Angelika Beer

»Die UCK provoziert«

Mit ihrer Aufforderung an die Konfliktparteien im Kosovo, Verhandlungen aufzunehmen, hat sich die Balkan-Kontaktgruppe (USA, Großbritannien, Deutschland, Rußland, Frankreich, Italien) am Wochenende nach Monaten wieder in den Konflikt in der südserbischen Provinz eingeschaltet. Bis zum 6. Februar sollen Kosovo-Albaner und die jugoslawische Regierung von Slobodan Milosevic in Rambouillet bei Paris zu Gesprächen zusammentreten - um innerhalb von zwei Wochen eine Autonomie-Regelung zu erreichen. Doch auch die Diplomaten kommen nicht ohne das militärische Drohpotential der Nato aus: Ebenfalls am Wochenende ermächtigten die Nato-Botschafter Generalsekretär Javier Solana, Luftangriffe auf Jugoslawien anzuordnen, wenn die Kosovo-Befreiungsarmee UCK und die serbischen Einheiten ihre "internationalen Verpflichtungen" nicht einhielten. Selbst wenn es zu einer Friedensregelung kommen sollte, wären nach Nato-Schätzungen zwischen 30 000 und 200 000 Soldaten nötig, diese durchzusetzen. Angelika Beer ist verteidigungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

Bundeskanzler Schröder hat in der letzten Woche nicht mehr ausschließen wollen, daß Bundeswehrsoldaten zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik an Kampfeinsätzen beteiligt werden. An Protest dagegen war von den Grünen kaum etwas zu vernehmen. Ist der Schröder-Vorstoß das, was die damalige Grünen-Bundesgeschäftsführerin Heide Rühle im Oktober, als die Nato Jugoslawien das letzte Mal mit Militärschlägen drohte, als "Pazifismus unter den aktuellen Bedingungen" bezeichnet hat?

Nein, das hat damit überhaupt nichts zu tun. Im übrigen hat es sehr deutlichen Protest gegeben, weil die Äußerung des Bundeskanzlers erstens nicht nur unklar, sondern zweitens auch zu einem völlig unpassenden Zeitpunkt gekommen ist. Innerhalb der Koalition waren wir uns einig, daß Deutschland weder nach vorne preschen noch sich einseitig zurückziehen dürfe aus den internationalen Bemühungen, die Kriegsparteien durch erhöhten diplomatischen Druck an den Verhandlungstisch zu bekommen. Insofern ist das Schnee von gestern. Wir haben es geschafft, daß die Kontaktgruppe nun einen Vorschlag unterbreitet hat - und müssen innerhalb der gesetzten Frist alles tun, daß die Friedensverhandlungen tatsächlich stattfinden.

Aber die Forderung nach deutschen Kampftruppen ist damit ja nicht vom Tisch.

Ich habe den Kanzler nicht zu kommentieren. Es gibt eine klare Beschlußlage: Wir haben zwei Einsätze im Bundestag verabschiedet, die Extraction Force und die OSZE-Kontingente. Es geht jetzt nicht darum, weiter zu debattieren, welche möglichen Kampfszenarien entstehen könnten, sondern darum, einen Friedensprozeß in Gang zu setzen. Ich weiß, daß es für Medien immer das Netteste ist, über irgendwelche Kriege zu schreiben, aber das steht wirklich nicht auf der Tagesordnung und deswegen ist diese Debatte hinfällig.

Schließen Sie denn nun den Einsatz von Bodentruppen im Kosovo aus?

Es gibt immer unterschiedliche Formen von Einsätzen von Bodentruppen. Wenn es tatsächlich dazu kommt, daß UCK, Kosovo-Albaner und Milosevic sich auf den vorgeschlagenen Autonomie-Fahrplan einigen und sämtliche Kämpfe im Kosovo einstellen, wird es in der Tat notwendig sein, einen solchen Friedensprozeß - ähnlich wie in Bosnien - vom Boden her abzusichern. Das allerdings nur auf völkerrechtlicher Grundlage. Die Möglichkeiten dafür stehen ja gar nicht so schlecht. Es wäre dann ein friedenserhaltender Einsatz, um sicherzustellen, daß keine weiteren Massaker passieren.

Was schon für die Nato-Drohungen im Oktober galt, gilt auch jetzt: Diese sichere rechtliche Grundlage, ein Mandat der Vereinten Nationen also, besteht bisher nicht.

Bislang besteht es nicht, aber wir haben jetzt eine andere Situation: Rußland hat bis zum heutigen Tag sämtliche Verhandlungen mitgetragen und damit die Position gewechselt. Das heißt, im Ernstfall gehe ich davon aus, daß wir einen UN-Sicherheitsratsbeschluß bekommen.

In der Diskussion über eine Lösung der Kosovo-Krise fällt nun immer öfter der Begriff Dayton II. Was dabei nicht erwähnt wird, ist, daß der Dayton-Vertrag für Bosnien erst zustandekam, nachdem die Nato tagelang serbische Stellungen bombardierte.

Man darf, was heute leider immer wieder passiert, Bosnien nicht mit Kosovo gleichsetzen. Wir haben vollkommen unterschiedliche Situationen: Dayton ist zwar ein politischer Begriff, aber man wird einen Kosovo-Friedensvertrag nicht analog zu Dayton formulieren können, weil ganz andere politische Aufgaben auf der Tagesordnung stehen. Ich betone es noch einmal: Ich habe keine Lust, bei diesem ganzen Kriegsgeschrei mitzumachen. Wir haben einen Friedensprozeß, wir verhandeln, es sind Fristen gesetzt. Die Situation ist im Vergleich zu Bosnien auch deshalb anders, weil die Luftschläge damals eindeutig, sage ich mal, gegen einen Feind gerichtet waren: Es ging darum, die serbischen Einheiten, die Sarajevo eingekesselt hatten, aus dieser Region herauszubekommen.

Was schon der völkerrechtswidrige Angriff der Amerikaner und der Briten auf den Irak gezeigt hat, ist, daß die sogenannte Drohkulisse "Luftschläge und dann wird alles gut" nichts anderes verursacht als einen politischen Scherbenhaufen - sowie eine politische Stärkung von Saddam Hussein im Lande selbst. Das weiß auch Milosevic sehr gut. Deshalb ist es nicht auszuschließen, daß er genau dieses Szenario provoziert, weil er sich im klaren darüber ist, daß mit dem ersten Luftangriff auch das militärische Drohpotential zusammenbricht. Deswegen ist die Spekulation über Luftschläge meines Erachtens der vollkommen falsche Weg. Es gibt im Moment keine adäquaten Instrumente und Mittel, die politischen Ziele durchzusetzen. Das ist ein Dilemma, in dem die Nato und Bundesregierung sind. Ich sage aber auch: Wenn die Massaker weiterlaufen, dann wird die internationale Staatengemeinschaft handeln müssen. Wie das aber aussieht, darüber bin ich nicht bereit, heute zu diskutieren.

Die Kosovo-Albaner sind weiterhin gespalten. Während Rugova sich zu Verhandlungen bereit erklärt hat, will die UCK nur verhandeln, wenn die Unabhängigkeit des Kosovo auf der Tagesordnung bleibt. Was passiert denn, wenn die UCK sich weiter weigert, an einem Dialog über eine Autonomie-Regelung teilzunehmen?

Erst einmal hat sie Verhandlungen nicht abgelehnt, sondern hat sich Bedenkzeit ausgebeten, genauso wie Milosevic. Zweitens hat die Nato der UCK sehr klar - und zwar Nato-Generalsekretär Solana persönlich - genauso gedroht wie der serbischen Seite. Denn das, was im Moment läuft, ist ein Katz-und-Maus-Spiel. Die UCK provoziert im kleineren Ausmaße, zieht sich zurück und weiß genau, daß die serbischen Einheiten dann gegen die Zivilbevölkerung vorgehen - eine Guerillataktik, die keineswegs akzeptiert werden kann. Insofern besteht die Drohung der Nato gegenüber beiden Seiten, wobei zu überlegen ist, inwieweit das wirksam ist. Denn die UCK will den Nato-Einsatz, was den Unterschied zur Situation in Bosnien klarmacht: Wenn die Nato jetzt militärisch agiert, wird sie instrumentalisiert und kann keine neutrale Position mehr vertreten. Deswegen unterstreiche ich noch einmal: Es gibt politische Ziele, aber keine adäquaten Mittel, egal in welchem Bereich, sie im Moment umzusetzen.

Wenn es nun tatsächlich zu einem Friedensschluß kommen würde, wäre dieser also auch für Sie nur umsetzbar mit Bodentruppen im Kosovo?

Ich habe ganz klar gesagt: Wir verhandeln, damit wir den Autonomie-Prozeß jetzt einleiten können, und hoffen, daß der dann innerhalb von drei Jahren umgesetzt wird - mit der Einführung einer regionalen Selbstverwaltung, von Schulen, Behörden und Sicherheitskräften. Ich gehe davon aus, daß dieser Prozeß durch friedenserhaltende Maßnahmen begleitet werden muß: durch einen Peace-Keeping-Einsatz, der sicherstellt, daß Gefechte in der Region solange nicht stattfinden. Aber das allein reicht nicht aus: Wir brauchen ein politisches Konzept für den ganzen Balkan, das parallel dazu mit allen Regionen entwickelt werden muß, die betroffen sind. Denn man kann nicht immer nur dort agieren, wo gerade Kämpfe ausbrechen.

Sie sprechen von einem "friedenserhaltenden" Einsatz, obwohl es im Kosovo erst einmal darum geht, die Konfliktparteien auseinanderzuhalten. Im Wahlprogramm Ihrer Partei heißt es hierzu: "Bündnis 90/Die Grünen sind nicht bereit, militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze mitzutragen." Wird da nicht durch eine sprachliche Umbenennung ein Parteitagsbeschluß ausgehebelt?

Nein. Die Regierung entscheidet auf Grundlage der Koalitionsvereinbarung - nicht auf der Grundlage des grünen Programms. Für uns ist entscheidend, daß jetzt - wie zwischen SPD und Grünen vereinbart - die Instrumente für eine Politik der Krisenprävention ausgebaut und Uno wie OSZE gestärkt werden. Damit es zu einer Situation wie heute im Kosovo erst gar nicht mehr kommt.

In den letzten Monaten hat es vermehrt Übertritte von den Grünen zur PDS gegeben, die immer wieder damit begründet wurden, daß die Grünen - zumindest auf Funktionärsebene - keine antimilitaristische Partei mehr seien. Hat die Regierungsbeteiligung diesen Prozeß noch beschleunigt?

Nein, das sehe ich überhaupt nicht so. Die Grünen befinden sich natürlich in einer unendlich schweren Situation, gerade weil wir uns in den Koalitionsverhandlungen im Bereich Bundeswehr/Militär nicht durchsetzen konnten. Trotzdem hat der Parteitag fast hundertprozentig diesem Vertrag zugestimmt. Ich denke aber, daß es zu einfach ist, die reale Situation zu vernachlässigen und zu sagen: Militär ist blöd, damit will ich nichts zu tun haben. Fakt ist, daß wir 340 000 Bundeswehrsoldaten haben und eine Nato, die beabsichtigt, im April ein militärisches Konzept zu verabschieden, das möglicherweise die Selbstmandatierung des Bündnisses beinhaltet - also einen generellen Verzicht auf völkerrechtliche Mandate. Das gilt es zu verhindern, was man aber nicht erreicht, indem man sagt: Ich will damit nichts zu tun haben, sondern nur, indem man in die reale Diskussion eintritt. Dieser Aufgabe stellen sich die Grünen, und das schmälert nicht ihren Antimilitarismus. Wir haben gelernt, daß man nur etwas verändern kann, wenn man sich in die aktuellen Auseinandersetzungen begibt. Die Rückzugsposition der PDS ist vielleicht bequem, bringt aber nicht weiter.