Die Nato vor dem Einsatz im Kosovo

Aktiv gegen Belgrad

Als die Einsatzentscheidung fiel, saß Richard Holbrooke, US-Sonderbeauftragter für den Balkan, immer noch mit Slobodan Milosevic zusammen. Während der amerikanische Diplomat den jugoslawischen Präsidenten doch noch zu einem Einlenken in der Kosovo-Krise bewegen wollte, beschlossen die 16 Nato-Staaten am Montag in Brüssel, ihre Einsatzkräfte für Militäroperationen gegen Jugoslawien bereitzustellen.

Die Mobilisierung für Luftschläge gegen serbische Stellungen in ganz Jugoslawien ist damit in die heiße Phase getreten. Mit ihrer Zustimmung zu dem "activation order" genannten Aktivierungsbefehl haben die Mitgliedsstaaten des Militärbündnisses die Entscheidungsgewalt über Kampfflieger und Raketen der Mitgliedsstaaten an den Nato-Oberbefehlshaber Wesley Clark übergeben. Nach Ablauf einer letzten Frist kann Clark nun Angriffe auf jugoslawische Einrichtungen anordnen, ohne nochmals die Genehmigung der Nato-Staaten einzuholen.

Noch am Samstag hatten sich Vertreter des Nato-Rats über die konkreten Ziele der Militärschläge geeinigt. Sollte Milosevic die Forderungen der UN-Resolution 1 199 nicht doch noch in letzter Minute erfüllen, ist demnach vorgesehen, zunächst begrenzte Luftangriffe gegen serbische Militärposten fliegen zu lassen. Die "activation order" erlaubt es Clark aber auch, die Luftangriffe in mehreren Phasen eskalieren zu lassen. Sollte er im Verlauf der Angriffe zu dem Schluß kommen, daß weitere militärische Maßnahmen nötig seien, braucht er die neuerliche Genehmigung des Nato-Rats. Darüber hinaus hat das Militärbündnis auch schon die ersten Pläne für den Einsatz von Bodentruppen erstellt, die zur Absicherung eines Waffenstillstands gebraucht würden - rund 25 000 Soldaten wären an einer solchen Aktion beteiligt.

Nato-Generalsekretär Javier Solana hatte den Aktivierungsbefehl bis Montag hinausgezögert, um dem US-Sondergesandte Holbrooke weiteren Spielraum für Verhandlungen zu geben: "Es gibt immer noch einen einfachen Ausweg aus diesem Konflikt, nämlich daß Jugoslawiens Präsident Slobodan Milosevic nachgibt", sagte er am Sonntagabend in Brüssel. Holbrooke saß bis zum Montagvormittag in Belgrad erneut mit Milosevic zusammen: Den Durchbruch schaffte er nicht.

Bis zuletzt hatten die Nato-Vertreter in Brüssel auf die Entscheidung des deutschen Kabinetts gewartet, das erst am Montagmittag zusammentraf, um über den Einsatzbefehl zu entscheiden. Nach einem Gespräch zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und seinem Nachfolger Gerhard Schröder beschloß die alte Regierung - in Übereinstimmung mit der kommenden -, das Oberkommando an Clark zu übergeben.

Kohl und Schröder einigten sich darauf, den Bundestag in seiner alten Zusammensetzung am Freitag zu einer Sondersitzung zusammenzurufen. Die vom Kabinett am Montag noch ausgeklammerte Entscheidung darüber, ob die 14 deutschen Tornado-Kampfflieger an dem Nato-Schlag beteiligt werden, steht dann auf der Tagesordnung. Verteidigungsminister Volker Rühe hatte der Nato den Einsatz der Tornados in der letzten Woche zugesagt.

Einigkeit zwischen alter und neuer Regierung herrscht inzwischen auch in der Frage, mit welcher Rechtsgrundlage die Nato-Bomber ihre Angriffe gegen Jugoslawien fliegen werden: Sowohl SPD als auch führende Vertreter der Bündnisgrünen folgen der Linie, die Rühe seit Monaten vorgibt. Demnach sei ein erweitertes UN-Mandat für den Einsatz nicht notwendig. Um einen "deutschen Alleingang" - in diesem Falle die Ablehnung der "activation order" - auszuschließen, füge man sich dem Mehrheitswillen der übrigen Nato-Mitglieder, erklärte Schröder bei seinem Besuch in Washington am Freitag. Da Rußland und China eine erweiterte Kosovo-Resolution des Sicherheitsrats nicht mittragen wollen, wird die Ende September beschlossene Resolution von Nato-Seite als "ausreichende Rechtsgrundlage" interpretiert.

Als einzige Differenz zwischen Rühe und Schröder bleibt damit das Tempo des Einsatzes. In der Bild am Sonntag warf Rühe dem kommenden Kanzler vor, bei seinen Gesprächen mit US-Präsident William Clinton eine Entscheidung über den Einsatz der deutschen Kampfflieger zu verzögern. Wer so vorgehe, mißachte den Ruf der Nato nach deutschen "Führungs- und Unterstützungskräften". Zufrieden hingegen zeigte sich Rühe mit dem designierten grünen Außenminister Joseph Fischer. Aus der Zustimmung Fischer zu einem Aktivierungsbefehl der Nato schloß er: "Die Grünen bestehen also nicht mehr auf einem UN-Mandat."