Eine seltene Spezies

Die PDS hat einen neuen Stellvertretenden Vorsitzenden: Diether Dehm kommt aus dem Westen und weiß, was die Medien hören wollen

Der Parteichef hielt sich bedeckt. "Ich habe noch nie Wahlergebnisse kommentiert. Der Souverän hat gewählt, und ich werde mit dem Ergebnis umzugehen wissen", verbarg Lothar Bisky seinen Ärger über die Wahl des PDS-Newcomers Diether Dehm zum Stellvertretenden Parteivorsitzenden hinter Allgemeinplätzen. Selbstverständlich respektiere er das Votum der Parteibasis, die den 49jährigen Frankfurter am Samstag abend überraschend zum dritten Stellvertreter Biskys gewählt hatte. Mehr, so der PDS-Vorsitzende, gebe es zu seinem künftigen Vorstandskollegen nicht zu sagen.

Drei Tage vor Beginn des Parteitags in Berlin sah das noch anders aus. Um eine Wahl des erst im September von der SPD zur PDS übergetretenen Dehm zu verhindern, war Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch letzte Woche eilig nach Bremen gereist. Im Auftrag des Parteivorstandes sollte er Martina Stahmann, die Sprecherin des Parteirates ist, zu einer Gegenkandidatur überreden. Der unberechenbare Dehm, so der Wunsch der Parteispitze, sollte außen vor bleiben: Bloß kein Ärger mehr mit Einzelgängern, davon hatte die PDS in den letzten Wochen genug.

Der Versuch scheiterte. Stahmann erklärte sich am Mittwoch letzter Woche zwar bereit, gegen Dehm anzutreten, kam bei der Abstimmung am Samstag aber nur auf 126 Stimmen. Anstelle des Vorstandspostens hagelte es Anschuldigungen gegen die Westdeutsche, die Delegierten nahmen sie regelrecht ins Kreuzverhör.

"Ich lasse mich nicht beauftragen", konterte Stahmann die Vorwürfe. Die Schlappe des Vorstands um Lothar Bisky konnte sie jedoch nicht verhindern. Auch der kurzfristig als dritter Kandidat eingesprungene Freke Over, PDS-Parlamentarier im Berliner Abgeordnetenhaus, kam über 71 Stimmen nicht hinaus; Dehm erreichte mit 233 Stimmen die absolute Mehrheit, ohne daß ein zweiter Wahlgang notwendig geworden wäre. Die Erleichterung über den freiwilligen Rücktritt des bisherigen Wahlkampfleiters André Brie dürfte nur kurz gewährt haben: Bisky, Bartsch und Schatzmeister Uwe Hobler werden sich mit der - nach eigener Auskunft - "seltenen Spezies" Dehm wohl auch in Zukunft auf vorstandsinterne Kritik einstellen müssen.

Der frühere Liedermacher, der in seiner Vorstellungsrede ausdrücklich darauf verwies, bereits eine Woche vor dem Wahlsieg aus der SPD ausgetreten zu sein, ist den Umgang mit den Medien gewöhnt. Geschickt nutzte er sein Künstler-Image, um den Parteitag auf seine Seite zu ziehen. In einer Mischung aus freiem Unternehmergeist und anti-kapitalistischer Rhetorik ("wir brauchen eine Renaissance des Marxismus") bediente der Frankfurter Kulturmanager und frühere Leiter der Arbeitsgemeinschaft Selbständige in der SPD alle Lager. Populistische Vorschläge - Pressefeste des Neuen Deutschland in westdeutschen Großstädten, eine Kampagne gegen den Aussperrungsparagraphen - verknüpft mit der Verpflichtung, sich insgesamt 30 Tage im Jahr der Basisarbeit in Ost wie West zu widmen, taten ein übriges, die Delegierten für sich zu gewinnen. Verbunden mit der Perspektive, endlich auch einen medienkonformen Wessi ("wir brauchen echte Spitzenkandidaturen") in der Parteispitze zu haben, war Dehm die Mehrheit sicher.

Weitere Überraschungen brachte der Parteitag nicht. Bereits einen Tag vor Beginn hatte die Bundestagsfraktion ihren Streit um die Verpflichtung des früheren DDR-Spions Rainer Rupp beigelegt - auf eine Debatte über den Umgang mit der SED-Vergangenheit wartete man vergeblich.

Parteivorsitzender bleibt weiterhin Lothar Bisky, der in seinem Grundsatzreferat den Kurs in die Mitte für die nächsten Jahre vorgab: Bis zum Jahr 2002 müsse die PDS - da herrsche Konsens zwischen ihm, Bartsch und Gregor Gysi - auch auf Bundesebene koalitionsfähig sein. "Unseren Platz in einer politischen Mitte-Links-Konstellation einzunehmen, um ihn für dringende Veränderungen zu nutzen - das ist unser Ziel."

Fast geschlossen nahm die Basis die Vorgaben hin. Drei Monate nach der Regierungsübernahme in Mecklenburg-Vorpommern gehörten Grundsatzdiskussionen über Oppositionsverständnis und Regierungsbeteiligung nicht mehr auf die Tagesordnung. So war es wieder einmal Sahra Wagenknecht von der Kommunistischen Plattform, die auf Konfrontation zur Parteispitze ging: "Mir graut vor dem Tag, an dem auch die PDS ihren Schily oder Fischer hervorgebracht hat." Die Genossen dankten es ihr mit der Wahl des KPF-Funktionärs Michael Benjamin in den Parteivorstand.

Jetzt hat Wagenknecht erst mal ihren Diether Dehm. Und der hat so seine eigenen Vorstellungen darüber, wer die PDS künftig repräsentieren soll: "Es kann mal ein Rapper, mal ein Kabarettist oder mal ein Betriebsratsvorsitzender eines vom Konkurs bedrohten Unternehmens sein", meint der Kulturmanager. Warum nicht gleich Katarina Witt? Mit der DDR-Eislauf-Ikone betreibt der Frankfurter eine Sport-Marketing-Agentur - und Lothar Bisky hätte mit ihr als Spitzenkandidatin wohl auch nichts mehr gegen Dehm einzuwenden.