Österreich nach Haiders Wahlsieg in Kärnten

Gangsta-Rapper

Es ist knapp ein Jahr her, da prophezeiten ihm politische Gegner und liberale Medien den baldigen Untergang: Ein Korruptionsskandal und andere Turbulenzen in der Partei genügten, um die Gefahr aus Österreich gebannt zu wissen. Auch in der Jungle World war ein Artikel mit "Die Blaue Lagune trocknet aus" überschrieben, vom Niedergang der Freiheitlichen wurde berichtet.

Haider aber ist ein Meister der Krise - auch innerhalb der Partei. Er nutzt sie, seine Macht als Führer auszubauen und den Apparat schlagkräftiger zu machen. In weniger als einem Jahr gelang es ihm, erstmals in einem Bundesland (Kärnten) zur stärksten Partei zu werden; auch in Tirol konnte die Partei zulegen, am geringsten fiel der Zuwachs in Salzburg aus. Verluste gab es nirgendwo. Beeindruckend ist die Homogenität in Kärnten: in jedem Bezirk ein fulminanter Gewinn, viele junge Wähler und jeder fünfte frühere sozialdemokratische Anhänger stimmten für Haider.

In seiner Analyse des "Racket" (Erpresserbande, Selbsthilfegruppe etc.) schrieb Max Horkheimer: "Die völlige Brechung der Persönlichkeit wird verlangt, absolut bündige Garantien der künftigen Zuverlässigkeit. (...) Als der echte Leviathan fordert das Racket den rückhaltlosen Gesellschaftsvertrag." Solche Verträge schließen Haiders Gefolgsleute ab. Entspricht das Individuum nicht dem absoluten Treuebund, wird es unzuverlässig und droht, die Interessen der Bande zu verletzen, muß es ausgeschaltet werden. Die Geschichte der Freiheitlichen ist voll von "Säuberungen".

Im Februar 1998 berichtete die Wiener Tageszeitung Die Presse über eine solche Aktion: "Der Henker kommt gern in der Nacht. (...) Peter Westenthaler ist Jörg Haiders 'Handy-Mann'. (...) Wenn der große, schwere BMW mit quietschenden Reifen vor Beginn einer Parteisitzung hält, dann wissen die blauen Funktionäre in Stadt und Land, wieviel es geschlagen hat: Der weißen Luxuslimousine entsteigt mit breitem Grinsen Jörg Haiders Rache-Engel." Wie von selbst greift der Journalist nach den Bildern und Jargonwörtern. Ein Teil der Faszination Haiders geht auf die offene Zurschaustellung von Gangsterattitüden zurück. Er ist der große Gangsta-Rapper der europäischen Politik.

Während der Partei-Krise zwang Haider die Funktionäre, einen Vertrag zu unterschreiben, der nicht zufällig "Demokratievertrag" heißt: Die Unterzeichner verpflichten sich, "den Inhalt dieses Vertrags als für sie verbindlichen Ehrenkodex" anzuerkennen und "ihre politische Arbeit in den Dienst der Verwirklichung des Vertrages zu stellen oder, für den Fall, daß sie dies nicht können oder wollen, die Gesinnungsgemeinschaft der FPÖ zu verlassen". Wer nicht die Prinzipien der Gesinnungsgemeinschaft vertritt, hat nicht nur mit Ausschluß, sondern mit Strafen und vermögensrechtlichen Nachteilen zu rechnen. An erster Stelle des Vertrags steht der "Schutz unserer Heimat Österreich", an zweiter das "Bekenntnis zur demokratischen Republik" und der "Ausbau der direkten Demokratie".

Die Gang ist "primitive democracy" (Frederic M. Thrasher). Jeder, und sei er noch so unbedeutend, hat die Chance aufzusteigen. Anders als im bürokratisierten Staatsapparat kann das in der Gang schnell geschehen (direkte Demokratie!). Dabei kann der einzelne jederzeit das Recht auf umfassenden Schutz beanspruchen - solange er sich mit der Macht identifiziert, die ihn beherrscht. Es ist diese innerparteiliche Demokratie, von der die sogenannten Protestwähler angezogen werden, so wollen sie ihren Staat.

Aber das Geheimnis von Haiders Erfolgen liegt auch dort, wo seine Partei sich von einer Verbrecherbande unterscheidet - und darüber vor allem täuscht die Medienberichterstattung hinweg. Schlimm ist nicht die falsche Prophezeiung. Es wird nicht begriffen, was die Haider-Bewegung ist und was sie antreibt. Denn es ist gleichgültig, ob die Partei der Tüchtigen und Anständigen in Korruptionsskandale verwickelt wird (es nützt ihr womöglich). Was für die Protestwähler allein zählt, ist, daß sie konsequenter rassistisch ist als die andern Parteien, sie protestieren für mehr staatlichen Rassismus. Und solange die anderen österreichischen Parteien in diesem Bereich nicht aufholen (es gibt große Anstrengungen), werden sie weiter Stimmen an Haider verlieren.