Wolfgang Petritsch, EU-Beauftragter

»Das Militärische hat Priorität«

Die Nato will weder Großalbanien noch einen serbischen Vormarsch im Kosovo. Deswegen soll ein Militärschlag her.

Sie gehören zum Verhandlungsteam des US-Beauftragten Richard Holbrooke. Wie laufen die Gespräche mit dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic?

Es sind sehr langwierige Verhandlungen. Das größte Problem, das Herr Milosevic mit unseren Forderungen hat, ist die Akzeptanz einer internationalen Truppe, die im Kosovo die Einhaltung des Abkommens zwischen Nato, EU und Herrn Milosevic überprüft und dann überwacht.

Wer soll diese Truppe stellen? Die Nato? Die EU? Die OSZE?

Ich habe da persönlich keine Präferenzen. Wichtig ist nur, daß sie funktioniert. So eine Truppe muß groß genug und auch gut bewaffnet sein. Es gibt schon konkrete Vorstellungen über die Stärke einer solchen Truppe, aber dazu darf ich jetzt noch nichts sagen, weil das mit Herrn Milosevic noch verhandelt werden muß.

Sie wurden Anfang Oktober zum Sonderbeauftragten der EU ernannt, mittlerweile aber hat die Nato die Kontrolle übernommen. Was gibt es für Sie eigentlich noch zu tun?

Die EU kümmert sich um den humanitären Bereich, was auch erklärtes Anliegen der österreichischen EU-Präsidentschaft ist. Außerdem versuchen wir, eine politische Lösung im Rahmen eines Interim-Abkommens zu finden. Wir arbeiten sozusagen an einem humanitären Konzept für den Tag danach.

Der Tag wonach?

Sowohl für den Tag nach einem Militärschlag als auch für den Tag nach einem erfolgreichen Verhandlungsabschluß. Beides ist noch möglich.

Ist humanitäre Hilfe mit Bomben durchsetzbar?

Wir haben bisher ziemlich erfolgreich die humanitäre Hilfe koordiniert und politisch begleitet. Im Augenblick wird aber wegen der steigenden Kriegsgefahr die humanitäre Lage schwieriger. Leider hat das Militärische zur Zeit Priorität. Man muß jemanden haben, der dazwischentritt, weil Albaner und Serben einfach nicht miteinander können.

Könnte bei den Albanern durch einen Militärschlag nicht der Eindruck entstehen, auch der Westen sei für eine großalbanische Lösung?

Eine solche Lösung wird es nicht geben. Das Problem liegt doch nicht in Großalbanien, sondern in mehreren Mikroalbanien. Dieses Albanien sollte den Kosovo-Führern als Abschreckung dienen.

Die Nato-Flugzeuge sind nicht die Luftwaffe der UCK?

Das ist inzwischen ausgeräumt; wir mußten die albanische Seite auf den Boden der Realität zurückholen. Es geht darum, durch einen Militärschlag die Voraussetzungen zu schaffen, daß wir unsere anderen Aufgaben erfüllen können - vor allem die Aushandlung einer politischen Lösung. Aber die wird auf keinen Fall die Unabhängigkeit des Kosovo sein.

Den vom Westen verlangten serbischen Rückzug hat es doch letzte Woche gegeben.

Es gab einen Rückzug, aber wegen unserer Erfahrungen mit dem jugoslawischen Regime sind wir nicht davon überzeugt, daß der Rückzug tatsächlich unseren Erwartungen entspricht. Andererseits hat der radikalere Teil der UCK einen Waffenstillstand angeordnet. Das macht es der jugoslawischen Seite schwerer, weil es jetzt keinen Vorwand mehr für Kampfhandlungen gibt.

Der Waffenstillstand ist doch auf die militärische Unterlegenheit der UCK zurückzuführen.

Schon, dennoch bin ich positiv überrascht, daß es nun immerhin ein Zeichen der Vernunft gibt.

Wie wollen Sie der UCK erklären, daß es nach einem Militärschlag keine Unabhängigkeit des Kosovo geben soll?

Wir rechnen damit, daß die radikalen Kräfte beider Seiten mit unserer Lösung nicht zufrieden sein werden. Deshalb braucht es eben den Luftangriff.

Das Problem ist doch, daß die Kosovo-Albaner selbst gespalten sind. Adem Demaci, der politische Führer der UCK, spricht dem selbsternannten Präsidenten Ibrahim Rugova die politischen Vertretungsanspüche ab.

Es gibt eine tiefe Spaltung in der albanischen Führungsschicht, und es wird nicht leicht werden, die UCK wieder zu integrieren. Wir erwarten da Widerstand. Wir müssen also mit wirtschaftlicher Hilfe überzeugen und ihnen klarmachen, daß in unserem politischen Modell ein hohes Maß an Autonomie für das Kosovo vorgesehen ist. Demaci hat mir erzählt, daß er bei seinem ersten Besuch in Albanien festgestellt habe, 28 Jahre für eine Idee im Gefängnis gesessen zu haben, die er jetzt ablehnt, nämlich den Hodschismus.

Sie setzen also vor allem auf Präsident Rugova?

Schon, weil dieser in den letzten Jahren immer wieder bewiesen hat, daß er gewaltlos Widerstand gegen die serbischen Autoritäten leistet. Das ist ein positives Zeichen für ein Nebeneinander von Serben und Albanern. Eine gemeinsame Zukunft der beiden wird es nämlich nicht geben.

Es gibt Befürchtungen, ein Militärschlag des Westens würde die Popularität Milosevics erhöhen. Helfen Sie also einem Diktatoren, den sie eigentlich weghaben möchten?

Wir hoffen, daß es nach einem kurzen Popularitätsschub zu einer Ernüchterung der Bevölkerung kommt. Herr Seselj hat ja schon angefangen, nationalistisch herumzupoltern. Aber es besteht die akute Gefahr, daß als Abfallprodukt der Krise die Medien und die demokratischen Grundrechte in Jugoslawien eingeschränkt werden.

Der Sozialdemokrat Wolfgang Petritsch ist österreichischer Botschafter in Belgrad. Am 3. Oktober wurde er außerdem zum EU-Sonderbeauftragten für das Kosovo ernannt.