Betreten verboten - Eltern haften für ihre Kinder

Ein bayerisches Gericht entschied unter dem Applaus von CSU und SPD: Der Abschiebung des in Deutschland geborenen 14jährigen "Mehmet" steht nichts entgegen

Es klingt wie eine ärztliche Empfehlung zu einer Notoperation: Die "schweren Gefährdungen" müßten "baldmöglichst durch Entfernung aus dem Bundesgebiet" beendet werden. Entfernt werden soll kein Geschwür, sondern ein 14jähriger Junge, und den Beschluß fällte kein Ärztekollegium, sondern die 17. Kammer des Verwaltungsgerichts München. Das Gericht entschied vergangene Woche im Eilverfahren, nicht nur die Ausweisung, sondern auch die Abschiebeandrohung gegen "Mehmet", wie der in Deutschland aufgewachsene Junge mit türkischem Paß aus Datenschutzgründen genannt wird, sei rechtmäßig. Die Ausländerbehörde hätte nach diesem Beschluß sofort in die Türkei abschieben können. Denn auch die Staatsanwaltschaft will, um eine schnelle Abschiebung zu ermöglichen, auf ein Strafverfahren verzichten, das in Deutschland durchgeführt werden müßte

Doch ganz so weit wollte Christian Ude nicht gehen: Der Münchner SPD-Oberbürgermeister begrüßte den Gerichtsbeschluß zwar ausdrücklich, ordnete aber an, mit einer Abschiebung noch auf das Urteil der nächsten Instanz zu warten. Das sei ein Gebot des Respekts vor den Gerichten, sagte der gelernte Anwalt Ude, der vor kurzem noch öffentlich an der juristischen Durchsetzbarkeit der Abschiebung zweifelte

Die CSU jubelte nach der Gerichtsentscheidung. Der "eindrucksvolle" Entscheid widerlege die Kritiker, so Bayerns Innenminister Günther Beckstein. Und Parteichef Theodor Waigel konnte nachträglich die CSU-Schlappe bei der Formulierung der Wahlkampfplattform der Union wettmachen: Die CSU-Forderung nach Abschiebung minderjähriger Straftäter samt ihrer Eltern fehle dort nur deshalb, weil entsprechende Schritte bereits heute "rechtlich eindeutig machbar sind". Dabei hatte auch die CSU der Rechtskonstruktion nicht vertraut und eine Gesetzesinitative in den Bundesrat eingebracht, um die Verletzung der Aufsichtspflicht als Ausweisungsgrund ins Ausländergesetz aufnehmen zu lassen. Eine "Wiedereinführung der Sippenhaft" nennt das die Türkische Gemeinschaft in Deutschland

Ende April hatte der damalige Münchner Kreisverwaltungsreferent Hans-Peter Uhl (CSU) den Ausweisungsbescheid für den zu diesem Zeitpunkt erst 13 Jahre alten Mehmet und seine Eltern erlassen: Bis zum 21. Juli sollten sie gemeinsam ausreisen. Der Rechtsanwalt der Familie, Alexander Eberth, legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein, über den noch entschieden werden muß. Der Widerspruch habe aber keine aufschiebende Wirkung, wie das Verwaltungsgericht jetzt feststellte

Normalerweise würde Mehmet als Minderjähriger einen besonderen Schutz gegen Ausweisung genießen. Zumindest solange seine Eltern sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten. "Zur Gefahrenabwehr", so der damalige KVR-Chef Uhl, müsse daher der Aufenthalt der Eltern zusammen mit dem ihres Sohnes beendet werden. Dazu mußte jedoch erst ein eigener Straftatbestand konstruiert werden: strafrechtlich relevantes Vernachlässigen der Aufsichtspflicht. Dieses abenteuerliche juristische Kontrukt des CSU-Hardliners machte sich jetzt das Verwaltungsgericht zu eigen. Obwohl das Ermittlungsverfahren gegen die Eltern noch nicht abgeschlossen ist, glaubte das Verwaltungsgericht beurteilen zu können, daß die Ausweisung der Eltern nicht "offensichtlich rechtswidrig" sei, denn ihr Verhalten spreche für eine "mögliche erhebliche Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflichten". Rechtsanwalt Eberth hält diese Argumentation für rechtlich nicht haltbar. "Es ist kaum wahrscheinlich, daß die Eltern ausgewiesen werden können; dies stellt jedoch die rechtliche Grundlage für Mehmets Abschiebung dar. Entfällt sie, bricht die ganze Argumentation zusammen." Bereits seit 30 Jahren leben Mehmets Eltern in Deutschland, ihr Sohn ist hier geboren und aufgewachsen. Mehmet, der seit Anfang Juli strafmündig ist, werden 63 Straftaten, darunter auch gefährliche Körperverletzung, Raub und Einbruchdiebstahl zur Last gelegt. Das Münchner Sozialreferat, das sich der Abschiebelinie des Ausländeramts nicht anschließen wollte, stellte den Jungen im März unter Einzelbetreuung durch einen Lehrer und einen Sozialpädagogen. Die CSU schäumte: Es sei dem Steuerzahler "nicht zuzumuten, für einen solchen Einzelfall über 100 000 Mark pro Jahr" auszugeben. Der ehemalige Ausländeramtschef Uhl warf dem Sozialreferat "Täterschutz" vor. "Mehmet muß raus, samt seinen Eltern", so laute "die überwältigende Meinung aller billig und gerecht Denkenden, auch im Lager der SPD-Wähler"

Das muß sich auch SPD-Oberbürgermeister Ude gedacht haben. Anfang Juni hatte er in der Münchner Rathaus-Umschau die Ausweisung von Mehmet und seinen Eltern zwar noch als "populistische Einzelfallentscheidung, die jeder rechtlichen Grundlage entbehrt" bezeichnet. Doch dann schwenkte Ude um. Anfang Juli soll Mehmet eine weitere Straftat begangen haben: Gemeinsam mit zwei anderen Jugendlichen habe er einen 19jährigen Schüler zusammengeschlagen und ausgeraubt. Mehmet stellte sich und sitzt jetzt in Untersuchungshaft. Damit war auch Udes sozialpädagogischer Geduldsfaden gerissen. Er befürworte ausdrücklich "die Ausweisung dieses jugendlichen Serientäters, weil alle Versuche der Erziehung und Besserung bis hin zur intensiven Einzelbetreuung offenkundig versagt haben und eine positive Sozialprognose nicht gestellt werden kann." Damit folgt Ude ganz der harten Linie seiner Partei, wie sie in einem ebenfalls letzte Woche vorgestellten Positionspapier zur Inneren Sicherheit zum Ausdruck kommt: "Die Ausweisungs- und Abschiebungsmöglichkeiten für ausländische Straftäter müssen konsequent genutzt werden." Die sozialdemokratische Begründung: Andernfalls müsse die in Deutschland lebende ausländische Bevölkerung unter vermehrter Ausländerfeindlichkeit leiden

Wenn auch mit anderen Begründungen, wollen die Sozialdemokraten wie die Union eine harte Haltung bei der Bekämpfung von Jugendkriminalität beweisen. Unter dem Motto "Null Toleranz bei Rechtsbruch und Gewalt" stellten CSU und CDU einen Tag nach der SPD ein entsprechendes Wahlpapier vor. Darin fordern sie neben anderen Grundrechtseinschränkungen auch spürbare Sanktionen für Jugendliche: Heraufsetzung der Jugendhöchststrafe von zehn auf 15 Jahre, Unterbringung in geschlossenen Heimen und konsequente Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Heranwachsende bis 21 Jahre. Getreu dieser repressiven Linie hielt sich der Vorsitzende der Münchner CSU-Stadtratsfrakton, Hans Podiuk, mit seinem Urteil über die Persönlichkeit des 14iährigen Beschuldigten nicht zurück: "Mehmet muß nach allen bisher vorliegenden Erkenntnissen als potentieller Totschläger eingestuft werden." Trotz eines solch gefährlichen Straftäters regte sich noch vereinzelt Kritik gegen den Ausweisungsbescheid. Es sei bedenklich, zugunsten einer Ausweisung auf die Strafverfolgung zu verzichten, rügte die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP), das Vorgehen der Münchner Ausländerbehörde. "Diese jugendlichen Straftäter sollen in Deutschland ihre Strafe verbüßen. Ein Herkunftsland, in das sie zurückgeschickt werden könnten, existiert für sie nicht mehr." Auch in der SPD können sich noch nicht alle der Linie des Münchner Oberbürgermeisters anschließen. So distanzierte sich Sozialreferent Friedrich Graffe von seinem Amtsherrn und bezeichnete die Ausweisung des 14jährigen als "grausam und lebenszerstörend". Für den Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen, Klaus Hahnzog, ist Udes Position "ausdrücklich falsch". Hahnzog denkt konsequenterweise aber schon über den Austritt aus seiner Partei nach: Wenn die SPD nach der Bundestagwahl mithelfe, dem CSU-Vorstoß eine Mehrheit zu verschaffen, "dann bin ich draußen aus der Partei"