Richard Stöss

»Union will Ausländerfeinde integrieren«

Jetzt geht's los! Seit dem vergangenen Wochenende läuft bundesweit die Unterschriftenaktion der CDU/CSU gegen die Doppelte Staatsbürgerschaft. Die Kampagne, die dem Volk eine Stimme verleihen soll - das verzweifelte Aufbäumen einer in die parlamentarische Opposition gedrängten Union? Oder sollen die innerparteilichen Widersacher am rechten Rand gebunden werden? Richard Stöss ist Parteienforscher und Professor für Empirische Politische Soziologie an der Freien Universität Berlin.

Ist die Unterschriftenkampagne zur Doppelten Staatsbürgerschaft die Verzweiflungstat einer zerütteten Union? Schließlich gehörte das Plebiszit bislang nicht gerade zu den von CDU und CSU geförderten Politikformen ...

Wenn man denn von Verzweiflung sprechen will, dann sicher deshalb, weil CDU und CSU direktdemokratische Elemente einbeziehen, die sie vorher noch abgelehnt haben. Witzigerweise tut sich hier ausgerechnet Rupert Scholz hervor. Bislang hat sich Scholz als Politiker und als Verfassungsrechtler immer gegen solche Ansätze in politischen Systemen der Bundesrepublik ausgesprochen. In den achtziger Jahren wollte er sogar verhindern, daß sich die Grünen an Wahlen beteiligen. Und zwar mit dem Argument, sie hätten in ihrer Partei eine Reihe von direktdemokratischen Elementen eingeführt, die verfassungswidrig seien.

Maßgeblich wurde das Volksbegehren von der CSU gepusht. Hat das nur mit der üblichen Scharfmacherfunktion der Partei zu tun?

Gerade bei der CSU bin ich überhaupt nicht überrascht. Es entspricht ihren politischen Vorstellungen. Sie sieht hier die Möglichkeit, sich als Partei am rechten Rand des demokratischen Spektrums etablieren zu können und zu verhindern, daß sich, wie Franz-Josef Strauß das immer gefordert hat, zwischen ihr und der Wand keine rechtsextreme Partei positionieren kann. Die CSU sieht ihr Vorgehen sicher nicht als Ermunterung von rechten Kräften, sondern meint, daß sie das Erstarken der Rechtsradikalen auf diese Art verhindern kann.

Eine Taktik, die gewöhnlich nicht aufgeht, sondern gewisse Geister erst ruft. Schließlich haben NPD und Republikaner sofort erklärt, sie würden die Unterschriftenaktion unterstützen.

Bislang ging die CSU-Taktik zumindest in Bayern immer auf. Man muß sehen, daß die Republikaner im Grunde genommen eine bayerische Partei sind. Lange Zeit waren sie dort besonders stark. Trotzdem konnten sie dort nie ins Parlament einziehen. Dasselbe gilt auch für die DVU. Aber der bayerische Weg wird in der Union der anderen Bundesländer nicht ohne weiteres geteilt. Schließlich gibt es dort liberal und sozial orientierte Flügel.

Wenn man die überwältigende Zustimmung betrachtet, auf die die Volksbefragung auf der CDU-Klausurtagung in Königswinter gestoßen ist, könnte man skeptisch werden ...

Die CSU will den Gegner durch politische Polarisierung kleinhalten, und innerhalb der Unionsparteien gibt es eine starke Gruppe, die das auch befürwortet. Aber immerhin trauen sich Oppositionelle aus dem liberal-konservativen Lager, das Wort zu ergreifen - selbst auf die Gefahr hin, daß sie dadurch den Eindruck erwecken, als seien die Unionsparteien in sich gespalten. Das hat Helmut Kohl immer zu verhindern gewußt.

Aber mit wenig Erfolg. Die sogenannten jungen Wilden wurden doch in der öffentlichen Debatte heftig abgekanzelt.

Ich habe die Bedeutung dieser angeblichen Wilden nie so stark eingeschätzt wie Teile der Medien. Daß der Parteivorsitzende bzw. der Fraktionschef mit Kritikern hart ins Gericht geht, ist selbstverständlich. Dennoch ist die Massivität der parteiinternen Kritik auffällig. Die Kritiker haben auch einen triftigen Anlaß. An eine so stark polarisierte Frage erinnere ich mich zu Zeiten Kohls nicht.

Was den Kritikern allein noch keine innerparteiliche Basis beschert ...

Noch ist offen, ob die Aktion tatsächlich von der gesamten Partei betrieben wird. Im Moment ist es sehr schwer einzuschätzen, wieviel Mitglieder hinter diesen jungen Wilden stehen.

Und hinter Heiner Geißler? Hat seine Linie nach dem Abdanken Kohls mehr Chancen?

Seine Rolle hat sich nicht geändert. Er war in der Ära Kohl immer einer von den wenigen, die ihre Position ziemlich mutig deutlich gemacht haben. Als Repräsentant der Sozialausschüsse war er ein Modernisierer aus dem parteilinken, liberalen Lager. Er hat den Parteiapparat sehr stark reformiert. Der innerparteiliche Pluralismus ist jetzt größer als früher. Das kann für Geißler bedeuten, daß er es schwerer hat, weil er sich gegen mehr rivalisierende Gruppen als früher durchsetzen muß. Wenn es beispielsweise zwischen Sozialausschüssen, Frauenunion und Junger Union zu einem Bündnis kommt, dann könnte das ein wichtiger Machtfaktor werden. Wenn diese Gruppen jedoch nicht zusammen agieren, wird auch Geißlers Position keinen großen Einfluß mehr haben.

Zuletzt sorgte Geißler für Furore, weil er eine Zusammenarbeit mit der PDS nicht ausgeschlossen hat. Die Empörung, die er für diese Aussage erntete, erschien wie ein Ausdruck der Angst vor dem Verlust der eigenen Identität. Losgelöst von ideologischem Firlefanz, der um die PDS gemacht wird, weiß doch auch Schäuble, daß die Partei sozialdemokratische Politik macht, die sich in vielen Punkten selbst von der der CDU nicht wesentlich unterscheidet.

Geißlers Ausgangspunkt war, daß die Union in Ostdeutschland bei den Wahlen ziemlich eingebrochen ist. Und zwar, weil sie sich nicht auf das Ost-Thema schlechthin, die Gerechtigkeitslücke, konzentriert hat. Diesen Bereich hat vor allem die PDS thematisiert. Geißler reagierte, in dem er von seiner Partei forderte, sie müsse sich wieder stärker sozialen Themen nähern. Indirekt warnte er damit natürlich davor, daß die CDU nach rechts abdriftet.

Und deshalb die Aufregung? Das Problem, die soziale Gerechtigkeit so zu gestalten, daß das jeweilige Klientel Grund genug hat, die Partei wieder zu wählen, stellt sich für die CDU genauso wie für die PDS. Ist es nicht die Feststellung, daß man - vom Ideologischen abstrahiert - relativ ähnliche Konzepte hat, die die Parteigänger beunruhigt? Schließlich sind heutzutage Parteilinke aus der PDS, den Grünen, der SPD und eben auch der CDU manchmal untereinander eher kompatibel als innerhalb ihrer eigenen Partei. Geißler scheint mir da eher als Projektionsfläche für die Angst vor dem Verlust des jeweils Spezifischen einer Volkspartei.

Der Konflikt läuft anders. Es gibt einen gewissen Konsens innerhalb der politischen Klasse, also bei allen, die in den Parlamenten sitzen, und gleichzeitig einen Dissens dieser Klasse zu ihrer eigenen Basis. Ob das jetzt in der PDS ist, wo es heißt: "Ihr paßt euch zu stark an", oder bei den Grünen, denen von der Basis zu großer Pragmatismus vorgeworfen, oder eben auch bei der Union, wo von unten ein schärferes Vorgehen gefordert wird. So sieht doch die Konfliktlinie aus. Im Parlament müssen nunmal alle auf Konsens drücken, während von außen kritisiert wird: "Ihr vertretet unsere Positionen nicht". Folgerichtig werfen jene, die nicht zur politischen Klasse gehören, ihren Vertretern Verrat "an unseren Ideen" vor.

Heiner Geißler hat hier eine interessante Zwischenposition. Er steht immer mit einem Bein außerhalb dieser politischen Klasse und kritisiert sie, mit dem anderen Bein steht er aber drin und macht alles mit. So kritisch er auch manchmal ist, hat er dennoch fast jeden Beschluß mitgetragen.

Aber er hatte offenbar Gründe, eine Zusammenarbeit mit der PDS innerhalb der Union zumindest schon mal diskursiv in den Bereich des Möglichen zu bringen.

Die CDU hat in Ostdeutschland seit 1990 kontinuierlich an Stimmen verloren. Wenn ich mir nun die Wahlkampfthemen anschaue, stelle ich fest, daß im Vordergrund nie Fragen der sozialen Gerechtigkeit standen. Die Botschaft war immer: Wir machen weiter wie bisher. Wir haben es richtig gemacht, wir haben Erfolge aufzuweisen. Sie hat die soziale Frage nicht in das Zentrum ihres Wahlkampfes gestellt. Wenn Geißler einen solchen Vorschlag macht, dann müssen sich natürlich alle bedroht fühlen, die von einem konservativen Kurs überzeugt sind, der auf Polarisierung gegenüber Rot-Grün hinausläuft. Das scheint mir der Grund für die Aufregung zu sein. Es geht um die Oppositionsstrategie der Unionsparteien.

Kann die Union hier auf Erfahrungen aus ihrer Oppositionszeit in den siebziger Jahren zurückgreifen?

Damals haben CDU/CSU beinharte nationalistische Opposition gegen die sozialliberale Koalition betrieben und dadurch fast das gesamte rechtsextreme Lager integriert. Als sie 1982 wieder an die Macht gekommen sind, wollten sie sich dieser Kräfte wieder entledigen, was diese sich aber nicht bieten ließen und die Republikaner gegründet haben. Ob es heute wieder dazu kommt, daß die CDU/CSU einen betont nationalistischen und ausländerfeindlichen Kurs betreibt, und dadurch wiederum das rechte Lager integriert, ist im Augenblick noch nicht absehbar. Von der Unterschriftenaktion erhoffen viele innerhalb und außerhalb der Unionsparteien, daß dies der Fall sein wird.

Im Zentrum des Wahlkampfes stand die Strategie, mit autoritären Lösungen, besonders was Innere Sicherheit und Ausländerpolitik betrifft, vorzugeben, man habe alles im Griff. Nun gibt sich aber Innenminister Otto Schily alle Mühe, seinem Vorgänger Manfred Kanther in nichts nachzustehen. Bleibt der Union also nichts anderes übrig, als das Themenfeld Doppelte Staatsbürgerschaft in der Bevölkerung zu radikalisieren, damit überhaupt noch Unterschiede sichtbar werden?

Sicher, entsprechende Stimmungen zu schüren, um Massenmobilisierungen zu erzeugen, war in der Tat nicht Kanthers Politik. Er hat seine Positionen auf ministerialer Ebene durchgesetzt. Aber in der Opposition muß man andere Möglichkeiten suchen. Vor allem meint die Union, einen Ansatzpunkt gefunden zu haben, mit dem sie die Regierung frontal angehen kann. In der Sache sind die Unterschiede offenbar nicht sehr groß. Betrachtet man Otto Schilys Äußerungen, dann können sich jene in der Union bestätigt fühlen, die nach einem Kompromiß mit der rot-grünen Regierung suchen. Diejenigen aber, die harte Oppositionspolitik machen wollen, werden keine Kompromisse eingehen. Sie wollen die Regierung vorführen.

Nicht zuletzt hat sich aber auch die Stimmung verändert. Heutzutage kann man offensichtlich mit völkischen Positionen durchaus gute Stiche in der Bevölkerung machen. Zumal, wenn man dem Volk anbietet, mitentscheiden zu dürfen.

Fremdenfeindliche und rassistische Stimmungen sind weit verbreitet. Die Gefahr, daß diese Kräfte durch die Unterschriftensammlung mobilisiert werden, ist sehr groß.