Christian Ströbele

»Meine Fraktion hat allergisch reagiert«

Am Abend des Kriegseintritts war für die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen erst einmal Feiern angesagt: "ÖEP" hieß das Motto - die "Ökosteuer-Einstiegsparty ab 19 Uhr im Bundeshaus HT 12 - Weil gutes Klima kein Schönwetter-Projekt ist". Einer von denjenigen, die sich nicht beim "Stehempfang mit rot-grünem Büffet" vergnügen wollten, während in Belgrad die ersten Marschflugkörper einschlugen, war der grüne Abgeordnete Christian Ströbele aus Berlin. Er bereitete währenddessen einen Redebeitrag und eine Resolution "Die Luftangriffe sofort beenden!" vor, mit denen er und sechs Mitstreiter es sich am nächsten Morgen endgültig mit ihrer Fraktionsspitze verderben sollten.

Waren Sie am Donnerstag bei der Ökosteuer-Einstiegsparty Ihrer Fraktion?

Nein. Mir war überhaupt nicht nach Feiern zumute. Ich habe von außen durchs Fenster einige Leute auf einem Gesellschaftsempfang gesehen, als ich spät nachts in mein Büro gegangen bin.

Wie viele Ihrer 47 Fraktionskollegen wollten denn auch nicht mitfeiern?

Mehr als ein Dutzend. Wir haben eine Erklärung herausgegeben, unter der die Namen von sieben Abgeordneten stehen; daneben gibt es den einen oder die andere, die ähnliche Positionen haben, aber aus unterschiedlichen Gründen nicht unterschrieben haben.

Weil sie sich nicht trauen, ihre Namen zu nennen, oder wegen inhaltlicher Vorbehalte gegenüber der Resolution?

Wir mußten dieses Papier in Windeseile verfassen; daraus haben sich sowohl Kommunikations- als auch inhaltliche Probleme ergeben. Man hätte vielleicht den einen oder anderen Absatz noch anders fassen können. Wenn möglichst viele Abgeordnete das tragen sollen, ist das ein relativ schwieriger Prozeß.

Der Abgeordnete Matthias Berninger, der sich zu einem Wortführer des rechten Parteiflügels aufgeschwungen hat, soll sie aufgefordert haben, die Grünen zu verlassen.

Das habe ich von einer Presseagentur gehört. Sonst wurde mir das weder von ihm noch von anderen mitgeteilt. Nach dieser Meldung gab es eigentlich nur Kopfschütteln in der Fraktion.

Aber Berninger hat bis jetzt nicht dementiert.

Nein, es muß tatsächlich irgendwo so eine Erklärung abgegeben worden sein. Die Agentur wird sich das nicht aus den Fingern gesaugt haben.

In der Fraktionssitzung am Freitag ist es dann wohl recht turbulent zugegangen.

Problematischer war der Morgen vorher - der Morgen nach dem Kriegsbeginn, als ich ins Plenum des Bundestages kam und dort erfuhr, daß dieser Krieg, der mich und viele andere die ganze Nacht bewegt hatte, nun von der Tagesordnung gestrichen war. Das, was mir an diesem Morgen widerfahren ist, das grenzte schon an Mobbing. Ich sollte um alles in der Welt davon abgehalten werden, zum Mikrofon zu gehen. Ich bin mehrfach zum Bundestagspräsidenten Thierse gegangen und habe ihn dringend gebeten, mich ans Mikrofon zu lassen, um zu artikulieren, was viele richtig fanden, was aber offenbar von den Fraktionsvorständen an diesem Tag nicht gewollt wurde - daß man nämlich mindestens darüber reden müsse.

In der Fraktionssitzung haben dann viele geredet. In einem Punkt haben mich flügelübergreifend alle unterstützt: Daß es eine falsche Entscheidung war, dieses Thema nicht auf die Tagesordnung zu setzen und meinem Drängen da nicht nachzugeben.

Aber von Ihrer eigenen Fraktionsführung haben Sie keinerlei Unterstützung erfahren?

Nein, ganz im Gegenteil. Als der Präsident mir sagte, ich solle mich von meiner Fraktionsgeschäftsführerin anmelden lassen, war ich sogar gezwungen zu sagen, die macht das nicht. Ich habe dann alleine versucht, durchzusetzen, daß ich reden durfte - mit Erfolg, wie sie gesehen haben.

Offenbar gibt es doch ziemlich unterschiedliche Ansichten darüber, was der Inhalt grüner Politik sein soll.

Das, was ich im Bundestag dann gesagt habe, wurde in der Fraktionssitzung ganz überwiegend heftig kritisiert. Ich denke, daß meine Fraktion und andere so allergisch reagiert haben, kommt nicht daher, daß ich den Krieg zum Thema machen wollte - da stimmten eigentlich alle zu -, sondern daher, wie ich meine Kritik an dem deutschen Kriegseinsatz, an den Bomben auf Belgrad und Pristina ausgedrückt habe. Das wurde zum Teil sehr heftig kritisiert. Aber so ganz erfolglos war die Diskussion in der Fraktion offenbar doch nicht. Am nächsten Tag durfte ich - das ist durchaus eine Besonderheit - im Bundestag reden, obwohl ich innerhalb der Fraktion eine Minderheitenmeinung vertrete. Ich war zwar als letzter dran, aber immerhin hat mir die Fraktion fünf Minuten von ihrem Rederecht abgegeben.

Früher gab es bei den Grünen so etwas wie einen pazifistischen Konsens. Gibt es den noch?

Auch die Befürworter dieses Kriegseinsatzes sagen ja, die Grünen sind weiterhin eine pazifistische Partei - aber hier müssen wir mal 'ne Ausnahme machen. Wegen der humanitären Katastrophe im Kosovo. Ich sehe das anders und fühle mich nun leider bestätigt durch das Fürchterliche, das nach Abbruch der Verhandlungen und mit Beginn des Bombardements zusätzlich im Kosovo passiert.

Ihr Fraktionschef Rezzo Schlauch erklärt, Außenminister Joseph Fischer habe in Rambouillet "auch in der Tradition der Grünen" alles versucht, damit eine Gewaltanwendung vermieden werden könne.

Eigentlich wollte ich an diesem Morgen im Bundestag auch sagen, daß ich anerkenne, daß die Regierung sich dagegen gestemmt hat, daß es zu Kriegseinsätzen kommt. Um so schmerzlicher ist es für mich, daß diese Regierung, die ich mit gewählt habe, den Befehl gegeben hat, daß deutsche Tornados Bomben auf Belgrad abwerfen. Ich habe auch in Fraktionssitzungen gesagt, daß meiner Ansicht nach die Verhandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft wurden, weil man sich der Forderung der UCK unterworfen hat, daß es unbedingt Nato-Truppen unter Nato-Oberbefehl sein müssen, die im Kosovo stationiert werden. Andere Varianten, etwa einer Uno-Truppe unter Uno-Mandat, wurden in der Verhandlung überhaupt nicht zugelassen. Auch jetzt lautet die Forderung ja nach wie vor: "Ihr müßt der Nato-Stationierung zustimmen", was angesichts dessen, daß die Nato dort Städte, Dörfer, Landstraßen und Flugplätze bombardiert, vorsichtig ausgedrückt schon eine ziemlich weitgehende Forderung ist.

Ergeben sich aus dieser Geschichte für Sie irgendwelche Konsequenzen im Verhältnis zu Partei, Fraktion und Bundesregierung?

Ja, natürlich. Ich sehe mich durch die Reaktionen, die ich aus der Basis der Grünen habe, eigentlich bestärkt. 90 Prozent der vielen Telefonate, Faxe und E-Mails, die ich in den letzten Tagen bekomme, unterstützen mich. Ich muß dann immer die Leute, sogar einen Kreisvorstand, überzeugen, die sagen, wir treten nicht nur zurück, sondern wir treten auch aus der Partei aus. Ich versuche, sie zurückzuhalten und ihnen zu sagen: "Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, daß die grüne Politik, die ja eigentlich noch Programmlage ist, auch durchgesetzt wird."

Werden Sie auch bei Demonstrationen gegen den Kriegseinsatz auftreten?

Selbstverständlich. Ich bin am Samstag leider etwas zu spät gekommen bei der Demonstration am Berliner Alexanderplatz, weil ich bis spät nachts in Bonn und dann auf einer Versammlung in Berlin war.

Sie wollten dorthin gehen, obwohl das eine Demonstration war, die von der PDS organisiert wurde?

Ich weiß nicht, ob die nur von der PDS organisiert wurde. Ich habe im Radio gehört, daß auf dem Alex eine Demonstration stattfindet, und dachte mir, da muß ich auch hingehen.