Eine deutsche Erfolgsgeschichte

Die Volkswagen AG: Ein Unternehmen mit Familientradition

Ein Geburtstagsgeschenk für ihre Stadt: Etwas verspätet präsentierte die Volkswagen AG ihr Projekt "AutoVision" am vergangen Freitag in Wolfsburg. Zum 60jährigen versprach die Firma, zusammen mit der Stadt ein kommunales "Bündnis für Arbeit" aufzulegen und die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2003 zu halbieren. Wolfsburg und VW gehören von Anfang an zusammen, das sagt schon der Name, unter dem der Ort am 1. Juli 1938 gegründet wurde: Stadt des KdF-Wagens.

VW kann sich Geschenke leisten. Nach einer vorübergehenden Flaute Anfang der neunziger Jahre geht es stetig bergauf. 1997 erwirtschaftete der Konzern einen Rekordgewinn von 1,5 Milliarden Mark. Der Börsenwert des Unternehmens versiebenfachte sich seit 1993. Und so soll es weitergehen. Konzernchef Ferdinand Pi'ch hat ein Ziel: VW soll schon 1999 zum drittgrößten Autobauer der Welt aufsteigen. Momentan liegen die Wolfsburger mit 4,3 Millionen ausgelieferten Fahrzeugen noch hinter General Motors (8,8 Millionen), Ford (6,9 Millionen) und Toyota (4,9 Millionen).

Bevorzugtes Mittel der Vergrößerung ist dabei der Einkauf anderer Automarken. Audi, Seat und Skoda gehören schon einiger Zeit zum Konzern, in diesem Jahr kamen die Luxusmarken Rolls-Royce, Bentley und Lamborghini dazu. Im Firmenmix fehlt jetzt noch ein Lkw-Hersteller. Auch hier hat sich VW schon umgetan. Im Gespräch sind Scania, MAN und Volvo.

Intern setzte das Management unter dem Enkel von Ferdinand Porsche, des "Erfinders des Käfers" und Mitgründers der Firma, auf ein Konsensmodell - zumindest für die deutsche Stammbelegschaft. 1994 handelte die Konzernspitze mit der IG Metall und dem Gesamtbetriebsrat ein neues Arbeitszeitmodell aus. Die Einführung der 28,8 Stunden-Woche sollte Entlassungen vermeiden, gleichzeitig schuf sich das Management die Möglichkeit, die Arbeitskräfte bedarfsgerecht einzusetzen: Eine flexible Ausdehnung der Arbeitszeit auf 38,8 Wochenstunden und Samstagsarbeit eingeschlossen.

Verstärkte Teamarbeit machte einige Vorarbeiter überflüssig und sollte gegenseitige Kontrolle und die Motivation der Belegschaft erhöhen. Offensichtlich mit Erfolg. Die Produktivität stieg, der Krankenstand sank erheblich. Ein korporatistisches Modell ganz nach dem Geschmack des VW-Aufsichtsrats Gerhard Schröder. Ein vorbildliches Modell.

Ein vorbildliches Projekt sollte das Volkswagenwerk von Anfang an sein. 1938 als Betrieb der Deutsches Arbeitsfront (DAF) gegründet, versprach es den Volksgenossen, das für alle Deutschen erschwingliche Auto zu bauen, das der Führer schon 1934 versprochen hatte. Und über 300 000 Volkswagensparer halfen, das Werk zu finanzieren. Jede Woche klebten sie ihre Marken in die Sparkarte der DAF-Freizeitorganisation "Kraft durch Freude" KdF ("5 Mark die Woche mußt Du sparen - willst Du im eignen Wagen fahren!").

Treibende Kraft des Projekts und mit Hitler freundschaftlich verbunden: Ferdinand Porsche. Porsches Konstruktionsbüro entwarf den Volkswagen, der nach dem Krieg als VW-Käfer der Firma zum schnellen Wiederaufstieg verhalf. Porsche war Geschäftsführer und Aufsichtsrat der Volkswagenwerk GmbH, sein Schwiegersohn Anton Pi'ch, Vater des heutigen Konzernchefs, Werksleiter.

Das Volksauto war freilich von Anfang an kein rein ziviles Projekt. Bereits 1934 verlangte das Reichsverkehrsministerium, der Wagen solle drei Erwachsenen und einem Kind Platz bieten, genügend Bodenfreiheit für eine militärische Nutzung bieten und bei Wegfall des Aufbaus drei Mann und ein Maschinengewehr aufnehmen können.

Nach der feierlichen Grundsteinlegung nahm denn VW auch nicht die Massenproduktion des Volkswagens, sondern die seiner militärischen Variante, des Kübelwagens, auf. 60 000 Exemplare lieferte VW an Wehrmacht und Waffen-SS. Schnell reicherte die Firma ihre Produktionspalette mit anderen kriegswichtigen Produkten an: Kampfflugzeuge, Teller- und Sprengminen, Panzermotoren. Außerdem koordinierte VW die V1-Produktion und war selbst größter Produzent der "Vergeltungs"-Rakete.

Seit dem 30. April 1943 durfte VW den Ehrentitel des "Kriegsmusterbetriebs" führen, außerdem wurde das Werk zum "Nationalsozialistischen Musterbetrieb" gekürt und für seine "vorbildliche Berufserziehung" und für "vorbildliche Heimstätten und Wohnungen" ausgezeichnet.

Tatsächlich gab es einige Annehmlichkeiten für die Belegschaft: Betriebsärzte, eine betriebseigene Krankenkasse, Weihnachtsgeld und Umzugsbeihilfen, eine umfassende Lehrlingsausbildung, allgemeine Speise- und Waschsäle. Annehmlichkeiten für die deutsche Belegschaft.

1943 waren noch 33 Prozent der Arbeiter im Hauptwerk Deutsche, 1945 nur noch 15 Prozent. Die meisten davon Vorarbeiter. Seit es möglich war, bediente man sich in der Stadt des KdF-Wagens Kriegsgefangener und eigens eingefangener Zwangsarbeiter aus besetzten Gebieten. 1940, ein Jahr nach Produktionsbeginn, kamen die ersten 1500 Polinnen und Polen bei VW an. Gleich nach dem Überfall auf die Sowjetunion schickte die VW-Leitung einen persönlichen Referenten Porsches, der "vor Ort" Zwangsarbeiter beschaffen sollte.

Vorbild war VW auch beim Einsatz von KZ-Häftlingen. Auf Vorschlag Porsches wurden für die Fertigstellung und den Ausbau der Leichtmetall-Gießerei in der Stadt des KdF-Wagens 1942 erstmals KZ-Häftlinge eingesetzt. Die SS schickte 1 200 Häftlinge aus Sachsenhausen, Neuengamme und Buchenwald in das eigens geschaffene KZ mit dem passenden Namen "Arbeitsdorf". Die Hälfte überlebte die halbjährliche Erprobungsphase nicht. Der "Erfinder des Käfers", SS-Mitglied Ferdinand Porsche, entwickelte dabei durchaus Eigeninitiative: Im März 1944 sprach er zusammen mit seinem Sohn Ferry persönlich bei Himmler vor und bat um 3 500 zusätzliche KZ-Häftlinge.

Bis Kriegsende wurden drei weitere KZs für das VW-Werk errichtet. So arbeiteten ab 1944 vor allem ungarische Jüdinnen und Juden, die in Auschwitz von VW-Ingenieuren als arbeitstauglich selektiert worden waren, in der V1-Produktion. Insgesamt waren etwa 15 000 Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen für VW eingesetzt.

Trotz seiner Vorreiterrolle beim Einsatz von ZwangsarbeiterInnen gelang es VW in der Bundesrepublik, nicht im Zentrum der Diskussion um deren Entschädigung durch die Industrie zu stehen. 1985/86 richtete sich die internationale Aufmerksamkeit vor allem auf die Deutsche Bank, die gerade die Aktienmehrheit des Flick-Konzerns übernommen hatte. Der ehemalige Hauptankläger bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen, Robert A. Kempner, hatte vom Vorstandssprecher der Bank verlangt, die "gesundheitlich schwer geschädigten überlebenden Sklavenarbeiter" zu entschädigen. Die Umwandlung des Flick-Konzerns in eine Aktiengesellschaft sei eine gute Gelegenheit, die Sache zu bereinigen, "damit den Aktien nicht ein Geruch von Schweiß und Blut anhaften kann".

VW reagierte, bevor der Konzern im Zentrum der Kritik stand, und beauftragte den Historiker Hans Mommsen mit der "lückenlosen Aufklärung" der Geschichte des Volkwagenwerkes und seiner Zwangsarbeiter in der NS-Zeit. Und Mommsen forschte gründlich. Zehn Jahre lang. Zehn Jahre, in denen VW Forderungen nach Entschädigung von Zwangsarbeitern mit Hinweis auf die laufenden Untersuchungen abwies.

Mommsen kam zu dem gewünschten Ergebnis. Für eine Entschädigung sei die Bundesregierung, nicht das Unternehmen zuständig, erklärte er bei der Vorstellung seiner Arbeit im November 1996. Folgerichtig heißt es im Vorwort zu dem 1 055 Seiten dicken Werk: "Ohne die Vorgänge während des Krieges zu bagatellisieren, gelangt die heutige Volkswagen AG zu der Entscheidung, auf eine individuelle Entschädigung für ehemalige Zwangsarbeiter, Häftlinge und Kriegsgefangene im allgemeinen zu verzichten."

Die Zeit des Verzichts könnte jetzt vorbei sein. Schließlich kann man sich Geschenke inzwischen leisten. Und gut fürs Image sind sie auch.