- Management

Nach einer hektischen Mobilisierungsphase hat der demokratische Gewerkschaftsverband Südkoreas (KCTU) die ab dem 10. Juni geplante "zweite Welle" eines Generalstreiks am Samstag vergangener Woche abgesagt. Nicht weil es keine Gründe mehr für einen solchen gäbe: Seit Dezember haben mehr als 14 000 Firmen pleite gemacht, etwa 1,5 Millionen Beschäftigte stehen ohne Job da, und die sozialen Sicherungssysteme ähneln eher einem Spinnennetz als einer Hängematte, in der es sich gemütlich schaukeln ließe.

Die Dramaturgie zur Vorbereitung des Streiks war ausgeklügelt. Am 27. und 28. Mai die "erste Welle" des Generalstreiks mit nach KCTU-Angaben knapp 112 000 Streikenden; am 30. Mai in verschiedenen Städten Demonstrationen mit je einigen tausend Beteiligten u.a. in Seoul und Ulsan, die von einer breiten Koalition, dem "People's Forum for Action on Employment, Unemployment, Chaebol Reform, and IMF" getragen wurden. Ab Anfang Juni diskutierten Gewerkschaftsverbände der "Stehkragenproletarier" ihre Beteiligung am 10. Juni. Und 77 Anwälte gründeten ein Komitee zur Unterstützung von leitenden KCTU-Gewerkschaftern und erklärten, die Regierung würde das Verhalten der früheren Militärregimes und des Kabinetts unter Kim Young Sam wiederholen, indem sie die Streikaktionen für illegal erkläre.

Die Schwächen der gewerkschaftlichen Position allerdings scheinen in einem Statement der Gewerkschaft der Metroarbeiter von Seoul durch. Darin hieß es, die gegenwärtige Krise habe ihre Wurzeln "in dem Chaebolsystem und der Politik und den Praktiken der Regierung". Das erinnert fatal an den DGB, der regelmäßig das Management der Großbetriebe und die Kohl-Regierung für die kapitalistische Krise verantwortlich macht.

Laut Holger Heide von der Universität Bremen besteht das Dilemma der Kim-Regierung darin, daß die südkoreanische Wirtschaft als Kompensation für die faulen Kredite ausländisches Kapital benötigt. Indessen fordern die Investoren eine Garantie für Profite, was in erster Linie eine stabile gesellschaftliche Situation voraussetzt. Diese ist allerdings fast unmöglich zu garantieren, wenn Millionen Beschäftigte überflüssig gemacht werden müssen, um Südkorea unter Lohndruck fit für den Weltmarkt zu machen. Und wie sollen die Rausgeschmissenen ruhig gestellt werden, wenn soziale Sicherungssysteme nicht finanzierbar sind?

Der Versuch der Regierung, ein altes deutsches Konzept, die "konzertierte Aktion", als dreiseitige Gespräche zwischen Regierung, Unternehmern und Gewerkschaften zu inszenieren, funktioniert in Südkorea oft nur unzureichend: Die Führung des KCTU steht unter dem Druck ihrer Basis, die schon in den vergangenen Jahren ausgehandelte Kompromisse oft nur als Vorwand für Rebellion nutzte. Demgegenüber setzt die Regierung auf erprobte Methoden: Zwar nicht flächendeckender Terror wie unter den Militärdiktaturen, dafür gezielte Repression gegen diejenigen unter den Arbeitern, die nicht gewillt sind, durch Unterwerfung unter die ausgehandelten Kompromisse die Zeche zu bezahlen. Den Rest besorgt eine nationalistische Rhetorik und die scheinbare Unumgänglichkeit der Regierungsmaßnahmen, da eine gesellschaftliche Alternative nicht einmal mehr vorstellbar erscheint. Und so soll am 10. Juni eine KCTU-Versammlung entscheiden, ob sie an der "dreiseitigen Kommission" mit Unternehmern und Staat teilnimmt, nachdem die Regierung dem KCTU einige kleinere Zugeständnisse gemacht hat.