Ausgekokst

Nach der Blamage der kolumbianischen Nationalmanschaft bei der WM in Frankreich setzt der Fußballverband auf die Jugend und auf ein Image abseits des Drogenmilieus.

Trotz passabler Leistungen bei der Fußball-WM im Jahr 1994 war es ein Mord, der den ein kolumbianischen Fußball in die internationalen
Schlagzeilen brachte. Kurz nach seiner Rückkehr war der Nationalverteidiger Andres Escobar, der durch sein Eigentor gegen die USA das Team aus dem Wettbewerb geschossen hatte, beim Verlassen einer Medelliner Nachtbar zuerst von Unbekannten, zwei Männern und einer Frau, angerempelt worden. Dann fielen Schüsse, Escobar war sofort tot.

Ein Zeuge wollte später gehört haben, wie die Killer ihm zuriefen: "Danke für das Eigentor!" Gleich wurde gemutmaßt, daß die Drogenmafia hinter diesem Mord stand, und tatsächlich übernahm ein anonymes Unterwelt-Killerkommando die Verantwortung für die Tat und kündigte an, auch den Nationaltrainer Francisco Maturana umzubringen. Schon während der WM hatte es anonyme Drohungen gegen das Team gegeben, im Jahr zuvor war der Sohn des Nationalspielers Luis Fernando Herrera entführt worden.

Zu dieser Zeit waren die Kokain-Barone und die Kicker Kolumbiens noch eng miteinander verbunden. Damals waren die bekanntesten Spieler des Kontinents in Kolumbien unter Vertrag und erhielten ihr Geld mehr oder minder direkt von den Kokainkartellen, wie der kolumbianische Sportjournalist Rodolfo Bello Lemus erklärt. "Heute hat der kolumbianische Fußball recht klare Strukturen. Die Vereine kalkulieren mit realen Budgets, und die Zeit des leichten Geldes, der Drogendollars, mit denen viele Vereine in den achtziger und zu Beginn der neunziger Jahre internationale Stars finanzierten, ist vorbei", meint auch der Präsident des nationalen Fußballverbandes, Alvaro Fina.

Nachwuchsförderung ist zur Zeit en vogue im kolumbianischen Fußball. Wo sich früher namhafte Spieler vom ganzen Kontinent ein Stelldichein gaben, dominiert nun der nationale Nachwuchs das Geschehen. Bestes Beispiel ist die Mannschaft von América de Cali, amtierender Meister und Copa Libertadores-Teilnehmer. Rund 85 Prozent der Spieler aus dem aktuellen Kader stammen aus den eigenen Jugendmannschaften, freut sich Clubpräsident Carlos Puente über den Erfolg konsequenter Talentsuche.

Maßgeblichen Anteil daran hat der erst 31jährige Trainer Jaime de la Pava, der seit Ende der achtziger Jahre als Jugendtrainer bei América arbeitet. 600 Millionen Peso oder knapp 750 000 Mark läßt sich América die Nachwuchsarbeit alljährlich kosten und liegt damit mit dem Stadtrivalen Deportivo Cali gleichauf an der Spitze der kolumbianischen Clubs. Gut investiertes Geld, denn Spieler wie Foad M‡zziri, Héctor Hurtado oder Gerson Gonz‡lez gehören bereits zum Aufgebot von Nationalcoach Javier çlvarez, der nach der peinlichen WM-Vorstellung der Kolumbianer im letzten Jahr den glücklosen Hernan Dario Gomez ablöste.

"Mit çlvarez ist frischer Wind in die Nationalmannschaft gekommen", bescheinigt auch Alvaro Fina, dem 38jährigen Coach gute Arbeit. Der aus Medell'n stammende Trainer setzt bisher ganz auf die neue Spielergeneration, die bei der WM 2002 antreten soll. Die Erwartungen an die Kicker sind jetzt schon hoch: Bei der jüngst beendeten Copa América sollte das Team um den Titel mitspielen.

Damit hat es zwar nicht ganz geklappt, denn bereits im Viertelfinale scheiterten die Kolumbianer an den Chilenen, aber insgesamt ist çlvarez mit der Vorstellung seiner Equipe, in der sechs Spieler unter 22 Jahren spielen, sehr zufrieden. "Wir haben unser Niveau gesteigert und es geht sichtbar voran", freut sich der Mann, der in der kolumbianischen Presse noch vor wenigen Wochen dafür angegriffen worden war, allzu unerfahrene Spieler auf ein derart hochkarätiges Turnier mitzunehmen. Gerade diese Jungen wie der 16jährige Johnnier Esteiner Monta-o und Néider Morantes haben international auf sich aufmerksam gemacht. Monta-o, beim AC Parma unter Vertrag, gilt als Jahrhunderttalent.

Mit der Integration junger Spieler hat sich çlvarez den Respekt vieler Kollegen erworben. Für Hugo Prieto, den Präsidenten des Traditionsclubs Independiente Santa Fé, hat çlvarez es in kurzer Zeit geschafft, das negative Klima in der Mannschaft zu verändern. "çlvarez ist sehr professionell und kommt gut mit den jungen Spielern, aber auch mit den Medien klar. Außerdem stärkt ihm der Verband den Rücken gegenüber der Presse, wenn er auf namhafte Spieler in den Vorbereitungsspielen verzichtet", erklärt er.

Einer, der vom Stil des Trainers profitiert, ist auch Pepe Portocarrero, der derzeit beste Libero Kolumbiens. Der 22jährige, bei Independiente Santa Fé unter Vertrag, hat unter çlvarez den Schritt zum Stammspieler vollzogen und bescheinigt ihm, "mir das Vertrauen zu geben, das ich brauche". Konsequente Nachwuchsarbeit steht auch bei Santa Fé hoch im Kurs.

Die Mannschaft wurde zu Beginn der Saison radikal umgekrempelt, knapp 90 Prozent der Kicker wurden ausgetauscht und durch Nachwuchsspieler ersetzt. Ein Vorgehen, das weniger der Begeisterung für den Nachwuchs wie in América geschuldet ist, sondern weitaus eher den leeren Kassen des Vereins. Auf sechs Millionen US-Dollar belaufen sich die Verbindlichkeiten des Vereins, die, so Hugo Prieto, langsam abgetragen werden sollen, um an glorreiche Zeiten anzuknüpfen. Funktionieren soll das über den Transfer von Eigengewächsen des Vereins, wie Pepe Portocarrero, Agust'n Julio, einem der derzeitigen Nationaltorhüter, oder Yefrey D'az, der zur U-21-Auswahl gehört. Sie sollen Geld in die leeren Kassen bringen und den langfristigen Neuaufbau ermöglichen.

Indem sie auch ins Ausland wechseln: Neben italienischen Clubs haben auch die Spanier in Kolumbien eingekauft. Freddy Totono Grisales, Mittelfeldspieler von Atlético Nacional Medell'n, wechselt zu Atlético Madrid, während Nationalmannschaftskollege V'ctor Bonilla demnächst bei Real Sociedad spielen wird. Dort soll der Mittelstürmer, der Deportivo Cali im letzten Jahr mit 36 Toren fast allein zur Meisterschaft schoß, die Sturmmisere beheben.

Damit hat die Vereinsführung dem Wunsch vom deutschen Trainer Bernd Krauß, der seit über zwei Jahren überaus erfolgreich im Baskenland arbeitet, entsprochen. Für Alvaro Fina ist das gesteigerte Interesse an Kolumbiens Spielern ein erster Erfolg der Nachwuchsarbeit der Vereine. "Guter Nachwuchs ist der Schlüssel zum Erfolg, denn angesichts unserer begrenzten ökonomischen Möglichkeiten sind die Transfergelder eine wichtige Einnahmequelle", sagt der 53jährige.

Zufrieden ist Fina auch mit der Präsentation der Mannschaft bei der Copa América. Endlich spielt die Mannschaft wieder den Fußball, der sie Anfang der neunziger Jahre berühmt machte - das trickreiche Kurzpaßspiel, das jeder Mannschaft gefährlich werden kann. Zu spüren bekamen dies die Argentinier, die in der Vorrunde mit 0:3 gegen Kolumbien verloren. Die Qualifikation zur WM 2002 dürfte für das Team keine Hürde sein, und dann werden die internationalen Schlagzeilen über den kolumbianischen Fußball wohl positiv ausfallen.