Clinton ist weiter Präsident

Suck my Bill!

"Vorbei. Endlich." Ein Stoßseufzer der Erleichterung in der FR. Das Impeachment-Verfahren gegen US-Präsident William Clinton ist beendet. Der Senat hat ihn von den Vorwürfen des Meineides und der Behinderung der Justiz freigesprochen.

Doch schade, daß die Schmierenkomödie nicht weiter gespielt wird. Denn sie ermöglichte außerordentlich aufschlußreiche Einblicke in das Funktionieren der Institutionen des US-Kapitalismus.

Der Sonderermittler Kenneth Starr hat zum Ruhme der US-Justiz den Titel eines Chefinquisitors errungen. Er hat öffentlich die schönen Praktiken aus der McCarthy-Ära recycelt, die grausame Illusionen in die Justiz verhindern: Schnüffeln in der Privatsphäre von allen, die auch nur entfernt von der sogenannten Lewinsky-Affäre Wind bekommen haben. Damit folgte er allerdings nur dem rechtlichen Trend in den USA, der aus rechten wie liberalen Kreisen vorangetrieben worden war: ungehemmte Ausdehnung des strafbewehrten Zugriffs der Staatsanwälte auf das Privatleben von Verdächtigen und Zeugen. Beispielhaft hat Starr diese Praxis in der Befragung von Monica Lewinsky vorführen lassen, als ihr seine Untergebenen mit 27 Jahren Haft drohten.

Auch die Massenmedien haben - entgegen ihrer gesellschaftlichen Funktion - kräftig an der Desillusionierung gearbeitet. "Zahlreiche Zeitungen und praktisch sämtliche Fernsehketten", so schrieb die NZZ, "haben den Fall sensationalistisch behandelt und Fakten und Mutmaßungen mit einer Leichtfertigkeit gemischt, die teilweise atemberaubend war".

Bei den Parteien haben sich vor allem die Republikaner blamiert. Niemandem konnte es entgehen, daß der Hardliner-Flügel der Republikaner hinter Starr, jener obskure Haufen aus Fundi-Christen, militanten Abtreibungsgegnern, Waffenfetischisten und Rassisten, Clinton am liebsten schon vor seinem Amtsantritt impeached hätte. Jetzt sind die Umfragewerte der Republikaner im Keller und der Katzenjammer da.

Ihre Kampagne hatte die Züge eines Staatsstreichs von rechts. Natürlich steht Clinton bei den Republikanern für die "Kultur des Aufbruchs in den sechziger Jahren", wie es die FR unnachahmlich formuliert. Den Schrecken, der dem alten Establishment damals weltweit in die Knochen fuhr, hat es nicht vergessen. Doch aus der Rache wurde vorerst nichts.

Aber auch der Präsident hat seinem Amt kräftig zugesetzt - falls das nach Watergate, Iran-Contra und Ronald Reagan noch möglich ist. Nicht nur, daß Clinton als der Lewinsky-Präsident in die Ge-schichte eingehen wird; schlimmer noch, das Vertrauen der Untertanen zum Staatschef wurde aufs Empfindlichste verletzt. "Seine offene Lüge gegenüber dem Fernsehpublikum - "Ich hatte keinen Sex mit dieser Frau, Monica Lewinsky" - ist ein Tiefpunkt in der Geschichte der Kommunikation zwischen Präsident und Volk", räsonnierte die NZZ. Die vertrauensstörende Maßnahme Clintons in der TV-Einwegkommunikation wurde jedoch von den Konsumenten des Spektakels offensichtlich nicht ernst genommen, wie die ungebrochene Un-terstützung Clintons in den Umfragen nahelegt.

Warum auch hätte ein so erfolgreicher Manager des Kapitalismus wie Clinton über die Affäre stolpern sollen? Wer eignet sich besser für die schwere Aufgabe der Krisenverwaltung als er, der die spektakuläre Unterstützung des Großteils der Staatsbürger genießt - obwohl er nicht einmal die Einführung einer Krankenversicherung durchgesetzt hat? Und sobwohl er so erfolgreich die Themen der Republikaner besetzte - Einschränkungen in der Sozialhilfe, dafür mehr Gefäng-nisse, mehr Polizei, mehr Hinrichtungen?

Clinton ist einer der Parvenus der 68er Bewegung. Er ist typisch für die, die gestern noch die Universität kritisierten, um dann Professoren zu werden; die das Ende der Kunst verkündeten, um als Künstler zu reüssieren; die skandierten: "Brecht dem Staat die Gräten, alle Macht den Räten", um sich schließlich auf dem Präsidentensessel oder im Bundestag niederzulassen. Clinton ist einer, der gestern am Joint nuckelte und heute erklärt, er habe dabei doch gar nicht inhaliert. Der gestern gegen den Vietnamkrieg demonstrierte und heute Bomben auf Basra und Khartum regnen läßt. Genau diese neue, äußerst flexible Form der Doppelmoral, die die starre, bürgerliche ablöst, ist der nach 68 modernisierten Herrschaft angemessen.

Statt in Jubel über die erfolgreiche Abwehr eines rechten Coups auszubrechen, wäre es angebracht, dem US-Präsidenten fröhlich - in Abwandlung eines alten, politisch höchst unkorrekten Ausdrucks der Verachtung - zuzurufen: Suck my Bill!