Viktor Iljuchin sorgt sich ums "russische Volk"

Russophobie und Genozid

Viktor Iljuchin will Präsident Boris Jelzin seines Amtes entheben. Und dabei ist ihm jedes Mittel recht. Am Dienstag vergangener Woche hatte er vor der Kommission, die ein Amtsenthebungsverfahren gegen Jelzin vorbereitet, seinen großen Auftritt. Drei Anklagepunkte, u. a. wegen des Tschetschenienkrieges, hat die Kommission schon verabschiedet. Ein vierter ist in Vorbereitung: Der des "Genozids" am "russischen Volk" - wegen fallender Geburtenraten und sinkender Lebenserwartung in Rußland.

Aber Jelzin war nicht alleine für den halluzinierten "Genozid am russischen Volk" verantwortlich. "Doch wären die Folgen geringer gewesen, wenn in der Umgebung Jelzins Vertreter der ursprünglichen Nationalitäten überwogen hätten und nicht allein die Vertreter der jüdischen Nation, selbst wenn diese Nation an sich auch talentiert ist", zitierte die SZ Iljuchin. Nach Angaben von AP wiederholte er die Äußerungen im Anschluß an das Treffen vor Journalisten.

Iljuchin, dessen Sorgen um das "russische Volk" im Antisemitismus gipfeln, ist kein Nobody. Er ist Vorsitzender des Sicherheitsausschusses der Duma. Und er ist Mitglied der russischen KP - ein Kommunist von ähnlichem Kaliber wie General Albert Makaschow. Der war im Oktober und November mit Sprüchen wie: "Die Juden trinken das Blut der einheimischen Bevölkerung", hausieren gegangen und hatte gefordert, "wichtige Posten" im Staat überwiegend mit Russen zu besetzen und Juden dabei "eine feste Quote" einzuräumen.

Die Kritik an Makaschow hatte damals KP-Chef Gennadij Sjuganow abgebügelt. Der hatte im November in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Interfax gesagt, die KP halte "weder eine Russophobie" - ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt - "noch den Antisemitismus, noch die Entwürdigung irgendeiner in Rußland lebenden Nationalität für zulässig". Und er fügte nach Interfax hinzu, daß "nicht dazu beigetragen werden darf, daß die äußerst unbedachten und beleidigenden Äußerungen Kreise ziehen, und sie sollten nicht über die Massenmedien publiziert werden". Fazit: Schwamm drüber, totschweigen. Innerparteiliche Konsequenzen hatten die antisemitischen Tiraden für Makaschow nicht, und die KP-dominierte Duma lehnte deren Verurteilung ab.

Der Sjuganow-Linie im Fall Makaschow scheint die KP nun im Fall Iljuchin zu voller Durchschlagskraft verhelfen zu wollen. In der Duma forderte die KP-Fraktion am Mittwoch vergangener Woche nach einem Bericht im russischen Fernsehen, die Frage der Aufhebung der Akkreditierung der Journalisten der drei gesamtrussischen Fernsehgesellschaften - WGTRK, ORT und NTW - auf die Tagesordnung zu setzen. Sie hätten über Iljuchins Auftritt nicht objektiv berichtet und seine Äußerungen aus dem Kontext gerissen. Und die Duma weigerte sich, den Vorschlag der bürgerlich-liberalen Jabloko-Fraktion, Iljuchins Erklärung zu verurteilen, in die Tagesordnung aufzunehmen.

Iljuchin selbst trug auch noch etwas zur Debatte bei: "Ich lehne kategorisch die Beschuldigungen von Herrn Iwanenko ab." Der Jabloko-Abgeordnete hatte zuvor den "antisemitischen und provokativen Charakter" von Iljuchins Äußerungen kritisiert. Iljuchin weiter: "Nach ihm sieht es so aus, daß der russische Mensch in einer Demokratie nicht mehr die Wahrheit äußern darf. (...) Um Antisemitismus ging es bei der Sitzung der Kommission nicht." Da hat er recht: Es ging um den "Genozid am russischen Volk" und die Verantwortung von Juden dafür.