Willy Voets "Gedopt"

Der letzte Schrei

Im Jahr 1962, Willy Voet war 18 Jahre alt, machte der Amateur-Radfahrer zum ersten Mal Bekannschaft mit leistungssteigernden Mitteln. Jemand gab ihm Amphetamine, damals der letzte Schrei auf dem Dopingmarkt. Voet hielt Doping danach für völlig normal, als Pfleger in verschiedenen Profiteams wurde es zu seiner Hauptaufgabe, verbotene Medikamente zu verabreichen, zu testen und zu beschaffen.

In seiner Welt galt das als normal, die wenigen Fahrer, die sich nicht dopten, wurden als Witzfiguren angesehen, "auch ich habe mitgelacht", schreibt Voet in seinem jetzt auf deutsch erschienenen Buch "Gedopt" über die Dopingpraktiken im Radsport. "Ich gestehe ein, daß ich ohne den Polizeigewahrsam niemals zur Besinnung gekommen wäre", sagt der im letzten Jahr an der belgisch-französischen Grenze - mit einem Auto voller für das Festina-Team bestimmter Dopingmittel - geschnappte ehemalige Masseur. Er brauchte den Abstand von "Gewohnheit, Routine und Bequemlichkeit" und dem "grauen Spritzenalltag", um zu erkennen, daß der Sport durch Doping kaputtgemacht wird.

Doping wurde (und wird wahrscheinlich) generalstabsmäßig organisiert. Im Januar 1994 etwa richtete das Festina-Team beispielsweise einen sogenannten Vorbereitungslehrgang für Fahrer, Betreuer und Ärzte aus, bei dem es um die Etablierung eines gezielten Dopingsystems ging - auch um zu verhindern, daß die Fahrer auf eigene Faust mit Medikamenten experimentierten. Auch ein Finanzierungsplan für Doping, z.B. das teure Epo, wurde erstellt. Am Saisonende sollten die individuellen Dopingkosten von den dann ausgezahlten Prämien und Preisgeldern abgezogen werden, ein System, das sich jedoch nicht bewährte.

Ein Jahr später wurde das Verfahren auf Antrag von Richard Virenque und anderen modifiziert, denn die schlechter verdienenden Wasserträger dieser Stars konnten sich die Ausgaben (450 Francs für eine Ampulle Epo, 550 Francs für Wachstumshormone) einfach nicht leisten. Der Kostenschlüssel wurde daraufhin verändert.

Eine verschworene, solidarische Gemeinschaft sind Radfahrer jedoch auf keinen Fall. Voet berichtet z.B. von einem Vorfall im Jahr 1998, als Richard Virenque sich bei einem Biologen um synthetisches Hämoglobin bemühte, das ähnlich wie Epo wirkt, ohne daß es Einfluß auf den Hämatokritwert hat. Was zwar nicht klappte, aber das war die geringste Sorge des Fahrers. Vor allem verlangte er von seinem Betreuer Voet, daß der Virenques Teamkameraden Dufaux nichts davon erzähle, denn der sollte von dem Mittel nichts wissen.

Besonders verschwiegen war man in Radfahrerkreisen jedoch fast nie. Voet berichtet davon, daß die Entdeckung jedes neuen Medikaments "unter dem Siegel der Verschwiegenheit" weitergetragen wurde und die medizinischen Betreuer miteinander rivalisierender Teams einander in Notsituationen sogar mit Ampullen und Tabletten aushalfen. Nachdem Voet verhaftet worden war, so schreibt er, wurden die Fahrer während der Tour zunächst ebenfalls von den Spezialisten der anderen Teams mitversorgt.

Willy Voet, der "Nestbeschmutzer", ist vom Weltverband UCI für drei Jahre ausgeschlossen worden. Die von ihm belasteten Fahrer, die mit Ausnahme Richard Virenques das Doping zugegeben hatten, sind schon in diesem Jahr wieder bei der Tour dabeigewesen.

Willy Voet: Gedopt. Sportverlag, Berlin 1999, 160 S., 29,90 DM