Antje Radcke

»Wir müssen urgrüne Inhalte umsetzen«

Eine Nachfolgerin für Jürgen Trittin als Parteisprecher zu finden, war für die Grünen nicht einfach. Erst zwei Wochen vor der Wahl fand sich eine Kandidatin: Antje Radcke. Die 38jährige Sprecherin der Hamburger Grünen gilt als Vertreterin des linken Parteiflügels. Sie trat nach dem sogenannten "Asylkompromiß" 1993 aus der SPD aus und wenig später den Grünen bei. Am vergangenen Wochenende wurde sie zur Sprecherin der Bundespartei gewählt. Sie sei vor allem deshalb für den Posten der Parteisprecherin geeignet, hatte Radcke in ihrer Bewerbung geschrieben, weil sie schon im Hamburger Landesvorstand den Wechsel von der Oppositions- zur Regierungspartei begleitet habe. Damit sich die Basis nicht zu einem "Anhängsel der Regierenden degradiert" fühle, will die neue Vorstandssprecherin die Rolle der Partei stärken und die Basis aktiver einbeziehen.

Sie sind als Partei-Sprecherin gewählt worden. Wären Sie lieber Vorsitzende?

Nein, ich bin sehr zufrieden, daß ich Sprecherin geworden bin und nicht Vorsitzende. Der Begriff sagt aus: Ich spreche für die Partei, also muß ich auch mit der Partei sprechen, damit ich weiß, ob ich für sie spreche. Dagegen klingt Partei-Vorsitzende nach einer Hierarchie, die mir nicht so sympathisch ist.

Man hat aber den Eindruck, die Anhänger der Basisdemokratie haben sich nur auf der verbalen Ebene durchgesetzt. Es gibt zwar weiter Sprecherinnen und die Parteitage heißen weiter Bundesdelegiertenkonferenzen (BDK), aber die Parteireform ist beschlossen.

Ja, es gab zwar auch inhaltliche Änderungen an der vom Bundesvorstand beantragten Parteireform - der Parteirat ist vergrößert worden - aber im Grundsatz ist die Reform durchgekommen. Diese Namen sind den Delegierten wichtig, und manchmal bedeuten Namen auch mehr als Schall und Rauch.

Deshalb kann ich nachvollziehen, daß es bei diesen Bezeichnungen geblieben ist, obwohl mir Bundesdelegiertenkonferenz auch schwer über die Lippen geht.

Inhaltlich sind Sie einverstanden mit der Parteireform?

Ja. Bei unserer neuen Rolle als Regierungspartei brauchen wir dringend ein Koordinierungsgremium, in dem alle drei Ebenen zusammenkommen. Sonst agieren alle Teile unabhängig voneinander und es wird ganz schwierig, die Koalition auch zu einem Erfolg für uns zu machen.

Erfolg in welchem Sinn? In Leipzig war auch viel von Loyalität die Rede. Wird über das Gremium die Partei in die Koalitionsdisziplin eingebunden?

So einseitig ist das nicht. Die Kombination ist wichtig. Auf der einen Seite die Regierungsmitglieder, die den kleinsten Spielraum haben, was die Umsetzung urgrüner Inhalte angeht, die Fraktion, die jetzt auch alle Initiativen mit der SPD abstimmen muß, und auf der anderen Seite die Partei, die ja zunächst ohne Schere im Kopf Ideen formulieren kann. Und das kann sehr befruchtend wirken.

Was sind denn die urgrünen Inhalte, an die Sie die Fraktion und die Regierung erinnern müssen?

Schon durch das Unterschreiben des Koalitionsvertrages gibt es auf Regierungsebene die urgrünen Inhalte nicht mehr. Aber wir können bei der Umsetzung darauf achten, daß Schritte gemacht werden, die zumindest in die urgrüne Richtung gehen. Zum Beispiel kommt es bei der Ökosteuerreform darauf an, daß die nächsten Schritte, die ja noch nicht inhaltlich feststehen, so ausgestaltet werden, daß wir die Leute tatsächlich dazu bringen, auf alternative Verkehrsmittel umzusteigen.

Welcher "urgrüne Inhalt" ist Ihnen besonders wichtig?

Wir müssen ganz deutliche Akzente in der Asyl- und Flüchtlingspolitik setzen. Da findet momentan eine Entwicklung statt, die ich ziemlich gefährlich finde. Otto Schily als Innenminister übernimmt Forderungen, die Kanther vorher schon formuliert hat, da müssen wir Akzente dagegensetzen ...

... die fehlen bis jetzt von grüner Seite. Da war die Kritik der FDP lauter als die der Grünen.

Von uns kamen schon deutliche Absagen an diese Positionen. Aber es ist richtig, daß wir uns erst in die neue Rolle finden müssen. Manche fragen sich vielleicht: Darf ich jetzt gegen einen Minister der eigenen Regierung klare Worte benutzen? Ich finde das völlig in Ordnung. Otto Schily hat uns schließlich auch nicht gefragt, ob er eine solche Position in der Öffentlichkeit präsentieren darf.

Aber sonst haben die Grünen doch schnell und harmonisch in die Regierungsrolle gefunden.

Ja, die SPD hat da mehr Schwierigkeiten. Aber ich würde das nach 46 Tagen nicht abschließend beurteilen wollen, ich finde nur, es wird deutlich, daß wir sehr durchdachte Konzepte haben. Deshalb kommt es bei uns nicht zu einem Chaos wie bei der SPD. Wir wissen sehr genau, welche Forderung in unser Konzept paßt. Dagegen die SPD: Die stellen eine Forderung und merken erst immer hinterher, daß sie damit eine andere Forderung, die sie vorher erhoben haben, wieder umschmeißen.

Kommt die grüne Einigkeit nicht daher, daß sie um der Regierungsfähigkeit willen ihre inneren Widersprüche stillgestellt haben?

Es gibt sicherlich Bereiche, wo das so war. Zum Beispiel in der Außenpolitik.

In dem Punkt ging es auf der BDK sehr harmonisch zu. Fischers öffentlicher Vorstoß zur Nato-Strategie wurde gelobt, obwohl er symbolischer Natur war, während der grüne Außenminister und die deutsche Regierung bei der Interventionspolitik der Nato mitmachen.

In der Außenpolitik haben uns die Ereignisse immer wieder überholt, so daß wir gar keine Zeit hatten, Grundsatz-Positionen zu formulieren. Das wird aber stattfinden. Wir wollen in den nächsten zwei Jahren ein neues Grundsatzprogramm erstellen, das wird ein spannender Prozeß werden.

Wird das nicht eher ein Anpassen der urgrünen Forderungen - wie Sie sie genannt haben - an das Durchsetzbare?

Was im Regierungsalltag passiert, wird sicher eine Rolle spielen. Aber ein Grundsatzprogramm hat einfach die Funktion, für einen Zeitraum von zehn, zwölf Jahren Konzepte zu beschreiben und nicht sofort die Umsetzbarkeit als Schere im Kopf zu haben. Wenn wir so eine Modell von Gesellschaft haben, dann können wir kleine - in einer Koalition sind es manchmal nur ganz kleine - Schritte dahin machen.

So eine Beschreibung hätte ein Realo auch liefern können. Sie sind als Linke gewählt worden. Was unterscheidet die Linken noch von den Realos?

Beispielsweise denke ich, daß wir, auch wenn wir an der Regierung sind, gerade von Parteiseite klare Akzente setzen könnten. Wir werden dann in der Koalition wieder Kompromisse eingehen, aber wichtig ist, vorher trotzdem klar zu sagen, was wir wollen.

Auf der Realoseite gibt es eher die Tendenz, nur ja nicht den Eindruck zu erwecken, daß wir einen Kompromiß eingehen mußten, und deshalb die Verhandlungen mit der SPD hinter verschlossenen Türen stattfinden zu lassen.

Deshalb auch die Forderung von Tom Koenigs, die Trennung von Amt und Mandat ganz aufzuheben?

Das ist natürlich ein klassischer Konflikt zwischen Fundis und Realos ...

... und es geht langsam in die Richtung Aufhebung dieser Trennung.

Nein. Das Ergebnis gegen diesen Antrag war sehr deutlich. Nur 20 Prozent haben für diesen Antrag gestimmt. Und ich bin froh, daß es so deutlich ausgefallen ist.

Aber die Diskussion um eine Strukturreform wird kaum aufhören. Außenminister Fischer hat ja schon gesagt, er wünscht sich eine ganz normale Partei mit Vorsitzendem und Präsidium.

Jeder hat das Recht, Anträge einzubringen. Ich teile seine Ansichten nicht.