Auf eigene Rechnung

Jahrelang sammelte der dänische Geheimdienst illegal Daten über Mitglieder von Linksparteien. Jetzt versucht sich der Justizminister in Schadensbegrenzung

Harald Engberg-Pedersen kommt sich "etwas dumm" vor. 22 Jahre lang war es seine Aufgabe, den polizeilichen Geheimdienst PET zu kontrollieren. Als Mitglied der sogenannten Wamberg-Kommission mußte Engberg-Pedersen, ehemaliger Programmdirektor des staatlichen dänischen Rundfunks, die Erfassung von mutmaßlichen Staatsfeinden genehmigen - das sahen zumindest die offiziellen Richtlinien vor.

Tatsächlich hat der PET mindestens von 1968 bis 1974 Daten über alle Führungsmitglieder der vier links-sozialistischen Organisationen DKP (Dänische Kommunistische Partei), DKU (Kommunistische Jugend), VS (Links-Sozialisten) und SUF (Sozialistische Jugend Union) gesammelt. Engberg-Pedersen ist sich sicher, daß diese Aktion nicht von der Wamberg-Kommission, dem parlamentarischen Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste, genehmigt wurde.

Das Brisante an Dänemarks jüngstem Geheimdienstskandal: Der PET hat nicht nur die Kontrollkommission hintergangen, sondern auch eine ausdrückliche Weisung der damaligen liberal-konservativen Regierung mißachtet. Diese hatte im September 1968 dem PET ausdrücklich verboten, Personen "nur wegen legaler politischer Aktivitäten" zu erfassen. "Diese Weisung war Teil unserer Arbeitsgrundlage", so Engberg-Pedersen gegenüber der dänischen Wochenzeitung Socialisten Weekend. Es sei "sehr beunruhigend, wenn der PET nach seinen eigenen Richtlinien gearbeitet hat".

Die überwachten Organisationen waren allesamt legal, heute bilden drei von ihnen die Enhedslisten, die mit vier Abgeordneten im dänischen Parlament (Folketing) vertreten ist. Mitglieder der Enhedslisten vermuten allerdings, daß die Regierung sehr wohl von der Praxis des Geheimdienstes wußte und daß der PET sie nach wie vor überwacht.

Nur "zufällig", so die Darstellung des Justizministeriums, sei die illegale Praxis des PET ans Licht gekommen: Eine Kommission, die ein neues Geheimdienstgesetz ausarbeitet, hatte beim PET einige Informationen angefordert. Als sie das Material zur Beantwortung der Fragen sammelten, fanden Angestellte des PET auch zwei interne Memoranden, die dokumentieren, daß der Geheimdienst seine Mitarbeiter angewiesen hatte, Daten über alle Führungsmitglieder der vier Organisationen auf Landesebene und der Stadtverbände in Kopenhagen zu sammeln.

Als die internen Papiere Ende August bekannt wurden, kündigte Justizminister Frank Jensen mit dramatischen Worten eine unabhängige Untersuchung der Geheimdienstpraxis an. "Jeder Stein", so Jensen, werde jetzt umgedreht. Die unabhängige Kommission, die das Parlament im Herbst einsetzen wird, soll aus einem ranghohen Richter, einem Rechtsanwalt und einem rechtshistorischen Experten der Kopenhagener Universität bestehen. Vor der Kommission sollen ehemalige Regierungschefs, Minister und Geheimdienstleiter aussagen. Der Haken dabei: Die Kommission soll nicht-öffentlich tagen. Auch die Vorgeschichte des Skandals läßt vermuten, daß es dem Justizminister weniger um Aufklärung als um Schadensbegrenzung geht.

Bereits 1994 war der PET in die öffentliche Kritik geraten. Um die Öffentlichkeit zu beruhigen, erklärte der damalige Justizminister Erling Olsen, der PET werde einen Bericht über seine Aktivitäten vorlegen. Es dauerte drei Jahre, bis der Geheimdienst seine Untersuchungsergebnisse präsentieren konnte: ein kurzes nichtssagendes Papier.

Im März dieses Jahres dann enthüllte der ehemalige Undercover-Agent des PET, Anders N¿rgaard, Details über die Arbeitsweise des Geheimdienstes. Er selbst habe Mitgliederlisten der SAP (Nachfolgeorganisation der SUF und Mitglied der Enhedslisten) gestohlen, kopiert und an die PET-Zentrale weitergegeben. Auch jetzt war der Justizminister nicht bereit, unabhängige Ermittlungen einzuleiten. Statt dessen beauftragte er erneut den PET, die Untersuchung zu führen. Als der Bericht des PET schließlich der Öffentlichkeit vorlag, enthielt er nur, was die Presse ohnehin schon herausgefunden hatte.

Wieder wurde eine unabhängige Untersuchung gefordert, diesmal auch von Mitgliedern der Regierungsparteien. Und wieder wies Frank Jensen die Forderung zurück, mußte aber an einem anderen Punkt nachgeben: Eine Kommission wurde eingesetzt, die ein neues Geheimdienstgesetz erarbeiten soll. Doch auch dieser Schritt schaffte dem Justizminister das lästige Thema nicht vom Hals. Aus dem Parlament wurde er mit Anfragen überhäuft. Gleichzeitig forderte eine ganze Reihe von Bürgern ihr gesetzliches Recht auf Akteneinsicht, um herauszufinden, ob auch sie vom PET erfaßt worden waren. Das Justizministerium ließ sich Zeit mit den Antworten oder gab nur vage Auskünfte.

Ewig konnte Frank Jensen diese Hinhaltetaktik allerdings nicht durchhalten. Als dann die zwei internen Memoranden auftauchten, mußte der Minister seinen Widerstand gegen eine unabhängige Untersuchung aufgeben.

Ob der Justizminister seine Vorstellung von einer Untersuchung hinter geschlossenen Türen durchsetzen kann, wird sich herausstellen, wenn das Parlament über die Einsetzung der Kommission entscheidet. Die konservative Opposition will überhaupt keine Überprüfung. Im Kalten Krieg sei es völlig richtig gewesen, die "kommunistischen Wühlarbeiter" zu überwachen. Außerdem sei die Angelegenheit längst verjährt. Abgeordnete der Linksparteien fordern dagegen eine öffentliche Untersuchung.

Auch Harald Engberg-Pedersen will, daß der Geheimdienstskandal öffentlich verhandelt wird. Schon aus persönlichen Gründen: "Es würde mich interessieren, was genau der PET in den Jahren getan hat, als ich ihn kontrollieren sollte."

Der Artikel wurde von Jungle World bearbeitet und ergänzt.