»Zionistisches Kapital«

Der russische KP-Chef setzt sich an die Spitze seiner antisemitischen Kader

Die Vasallentreue deutscher Kommunisten ist sprichwörtlich. Wenn sogar sie in ihrer Parteizeitung anfangen, sich Sorgen zu machen, ob es nicht vielleicht besser wäre, russische KP-Abgeordnete wie General a.D. Albert Makaschow wegen dessen antisemitischer Äußerungen aus der KPRF auszuschließen, dann kann das zwei Gründe haben: Die Befürchtung, daß das negative Image eventuell abfärbt. Oder aber auch die simple Verkennung der Verbreitung des Antisemitismus in der russischen KP.

Was einigen deutschen Kommunisten Sorge bereitet, versetzt deutsche Neofaschisten in Jubelstimmung. Wolfgang Strauss, Osteuropa-Experte dieses Lagers, macht seinen Kameraden die russische KP schmackhaft: "Unter der Wucht der weltanschaulichen Achsenverschiebung nationalisierte sich die KPRF, die Kommunisten fanden zum Vaterland zurück, sie gehören heute zum Lager der 'National-Patrioten', deren Richtschnur heißt: Kampf gegen Überfremdung, westlichen Liberalismus, Manchesterkapitalismus, Amerikanisierung, gegen die Ost-Erweiterung der Aggressionsmacht Nato. KP-Führer Sjuganow trägt nicht die Nationaltracht der deutschen Linken, das Nessushemd des ewigen Büßers." Und "Kampf gegen Überfremdung" heißt in diesen Kreisen auch immer zugleich Kampf gegen den jüdischen Bevölkerungsteil.

Die Zeilen von Strauss waren kaum geschrieben, da tat KP-Chef Gennadi Sjuganow sein Möglichstes, um die Berechtigung des Urteils der deutschen Neofaschisten nachzuweisen. Hatte er sich bei seiner Begegnung mit Ignatz Bubis im Herbst damit begnügt, eine Distanzierung von seinem Gefolgsmann Makaschow zu unterlassen, so entschloß er sich nun - pünktlich zu Weihnachten -, in die Gegenoffensive zu gehen. Es schien höchste Zeit dafür. Nachdem nämlich Makaschow eine "ethnische" Quotierung für die Besetzung öffentlicher Ämter gefordert hatte, um damit die angeblich hohe jüdische Präsenz in den diversen russischen Regierungen anzuprangern, hatte ihm einen guten Monat später der kommunistische Vorsitzende des Sicherheitsausschusses, Viktor Iljuchin, nachgeeifert, der behauptete, Boris Jelzin habe mit den Juden in seinem Büro einen Völkermord am russischen Volk begangen.

Wieder einmal schlugen die Wellen hoch. Iljuchins Äußerungen wurden von der demokratischen Jabloko-Fraktion als durch einen "offen antisemitischen und provokativen Charakter" geprägt bezeichnet. Moskaus Bürgermeister Luschkow, als nicht chancenloser Kandidat für die nächsten Präsidentschaftswahlen gehandelt, hat wegen des "wilden Antisemitismus" von Makaschow eine Koalition mit den Kommunisten ausgeschlossen. Israels Botschafter wurde, ebenfalls wegen Makaschow, bei Sjuganow vorstellig.

Nachdem sogar Forderungen nach einem Verbot der KP laut geworden waren, holte Sjuganow zum Gegenschlag aus. Um dem Vorwurf des Antisemitismus zu entgehen, griff er auf einen alten Trick aus der Stalin-Ära und der späteren Sowjetzeit zurück: Er definierte den Antisemitismus zum Antizionismus um. Und hielt sich bei dessen Charakterisierung an die Vorgaben aus alten Zeiten. So hatte es in der Großen Sowjet-Enzyklopädie von 1950 geheißen, bei den Zionisten handele es sich um "Agenten des amerikanischen und englischen Imperialismus und die erklärten Feinde der jüdischen Arbeiter". Und in der Ausgabe von 1976 des gleichen Lexikons stand, beim Zionismus handele es sich um eine "nationalistische Ideologie, ein breites Netzwerk von Organisationen und eine Politik, die die Interessen der jüdischen Großbourgeoisie zum Ausdruck bringen, die in enger Verbindung zur Monopolbourgeoisie der imperialistischen Staaten steht. Die Hauptzüge des Zionismus: militanter Chauvinismus, Rassismus, Antikommunismus und Antisowjetismus".

Sjuganow gestand zwar ein, daß Makaschows Äußerungen "im Gegensatz zu den Direktiven" der Partei stünden, erläuterte aber zugleich, an die alten Thesen anknüpfend, in einem Offenen Brief: "Der Zionismus hat sich in der Wirklichkeit selbst entlarvt als eine der Varianten von Theorie und Praxis der aggressivsten imperialistischen Kreise, die nach der Weltherrschaft streben."

Damit nicht genug. Sjuganow machte sich in dem Offenen Brief daran, eine neue Faschismustheorie zu entwerfen, die den Zionismus zu einer hinterhältigen Spielart des Nationalsozialismus macht. "In dieser Hinsicht", als Werkzeug imperialistischer Mächte nämlich, so urteilt Sjuganow, "ist er dem Faschismus ähnlich. Der einzige Unterschied zwischen ihnen besteht darin, daß Hitlers Nazismus sich unter der Maske des deutschen Nationalismus herausbildete und offen nach der Weltherrschaft strebte, während der Zionismus, wenn er unter der Maske des jüdischen Nationalismus auftritt, verstohlen operiert, indem er u.a. die Hände von jemandem anderen nutzt." Die Verbreitung des Zionismus sei ein Unglück für die Juden selbst.

Den Juden, so Sjuganow weiter, stehe es frei, das Land zu verlassen, oder aber sie müßten Rußland "als ihr einziges Heimatland" betrachten und sich an dessen "ethnische Gruppen" assimilieren. Es könne nicht hingenommen werden, daß sie sich als eine Art "innerer Emigration" aufführten und "zu ihrem eigenen Nachteil zugunsten eines anderen Landes oder einer internationaler Vereinigung" handelten.

Selbstverständlich konnten in diesem Zusammenhang die Angriffe auf das "jüdisch dominierte Finanzkapital" nicht ausbleiben. Jeder Angriff auf dieses gilt zugleich Jelzin, dessen enge Zusammenarbeit mit dem Finanzmagnaten Boris Beresowski immer wieder Anlaß für entsprechende Hinweise ist. Sjuganow war klug genug, keine Namen zu nennen. Er sprach lediglich laut aus, was angeblich jeder sehen könne: "Unser Volk ist nicht blind. Es kann nicht übersehen, daß die Zionisierung der russischen Regierungsbehörden einer der Gründe für den gegenwärtigen katastrophalen Zustand des Landes, der Verarmung der Massen und des Aussterbens seiner Bevölkerung war." Und weiter: "Es kann nicht die aggressive und zerstörerische Rolle des zionistischen Kapitals bei der Ruinierung von Rußlands Wirtschaft und der Ausplünderung des allen gehörenden Eigentums übersehen."

Es gebe ein wachsendes Verständnis in der Bevölkerung dafür, so endet der KP-Chef, daß die Wurzel der russischen Mißstände in der kriminellen Politik der supra-nationalen Finanzoligarchie liege. Eine Position, die durch jüngste Meinungsumfragen nicht unbedingt bestätigt wird. Nach einer im November erhobenen Umfrage sehen nur acht Prozent der Bürger in öffentlichen antisemitischen Äußerungen nichts Anstößiges. Dieser eher niedrige Wert relativiert sich allerdings, wenn dieselbe Umfrage ergibt, daß ein knappes Viertel der Bevölkerung die Entscheidung der Duma billigt, Makaschow wegen seiner Tiraden nicht zu verurteilen.

Jenseits aller Meinungsumfragen aber geht Sjuganows Kalkül vor allem dahin, daß in einer sich verschärfenden Dauerkrise nicht den Versäumnissen der Sowjetzeit und damit der KP angelastet würde, was man erfolgreich ausländischen Drahtziehern - dem "Soros-Diktat" zur Rubelabwertung oder "nicht-russischen" Presse- und Finanzmagnaten wie dem Vorsitzenden des Russischen Jüdischen Kongresses, Wladimir Gusinski - anlasten kann.

Der Zustimmung ihrer nationalistischen Freunde können sich die KP-Chefs bei diesem Kurs sicher sein. So nützen es schon heute beide Bündnispartner als Munition im eingeläuteten Präsidentschaftswahlkampf gegen Widersacher Alexander Lebed, daß dieser bei seiner erfolgreichen Kandidatur um den Gouverneursposten der Region Krasnojarsk durch den Großunternehmer Beresowski gesponsert worden war.

Warnende Stimmen werden in diesem Klima seltener. Eine Analyse versuchte zumindest der alte Reformpolitiker Alexander Jakowlew, der "geistige Vater der Perestroika". Er führte in einem Interview mit der demokratischen Literaturnaja Gazeta aus, daß die Krankheit des auf dem Vormarsch befindlichen Nationalbolschewismus bereits in der Gorbatschow-Ära begonnen habe. Damals sei man vom proletarischen Internationalismus abgerückt und habe sich der nationalen Frage zugewandt. Gleichzeitig sei in den Parteischriften die Bedeutung jüdischer Autoren herabgesetzt worden. Im Innern würden die Juden als Sündenböcke gebraucht, und zugleich - u.a. über die Nato-Ost-Erweiterung - als Aggressor von außen präsentiert. Träger des Antisemitismus und des Faschismus in Rußland sei das Lumpenproletariat, das als revolutionärer Stoßtrupp mobilisiert werden solle. Die Machteroberung durch einen neuen Faschismus erfolge am Ende wieder über die Eroberung der Straße.

Selbstverständlich wird Sjuganow solche Absichten weit von sich weisen.