Verschränkte Arme

Tomkins über Duchamp

Unter den coolen Sätzen von Marcel Duchamp ist dies einer der coolsten: "(Ich) bewundere die Haltung, eine Invasion mit verschränkten Armen zu bekämpfen." Der junge Künstler sprach ihn 1915 in New York, wohin er sich vor dem Ersten Weltkrieg in Sicherheit gebracht hatte. Wer seinen Kopf zu schätzen weiß, schlägt ihn sich nicht an der Welt blutig.

Derweil ließen sich Duchamps Verwandte und Freunde von deutschen Kugeln und Granaten zerfetzen. Marcel Duchamp verschränkte die Arme und bekämpfte so, mit einer lebenslang geübten "Indifferenz" (Duchamp ), die Invasion der Geschichte, des Staats, des Marktes, der Kultur, der Kunst in sein Leben und Denken. Er blieb indifferent zunächst gegenüber der Meinung der anderen, schließlich auch gegenüber der eigenen Meinung und der eigenen Persönlichkeit. Max Stirner, zu dessen Lesern Duchamp gehörte, hatte vorausgesagt, daß der Kampf um das Eigene, das Eigentum, sich schließlich gegen dieses Eigentum selbst richten muß, wenn sich der Eigner nicht von diesem - d.h. von sich selbst - unterjochen lassen will. Duchamps "souveräner Ikonoklasmus" (Tomkins) könnte als eine Rettung durch Preisgabe gesehen werden, als ein ewiges Rückzugsgefecht. Man fragt sich: Was wird übrig bleiben? Oder anders: Wer ist Marcel Duchamp?

Zu dieser Frage hat die bislang umfassendste Biographie des Künstlers - von Calvin Tomkins - eine Menge an interessanten Details und Anekdoten, wenn auch gedanklich wenig Neues beizutragen. Endlich gewinnt man Einblicke in die Zeit, als Duchamp aufgehört hatte, Kunstwerke zu produzieren und sich gänzlich dem Schachspielen widmete: Er schrieb z.B. ein Buch über Situationen des Endspiels. Und er begann, die "Koffer" mit Miniaturrepliken seiner Werke zu packen.

In dieser einsamen Arbeit ließ er sich auch von der erneuten Invasion der Deutschen nicht unterbrechen. Mit falschen Papieren reiste er in Frankreich umher, um Material zu besorgen, fertige Koffer zu verschicken usw. Er verließ das Land erst kurz bevor sich die einfache Fluchtmöglichkeit verschloß. Aber warum ging er dieses Risiko ein? Von Tomkins erfahren wir, daß Duchamp seiner Freundin Mary Reynolds zuliebe ausharrte, die für die Résistance arbeitete. Der unpolitische Künstler und seine politische Geliebte? - Ob man dem zustimmt, hängt davon ab, welchen Begriff von Politik man hat. Duchamp jedenfalls kehrte nach New York zurück und regte die erste große Ausstellung an, die ausschließlich das Werk moderner Künstlerinnen zeigte.

Tomkins' Buch ist all dieser neuen Fakten wegen unentbehrlich. Seinem Common-Sense-gesättigten ästhetischen Urteil möchte man sich allerdings ungern anschließen. Für Tomkins ist Duchamp eine Art erotischer Humorist. Den feierlichen Ernst mancher Duchamp-Exegeten ersetzt der Autor durch eine ebenso geisttötende Ist-doch-alles-bloß-Spaß-Haltung. Gewiß hatte Duchamps Werk und Denken zu jeder Zeit etwas Skurril-Komisches, aber seine Scherze ähneln doch sehr den Witzen ohne Pointen, die die Wiener Gruppe riß. Des Künstlers opaker Humor scheint weit entfernt von der Verständnisinnigkeit des Biographen.

Calvin Tomkins: Marcel Duchamp. Eine Biographie. Carl Hanser, München, Wien 1999, 600 S., DM 68