Radio Days are over

Das freie Belgrader Radio B 92 ist ausgeschaltet - und damit die serbische Opposition

Die Redaktionsräume im zehnten Stock eines Hochhauses mitten in Belgrad sind verlassen, die Türen versiegelt. Die Morgensendung des unabhängigen Radiosenders B 92 wurde am letzten Freitag abrupt unterbrochen, nachdem Polizisten in Begleitung eines Gerichtsvollziehers ins Studio eingedrungen waren.

Sie überbrachten eine gerichtliche Verfügung des staatlich kontrollierten Jugendrates, mit der der Chefredakteur, Veran Matic, seines Amtes enthoben und durch Alexander Mirkovic, den Präsidenten eines regierungstreuen Studentenverbandes, ersetzt wurde.

Galt Belgrad mit einigen unabhängigen Zeitungen und Radiostationen noch bis vor kurzem als Speaker's Corner der Serbischen Republik, so befindet sich mit der Übernahme von B 92 - zehn Tage nach Beginn des Nato-Bombardements - die letzte noch verbliebene unabhängige Nachrichtenagentur unter direkter Kontrolle des Staates.

"Jetzt ist es endgültig vorbei", verkündete Veran Matic, der seit der Gründung von Radio B 92 im Jahre 1989 maßgeblich am Aufbau des Senders beteiligt war. Damals erhielt eine Gruppe von Studenten und Journalisten - im Rahmen der Feierlichkeiten zum 97. Geburtstag von Josip Broz Tito - ein kleines Studio und eine eigene Frequenz. Nach den bewilligten zwei Wochen sendete B 92 einfach weiter. Während des jugoslawischen Bürgerkriegs entwickelte sich der einstige Belgrader Rocksender rasch zum Sprachrohr der serbischen Opposition. Der Sender machte sich den in Serbien geläufigen Spruch "Zwei Serben, drei Parteien" zu eigen. Er bot sämtlichen oppositionellen Bewegungen ein Forum, grenzte sich aber deutlich von jeglichem nationalistischen Gehabe ab.

Die Nato-Luftangriffe verurteilte B 92 von Anfang an. In einer Stellungnahme, kurz vor der endgültigen Schließung, schrieb Veran Matic: "Mit jeder Bombe, die einschlägt, vergrößert sich die humanitäre Katastrophe, die die Nato eigentlich verhindern sollte. Das Kind wird mit dem Bad weggebombt."

Bereits in der Nacht vor den ersten Raketeneinschlägen schaltete das serbische Informationsministerium den Kurzwellensender von B 92 ab. Unter dem Vorwand, die Station hätte die erlaubte Sendeleistung überschritten, steckte die Polizei Veran Matic für mehrere Stunden ins Gefängnis. Als Aushängeschild der Redaktion genoß Matic, letztes Jahr Gewinner der "Free your Mind"-Auszeichnung von MTV-Europe, einen gewissen Schutz vor staatlicher Repression. Trotz der Verhaftung ihres Chefredakteurs gaben sich die anderen Mitarbeiter eher gelassen. "Es ist jetzt das dritte Mal, daß der Sender geschlossen wurde", so der Journalist Alexander Vascovic.

Auch ohne die lokale Sendeanlage konnte Radio B 92 in den folgenden zehn Tagen weiter empfangen werden. Die ständige Bedrohung, aus dem Äther zu verschwinden, hatte dazu geführt, daß das Redaktionsteam seit 1996 mit neuen Sendetechnologien experimentiert hatte. Die digitalisierten Sendungen gelangten über eine permanente Leitung nach Holland und anschließend weiter zu BBC Worldservice in London, von wo sie über einen Satelliten in den gesamten Balkanraum ausgestrahlt wurden. Auf demselben Weg sendete auch Radio 1 476 aus Wien das Programm von B 92 auf einer Kurzwellenfrequenz. Allein in Ex-Jugoslawien übernahmen mehr als 35 lokale Radiostationen die Nachrichtensendungen von B 92.

Dieses Netzwerk von freien Stationen zerschlug Slobodan Milosevic allerdings schon in den ersten Kriegstagen. "Wir haben alle verloren: Die Bomben der Nato haben uns zerstört. Es gibt keine Opposition mehr in Serbien", resümierte Veran Matic, kurz nachdem ihm der Zutritt zu den Redaktionsräumen am Freitag untersagt wurde.

Fast alle Stationen, die sich unter der Führung von B 92 im Jahre 1997 zum "Verein unabhängiger elektronischer Medien" (ANEM) zusammengeschlossen hatten, wurden dichtgemacht oder direkt von der Regierung übernommen. Nicht wenige der verbliebenen lokalen Sender schalteten sich selbst ab, um nicht durch das Kriegsrecht gezwungen zu werden, die staatliche Propaganda weiterverbreiten zu müssen. Im Kosovo ging die serbische Polizei bei der medialen Säuberungsaktion brutaler vor: Am 25. April stürmten sie das Gebäude der albanischsprachigen Tageszeitung Koha Ditore und töteten dabei einen Mitarbeiter.

Dies war der vorläufige Höhepunkt der seit Jahren andauernden Repression gegen unabhängige Medien. Unmittelbar nach dem Friedensabkommen von Dayton 1995 hatte das serbische Informationsministerium allen "feindlichen Informationszentren" den Kampf angesagt. Anders als im übrigen Osteuropa galt in Serbien bis dahin ein relativ liberales Mediengesetz aus der Zeit von Tito, welches den Gemeinden das Recht auf eigene Zeitschriften und lokale Radio- und TV-Stationen einräumte. Mit Verweis auf die Existenz dieser unabhängigen Medien versuchte Milosevic während des Kriegs Bosnien, nach außen - gerade auch im Vergleich zur Politik seines kroatischen Gegenspielers Franjo Tudjman - Liberalität zu demonstrieren.

Als die Opposition im Winter 1996 an Boden gewann, handelte Milosevic rasch. Mit einem neuen Lizenzverfahren versuchte er, die Stationen aus dem Äther zu drängen. Von den insgesamt 247 erteilten Sendegenehmigungen gingen nur drei an Mitglieder des regierungskritischen ANEM-Verbandes, darunter eine an Radio B 92. Mit dem staatlichen Radio und Fernsehen (RTS) verfügt Milosevic über das größte Propagandainstrument. Von elf TV-Stationen, die in Belgrad empfangen werden können, benutzen acht ausschließlich die Nachrichtenprogramme von RTS. Auch die verbleibenden drei Sender stützen ihre Berichterstattung hauptsächlich auf die von der Regierung kontrollierte Nachrichtenagentur Tanjug.

Während die Opposition gegen die Fälschung der Kommunalwahlen mobil machte und die staatlichen Medien die täglich stattfindenden Demonstrationen totschwiegen, hatte Radio B 92 seine Reporter auf der Straße und damit auch Einfluß auf die Aktionen. Die serbischen Behörden begannen daraufhin ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Radiostation. Jedesmal, wenn Berichte, die sich gegen das Milosevic-Regime wandten, angekündigt wurden, wurde das Funksignal von B 92 gestört. Als im Dezember der Sender komplett abgeschaltet wurde, kam es weltweit zu massiven Protesten. Nach nur 51 Stunden Funkstille konnte schließlich weitergesendet werden.

Die internationalen Kontakte, die B 92 während seines zehnjährigen Bestehens aufgebaut hatte, ermöglichten es, auch in den vergangenen Wochen eine breite Kampagne für den Fortbestand der Station zu lancieren. In Amsterdam hat sich beispielsweise die Gruppe "help B 92" formiert. Sie versucht weiterhin, die Nachrichten von verschiedenen B 92-Korrespondenten über das Internet zu verbreiten.

Veran Matic will weitermachen: "Ich habe keine Angst. Notfalls senden wir unsere Nachrichten eben per E-Mail - direkt aus Brüssel."