Ignatz Bubis

»Deutschland wird sich nicht abkapseln können«

Argumentative Schützenhilfe erhielt Kanther-Nachfolger Otto Schily vergangene Woche von seinem Bundeskanzler: Gerade weil ihm so viel an dem "anspruchsvollen Vorhaben" einer Reform des Staatsbürgerschaftsrechts liege, so Gerhard Schröder, sei er mit Schilys "Festlegung" einverstanden, daß "zusätzliche Zuwanderung nach Deutschland nicht verkraftbar ist". Auf republikanisch: Das Boot ist voll. Wer es bis jetzt an Bord geschafft hat, kriegt noch eben eine Fahrkarte zugesteckt, der Rest möge bitte schwimmen. Sollten die beiden SPD-Männer ihre Vorstellungen umsetzen, so hätte das außer für zahlreiche andere Flüchtlinge aus vielen Teilen der Welt auch Folgen für jüdische Immigranten aus Osteuropa, die bislang relativ leicht nach Deutschland einwandern konnten. Ignatz Bubis, Mitglied der FDP und Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, tritt für ein Einwanderungsgesetz mit Quoten - auch für jüdische Immigranten - ein.

Nach seinem Innenminister Otto Schily hat sich nun auch Bundeskanzler Gerhard Schröder dafür ausgesprochen, die Einwanderung nach Deutschland nicht nur zu begrenzen, sondern gänzlich zu unterbinden. Überrascht Sie diese Entwicklung bei der SPD?

Ja. Die SPD war ja immer für ein Einwanderungs- oder Zuwanderungsgesetz, wie immer man das nun bezeichnen mag. Daß das alles nun plötzlich nicht mehr sein soll, das irritiert mich bei der Geschichte in der Tat. Noch vor kurzem haben ja die SPD und auch die Grünen ganz anders gesprochen. Von den Grünen hat es nun zwar einzelne kritische Äußerungen gegeben, von einem echten Widerstand in der Koalition habe ich aber bislang nichts gemerkt. Auch das überrascht mich sehr. Ich meine, daß die SPD zu dem stehen soll, was sie vor den Wahlen gesagt hat; dasselbe gilt für die Grünen. Wenn sie es ernst meinen, dann sollen sie gleichzeitig für das sorgen, was sie in diesem Zusammenhang versprochen haben, nämlich für eine geregelte Zuwanderung.

Würden Sie ein solches Zuwanderungsgesetz als großen Fortschritt sehen? Eine Folge davon wäre dann beispielsweise eine alljährliche Diskussion, wie hoch die Quote für jüdische Einwanderung aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion gesetzt werden soll.

Das ist im Moment eigentlich sekundär. Bisher gibt es ja eigentlich überhaupt keine richtige Regelung, auch nicht für die Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Auch diese Fragen könnte man im Rahmen eines solchen Gesetzes befriedigend regeln. Was aber mit Sicherheit nicht funktionieren wird, das ist, zu glauben, die Bundesrepublik könne die Schotten dicht machen, und es kommt keiner mehr rein. Das ist eine Illusion; da landen wir wieder genau dort, wo wir schon einmal waren: bei einer starken illegalen Zuwanderung.

Einer Umfrage der Woche zufolge sind zwar drei Viertel der Bevölkerung für eine Begrenzung der Zuwanderung, nur zwanzig Prozent wollen aber die Immigration wie Schröder und Schily auf Null setzen. Wenn man davon ausgeht, daß in dieser Zahl auch die Wähler offen rechtsradikaler Parteien enthalten sind, dann bleibt nur noch ein relativ geringer Bodensatz von bürgerlichen Wählern, der diese Forderung erhebt. Wie erklären Sie sich, daß Schily und Schröder ausgerechnet dieser Minderheit ihrer Anhängerschaft nach dem Maul reden?

Warum diese Äußerungen gerade jetzt kommen, kann ich nicht beurteilen. Die SPD hat der CDU/ CSU immer vorgeworfen, sie träume, wenn sie meine, die Einwanderung auf Null setzen zu können. Die Sozialdemokraten argumentierten, das sei gar nicht möglich, weswegen ein Einwanderungsgesetz nötig sei. Für mich ist unerklärlich, warum nun plötzlich dieser Sinneswandel gekommen ist, und ich glaube auch nicht, daß das am Ende funktionieren wird.

Gleichzeitig will die Bundesregierung das Staatsangehörigkeitsrecht liberalisieren, indem sie die Doppelte Staatsbürgerschaft zum Regelfall macht. Wie passen diese beiden Diskurse zusammen?

Ich habe den Eindruck, daß das eine so eine Art Ersatz für das andere sein soll. Mit der Doppelten Staatsbürgerschaft geht die neue Bundesregierung ja sehr weit. Ich gehe davon aus, daß SPD und Grüne feststellen werden, daß das so auch nicht funktioniert, denn in dieser Frage sind ja auch die Bundesländer gefordert. Weder wird sich Deutschland abkapseln können, noch wird es der Regierung gelingen, die Doppelte Staatsbürgerschaft ohne jede Einschränkung einzuführen. Möglich, daß die Bundesregierung das als eine Art Parallelgeschichte gedacht hat, aber das wird nicht funktionieren. Beides nicht.

Welche Hoffnung setzen Sie in die integrative Wirkung von Einbürgerung?

Die integrative Wirkung von Einbürgerung ist sehr hoch. Dazu bedarf es nicht der bedingungslosen Doppelten Staatsbürgerschaft. Wir haben ja bereits heute die Möglichkeit der Doppelten Staatsbürgerschaft, es wird nur sehr restriktiv damit umgegangen. Eine Aufhebung dieser Restriktionen würde schon viel Erleichterung bringen. Das wäre das eine. Das andere muß generell eine erleichterte Einbürgerung sein. Wenn diese zwei Dinge kommen, dann braucht man die Möglichkeit der absoluten Doppelten Staatsbürgerschaft nicht. Wir brauchen aber gleichzeitig, anders als es bislang der Fall war, eine geregelte Zuwanderung. Das sind übrigens Forderungen, die die SPD schon seit zehn Jahren vertritt.

Man könnte einwenden, daß die Juden in Deutschland 1933 auch nahezu alle Staatsbürger waren, daß sie diese Tatsache aber keineswegs vor Verfolgung geschützt hat.

Sie wurden aber ausgebürgert. Und man kann sicher nicht sagen, daß die Juden in Deutschland zu diesem Zeitpunkt nicht integriert waren. Ich halte es aber für falsch, davon auszugehen, daß wieder so etwas kommt. Dann bräuchte man gar nichts machen.

Sollte heutige Politik nicht der Maxime folgen, so etwas für alle Zeit auszuschließen?

Wenn man heute in ein Gesetz schreibt "ausgeschlossen", und es kommen jemals wieder den Nazis vergleichbare Machthaber an die Regierung, dann machen die eben ein neues Gesetz, das es doch wieder möglich macht. Würde man sich mit dieser Möglichkeit beschäftigen, dann müßte man auswandern.

Doch was bringt die Doppelte Staatsbürgerschaft, wenn hohe Repräsentanten der Regierung gleichzeitig die Parolen der Republikaner aus den achtziger Jahren paraphrasieren? Wird damit nicht jegliche Integrationswirkung postwendend wieder zunichte gemacht?

Sicher ist das der Fall. Deshalb pädiere ich für eine erleichterte Einbürgerung bei einer gleichzeitigen geregelten Zuwanderung.