Rolf Gössner

»Rot-Grün sichert die DNA-Analyse ab«

Die rasante Entwicklung bei der Entschlüsselung des menschlichen Genpools nährt bei Kriminalisten die Hoffnung, bald aus Körpersekreten oder winzigen Partikeln, die an einem Tatort gefunden werden, auf das Äußere des Täters und sogar auf seine "Charakterstruktur" schließen zu können. Der Preis dafür: Mit immer mehr sogenannten Massen-Screenings wird die individuelle Erbsubstanz zunehmend zum Objekt der Begierde von Strafverfolgungsbehörden. Ein rot-grüner Entwurf für ein DNA-Identitätsfeststellungsgesetz setzt dieser Entwicklung nichts entgegen, sondern schafft ihr im Gegenteil einen passenden gesetzlichen Rahmen. Der Bremer Rechtsanwalt Rolf Gössner beschäftigt sich seit langer Zeit mit Angriffen auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht und hat in diesen Fragen Bündnis 90 / Die Grünen beraten.

Was will die Bundesregierung mit dem soeben in den Bundestag eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes bezwecken?

Die rot-grüne Regierung will eine Rechtslage "nachbessern", die verfassungsrechtlich ohnehin schon höchst bedenklich ist. Der sogenannte genetische Fingerabdruck und die DNA-Analyse im Strafverfahren sind bereits in den letzten Jahren unter der rechtsliberalen Bundesregierung legalisiert worden. Seit 1997 läßt es die Strafprozeßordnung zu, sichergestelltes Spurenmaterial sowie bei körperlichen Untersuchungen gewonnenes Material, also Haare, Fingernägel, Hautschuppen, Speichel, Urin, Sperma, Blut und sonstige Körperzellen, molekulargenetisch zu untersuchen. Mitte 1998 wurde darauf aufgebaut: Nach dem DNA-Identitätsfeststellungsgesetz, das im September 1998 in Kraft getreten ist, darf der sogenannte genetische Fingerabdruck unter wesentlich erleichterten Bedingungen und auch zu erweiterten Zwecken erhoben und gespeichert werden.

Was ist am rot-grünen Gesetzentwurf neu?

Die eigentlichen Grundlagen der DNA-Identitätsfeststellung im Strafermittlungsverfahren sind längst geschaffen, jetzt geht es "nur" noch um eine bessere rechtliche Absicherung der Gen-Datei und der Verfahrensabläufe, insbesondere im Zusammenhang mit der Erfassung sogenannter Altfälle. Außerdem sollen die Errichtung und die Arbeitsweise der sogenannten Gen-Datei beim BKA sowie die Verarbeitung der erhobenen sensiblen Daten und Datensätze aus DNA-Analysen eine gesetzliche Grundlage erhalten.

Als vor einem Jahr im niedersächsischen Cloppenburg der Mörder von Christina Nytsch gesucht wurde, meldeten sich 12 000 Männer freiwillig zum Gentest. Hätten die nach dem neuen Gesetzentwurf überhaupt noch die Wahl, ob sie ihre DNA-Daten bei der Polizei abliefern oder nicht?

Schon bislang haben sie praktisch keine Wahl: Die Männer zwischen 18 und 30 Jahren, die zur Abgabe einer freiwilligen Speichelprobe aufgefordert wurden, kann man nur bedingt als "Freiwillige" bezeichnen. Denn bei dieser Fahndungsmethode muß der einzelne "freiwillig" die Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte in Kauf nehmen - ansonsten sieht er sich einem enormen sozialen Druck ausgesetzt. Wer nicht zum Speicheltest geht, gerät automatisch in den Kreis der "qualifiziert" (Mord-)Verdächtigen. Damit wird der Verfassungsgrundsatz der Unschuldsvermutung in sein Gegenteil verkehrt: "Jedermann" - in diesem Fall: jeder jüngere Mann der Region - wird zum potentiellen Mörder und zum generellen Sicherheitsrisiko gestempelt.

Kann eine solche Regelung verfassungsrechtlich überhaupt Bestand haben?

Seine Unschuld gegenüber den Ermittlungsbehörden nachweisen zu müssen, das ist eine bürgerrechtswidrige Zwangslage. Auch der neue Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen ändert hieran nichts wesentliches: Weiterhin wird die "genetische Rasterfahndung" als zulässig erachtet - nach wie vor ohne spezielle Rechtsgrundlage. Ich halte diese Fahndungsmethode wegen des systematischen Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung für verfassungsrechtlich höchst bedenklich.

Nach dem Koalitionsentwurf darf die DNA-Identitätsfeststellung auch bei Personen durchgeführt werden, die "wegen erwiesener oder nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit" nicht verurteilt worden sind.

Bei dieser Formulierung handelt es sich um die Behandlung sogenannter Altfälle. Damit sind Menschen gemeint, die einmal eine Straftat begangen hatten, dafür bereits abgeurteilt worden sind und ihre Strafe gerade verbüßen oder schon verbüßt haben - also entsprechend der Zielsetzung des Strafvollzugs als resozialisiert gelten oder zumindest gelten sollten. Das betrifft Hunderttausende von Menschen: Allein Bayern will bei knapp 90 000 entlassenen Straftätern eine Gen-Analyse vornehmen lassen.

Auf welcher Rechtsgrundlage?

Diese Möglichkeit gibt es schon nach bisheriger Rechtslage. Bereits nach dem DNA-Identitätsfeststellungsgesetz vom September 1998 darf der genetische "Fingerabdruck" nicht mehr nur im Rahmen eines laufenden Strafverfahrens erhoben und gespeichert worden, sondern - bei Anhaltspunkten für Wiederholungsgefahr, wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder sonstiger Erkenntnisse - auch zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren. Nicht nur Tatverdächtige, sondern auch bereits verurteilte Straftäter und Häftlinge dürfen seit Mitte 1998 genetisch erfaßt und in der Gen-Datei des BKA mit ihren genetischen "Fingerabdrücken" erfaßt werden. Sie müssen nur wegen "Straftaten von erheblicher Bedeutung" rechtskräftig verurteilt sein, und die Verurteilung muß noch im Bundeszentralregister oder im Erziehungsregister eingetragen sein.

Letztes Jahr drehte sich die Diskussion noch in erster Linie um Sexualstraftäter. Nun umfaßt der Gesetzentwurf vierzig Straftatbestände, die eine DNA-Untersuchung rechtfertigen. Vom Einbrecher bis zum Kindermörder scheint es alle zu treffen. Überschreitet der Gesetzgeber damit die zulässige Grenze?

Die Grenze ist bereits letztes Jahr mit der Gesetzesverschärfung überschritten worden. Obwohl der Anlaß der damaligen Novellierung die erhitzte Debatte nach mehreren aufsehenerregenden Sexualstraftaten war, sind die Sicherheitspolitiker der damaligen Regierungskoalition und der SPD weit über das ursprüngliche Ziel hinausgeschossen, ausschließlich mutmaßliche Sexualverbrecher mit solchen Mitteln und Methoden zu erfassen. Denn erhoben und gespeichert werden darf der genetische "Fingerabdruck" schon seit 1998 nicht nur im Falle des Verdachts einer schweren Sexualstraftat, sondern auch bei anderen Delikten und mutmaßlichen Tätern, denen eine "Straftat von erheblicher Bedeutung" angelastet wird. Diese Formel ist nicht deutlich eingrenzbar - auch nicht durch die im Gesetz benannten Beispiele eines ansonsten offenen Straftatenkatalogs - Verbrechen oder Vergehen gegen die sexuelle Selbstbestimmung, gefährliche Körperverletzung, Diebstahl in besonders schwerem Fall, Erpressung. Das widerspricht dem verfassungsrechtlichen Gebot der Normenklarheit.

Läßt sich überhaupt sicherstellen, daß wirklich nur die zur Identifizierung eines Täters notwendigen Merkmale gespeichert werden und nicht "Charaktermerkmale" oder ähnliches?

DNA-Analysen haben gegenüber herkömmlichen erkennungsdienstlichen Maßnahmen eine völlig neuwertige Aussagekraft und daher auch ein entsprechendes Gefährdungspotential. Der "genetische Fingerabdruck", der über einen Menschen mehr verraten kann als etwa der herkömmliche Fingerabdruck, soll nach der gegenwärtigen Rechtslage zwar nur zur Feststellung der Verwandtschaft Verwendung finden, darüber hinaus zur Feststellung der Identität oder um aufgefundenes Spurenmaterial zuzuordnen, was insbesondere bei Sexualstraftaten, aber auch bei Einbruchsdiebstahl und anderen sogenannten Kontakt-Delikten von Bedeutung ist. Weitergehenden Zwecken darf eine molekulargenetische Untersuchung nach der jetzigen Rechtslage nicht dienen.

Aber damit ist die Gefahr nicht gebannt ...

Nein, denn durch eine Änderung der Untersuchungsmethode und eine Ausweitung der Zweckbestimmung wäre es in Zukunft durchaus möglich, in Kombination mit anderen Überwachungsdaten tatsächliche oder vermeintliche Rückschlüsse zu ziehen auf persönlichkeitsbezogene Merkmale und Dispositionen wie Erbanlagen, ererbte Krankheiten, Charaktereigenschaften wie Aggressionspotential, Intelligenz oder etwa Anlagen zu einer angeblichen "Sozialschädlichkeit" einer Person. Dieses Risiko, sozusagen "Verbrecherpersönlichkeiten" dauerhaft zu konstruieren, ist deshalb nicht von der Hand zu weisen, weil gegenwärtig weltweit die Entschlüsselung des gesamten menschlichen Genoms vorangetrieben wird.

Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, Bernd Brinkmann, forderte schon letztes Jahr die Konservierung von DNA-Proben, um sie in Zukunft mit dem jeweils neuesten Stand der Technik nachtesten zu können: In zehn bis zwanzig Jahren müsse es dann möglich sein, so Brinkmann, auch äußere Erkennungsmerkmale wie die Farbe von Haar und Haut aus den Genen abzulesen...

Nach der gegenwärtigen Rechtslage dürfen die entnommenen Körperzellen nur für die molekulargenetische Untersuchung bzw. für die DNA-Analyse verwendet werden. Das bedeutet, das zellulare Ausgangsmaterial ist nach dem gesetzlich zulässigen Gebrauch zu vernichten. Die Proben sind "unverzüglich zu vernichten, sobald sie (hierfür) nicht mehr erforderlich sind". Bei der analytischen Untersuchung dürfen keine anderen Feststellungen getroffen werden als jene, die zur Ermittlung des DNA-Identifizierungsmusters erforderlich sind.

Wie das überprüft werden soll, steht nicht im Gesetz - ein wichtiges Aufgabenfeld für die Datenschutzbeauftragten. Ob diese einschränkende Rechtslage nicht eines Tages im Sinne von Herrn Brinkmann ausgeweitet wird, ist nicht abzusehen. Daß es entsprechende Begehrlichkeiten auf das Ausgangsmaterial und dessen weitergehende Analysen gibt, zeigt auch eine Stellungnahme des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK).

Warum treibt ausgerechnet die rot-grüne Koalition die Verwirklichung des "gläsernen Menschen" so energisch voran?

Das Gespür für Risiken und Nebenwirkungen der gengestützten Kriminalistik ist - angesichts der aufgeheizten Debatte um Sexualstraftaten - immer mehr in den Hintergrund geraten. Diejenigen, die Skepsis äußerten, wurden zum Sicherheitsrisiko gestempelt. Nun kann man die eingebrachte Gesetzesvorlage der rot-grünen Regierungsfraktionen als Konsequenz aus der damaligen Kritik verstehen. So wird aus ursprünglicher Kritik in Oppositionszeiten ein Nachbesserungsprojekt in Regierungsverantwortung, das eine prekäre Rechtslage mit vorfassungsrechtlichen Problemen auf eine solidere und damit weniger anfechtbare gesetzliche Grundlage stellt.