Maciej Tuafuy

"Was ich will, das schaffe ich auch"

Maciej Tuafuy ist 20 Jahre alt und Auszubildender in Szczecin. In den Ferien arbeitet er im polnischen Ostseebad Pobierowo, so etwas wie dem polnischen Mallorca. - Jungle World traf ihn auf der Mutter aller Straßen, der ulica Grunwaldzka, im Alternative Club, dem lokalen Abiturienten-Hang-out, wo von den Doors bis Nirvana das international gültige Langhaarigen-Programm gespielt wird.

Machst Du hier Urlaub?

Nein, ich komme jeden Sommer für zwei oder drei Monate hierher, um zu arbeiten, in einem Café Gläser spülen, putzen und was sonst noch so anfällt.

Was machst Du sonst, wo kommst Du her?

Ich wohne in Szczecin und mache da meine Ausbildung zum Physiotherapeuten. Nach den Sommerferien beginnt mein zweites Ausbildungsjahr, insgesamt dauert die Schule fünf Jahre.

Reicht das Geld, das Du im Sommer verdienst, für den Rest des Jahres?

Natürlich nicht, ich muß auch in Szczecin arbeiten. Tagsüber lerne ich, und abends stehe ich in einer Kneipe am Tresen.

Bekommst Du noch Geld von Deinen Eltern?

Nein, nicht mehr. Seitdem ich alleine wohne, muß ich mich auch darum kümmern, mein Geld selbst zusammenzubekommen.

Ist es einfach, nach der Schule einen Job als Physiotherapeut zu bekommen?

Das ist, glaube ich, für mich kein Problem. Ich will ja kein Angestellter werden. Wenn die Ausbildung erstmal vorbei ist, möchte ich auf jeden Fall eine eigene Praxis aufmachen. Das Ganze wird schon ein Erfolg werden.

Ist es in Polen normal, daß man sich seine Ausbildung selbst finanziert und mit 20 sein eigenes Geld verdient?

Viele versuchen es, aber es ist schwierig, Jobs zu finden. In Polen sind viele Leute arbeitslos - besonders junge. Und wenn sie noch studieren, wird es doppelt schwer: Finde mal eine Stelle, wenn Du eigentlich lernen mußt.

Und Du arbeitest trotzdem fünf Tage in der Woche?

Ja, aber nicht am Stück. Ich arbeite immer drei Abende hintereinander, dann habe ich zwei frei, und danach arbeite ich wieder drei Tage lang.

Du hast also keine Geldprobleme?

Ich kann mir zwar nicht alles leisten, was ich gerne hätte, aber für das, was ich zum normalen Leben so brauche, reicht es schon.

Wie hoch ist zum Beispiel Deine Miete?

Meine Wohnung kostet mich gar nichts. Das Appartement gehört einer Frau, die ist schon über 80. Ich wohne mit ihr zusammen und helfe ein bißchen im Haushalt, Müll runterbringen, Geschirr spülen oder auch mal die Wände streichen, wenn das angesagt ist. Wenn sie eines Tages stirbt, gehört die Wohnung mir.

Und wie ist das für Dich, mit einer 80jährigen zusammenwohnen?

Das ist okay, und ich bin froh, daß ich nicht mit meinen Eltern zusammenwohnen muß.

Gibt es solche Wohn- und Zweckgemeinschaften häufiger?

Nein, normal ist das nicht. Aber ich mußte zu Hause ausziehen.

Warum?

Ich habe in meinem Leben einfach schon zu viel Zeit mit meinen Eltern verbracht.

Waren sie besonders streng, oder was gab es für einen Grund?

Das nicht, aber ich glaube, daß die alten Leute die jungen einfach nicht verstehen können. Das ist wohl normal. Seitdem ich alleine lebe, muß ich mich mit diesen Problemen zum Glück nicht mehr herumschlagen. Und die alte Frau mischt sich nicht in mein Leben ein.

Bist Du katholisch erzogen worden?

Klar, wie jeder hier. Aber die Kirche spielt für mich keine große Rolle mehr. Jedenfalls momentan nicht, vielleicht fängt das mit dreißig oder vierzig Jahren wieder an. Als ich klein war, haben mir meine Eltern natürlich gesagt, daß ich sonntags in die Kirche gehen soll. Daran muß ich mich jetzt nicht mehr halten: Wenn du alleine lebst, hast du die Freiheit, das zu tun, was du willst.

Gehören auch Drogen zu dieser Freiheit?

Drogen zu nehmen ist schon zu einer Mode in Polen geworden. Viele meiner Freunde zum Beispiel trinken nicht so gerne und vor allem nicht so viel Alkohol. Und Marihuana ist sicher eine Alternative zu Wodka. Bei Streß ist es ganz gut zum Relaxen. Es ist in Pobierowo etwas schwer, an Dope heranzukommen. Ein richtiges Problem ist das aber auch nicht: Die Leute hier rauchen ohnehin nicht so viel und wenn, dann am liebsten mit ein paar Freunden in irgendeiner Kneipe, wo gute Musik läuft.

Sind Drogen in Polen weit verbreitet?

Das ist schon ein Problem. Mein kleiner Bruder, der in Szczecin in die Grundschule geht, erzählt, daß manche seiner Klassenkameraden schon kiffen. Und die sind zehn, elf Jahre alt.

Du hast gesagt, daß Du Dich später selbständig machen willst. Wie stellst Du Dir das vor?

Ein paar Freunde von mir haben in Szczecin und Pobierowo schon Kneipen aufgemacht und wollen auch in anderen Bereichen investieren. Mit denen will ich mich zusammentun - da wird schon etwas herauskommen.

Vor zehn Jahren wäre das ja ziemlich unmöglich gewesen. Kannst Du Dich noch an das sozialistische Polen erinnern?

Ja, aber nur an die guten Seiten. Ich war damals noch ein Kind und hatte nicht das Problem, Geld verdienen zu müssen. Deshalb kann ich relativ wenig zu den Unterschieden zwischen den beiden Systemen sagen. Jetzt habe ich einfach viel im Kopf, was ich in meinem Leben erreichen kann. Was ich will, das schaffe ich auch. Da mache ich mir gar keine Sorgen.

Reizt Dich die Vorstellung, selbständig zu sein, oder geht es eher darum, der Arbeitslosigkeit zu entkommen?

Die Vorstellung, für andere arbeiten zu müssen, gefällt mir einfach nicht. Genau deshalb will ich für mich arbeiten, um den Lauf der Dinge selbst bestimmen und kontrollieren zu können. Wenn du einen Chef hast, sagt er dir, wo es langgeht. Und wenn dir etwas nicht paßt, kannst du es meist nicht sagen.

Ist die Stimmung hier insgesamt so optimistisch?

Bei den älteren Leuten, die im Sozialismus gut verdient haben, sicherlich nicht. Aber die jungen Leute, die in den letzten zehn Jahre zu Geld gekommen sind, schon. Ich glaube nicht, daß viele das sozialistische System zurückhaben wollen.

Glaubst Du an Gott?

Das ist eine schwierige Frage: Vielleicht gibt es ihn, vielleicht nicht. Auf jeden Fall bin ich der Meinung, daß die, die an ihn glauben, an ihn glauben sollen und die, die das nicht tun, es halt bleiben lassen sollen. Mir persönlich bringt es nichts: Ich finde Religion langweilig - der Glaube frißt doch nur die Zeit auf. Früher hat man durch die Kirche Leute kennengelernt, bei den Pfadfindern, in den Jugendclubs. Heute sind die Möglichkeiten einfach größer geworden. Es gibt jetzt fast schon zu viel - auch wenn ich die Vielfalt ganz okay finde.

Polen ist gerade dabei, sich für den EU-Beitritt fit zu machen. Interessierst Du Dich für das, was politisch momentan passiert?

Die Veränderungen haben nichts mit mir zu tun - ich kümmere mich auch nicht darum. Vielleicht ist das in zwei Jahren wieder anders. Das einzige, was ich zur Politik sagen kann, ist, daß die falschen Leute das Land regieren. Wenn sie das Richtige machen würden, gäbe es hier auch nicht so viele Streiks und Riots. Die Leute kriegen ihr Geld nicht - und deshalb demonstrieren sie das ganze Jahr über. Allein in Warschau gab es dieses Jahr schon 80 Kundgebungen.

Und was, findest Du, läuft falsch?

Es interessiert die Politiker einfach nicht, was die Bevölkerung will. Ihnen geht es nur um Einfluß und Geld. Die meisten kennen sich noch aus sozialistischen Zeiten und machen hinter den Kulissen ihre eigenen Geschäfte aus. Viele von ihnen sind einfach nicht bereit, sich auf das neue System einzulassen - oder sie wollen ihr Denken nicht ändern.

Sind westeuropäische Länder wie Frankreich oder Deutschland ein Vorbild für Dich?

Ja, klar. Das wird Dir zwar jeder erzählen, aber es stimmt eben: Im Westen ist es besser.