Kleine Häufchen Elend

Warum der Fußballclub Schwarz-Weiß Spandau trotzdem immer wieder aufläuft

Manchmal mögen sogar die gegnerischen Fans nicht mehr hinsehen. Obwohl ihr eigenes Team gerade unerwartet hoch gewinnt, überwiegt doch das Mitleid mit dem Verlierer. Zu einfach lassen sich dessen Kicker übertölpeln und den Ball abnehmen, zu dämlich stellt sich die Abwehr an und zu dösig der einzige Angreifer - nein, Spaß macht es nicht, gegen so eine Ansammlung fußballerischen Elends zu gewinnen.

Warum aber läuft eine Mannschaft, die kontinuierlich verliert, überhaupt noch auf? Zur Beantwortung dieser Fragen ist der Berliner Verbandsligist Schwarz-Weiß Spandau genau die richtige Adresse. Für ihn war es kurz vor Saisonbeginn schon richtig dicke gekommen: Der bisherige Coach verließ den Verein überraschend, die meisten Spieler folgten ihm, und so stand der Klub schließlich mit exakt zwei Kickern da. Henry Zibulski übernahm daraufhin kurzentschlossen den Trainerposten - obwohl er eigentlich ein Jahr pausieren wollte -, neue Spieler wurden verpflichtet und alte reaktiviert. Der Erfolg blieb jedoch bisher aus. Von Tristesse ist allerdings kaum etwas zu spüren.

Viele Zuschauer sind zum Heimspiel gegen Adlershof zwar nicht gekommen, aber das sei, so der Vereinsvorsitzende Werner Golz, ein überall in der Verbandsliga bekanntes Problem. Und die, die da sind, hoffen immerhin unverdrossen auf den ersten Sieg. "Mal muß es ja klappen!" Schon nach wenigen Minuten fällt jedoch das 0:1, frenetisch bejubelt vom drei Mann starken und mit Tröten ausgestatteten Adlershofer Gästeblock, von den Heimfans dagegen gleichmütig hingenommen. "Bleibt ja noch viel Zeit, das umzudrehen."

Trainer Zibulski sieht ebenfalls keinen Grund, sich aufzuregen. "Bei mir hat schon die Planung für die nächste Saison begonnen", sagt er, "und die Spieler lernen jedesmal hinzu." Was kann man denn aus einer zweistelligen Niederlage wie zuletzt dem 0:18 gegen Türkiyemspor lernen? "Da lernt man nur, daß det allet Scheiße ist!" lacht der Trainer.

Das erkennen die Spandauer jedoch auch schon, wenn sie nur auf der Berliner Verbandsliga-Tabelle nach dem Stand ihrer Elf sehen. Mit 4:60 Toren und null Punkten war man vor dem Heimspiel gegen Adlershof am vorletzten Wochenende souveräner Tabellenletzter, die B.Z. verspottete das Team schon als "Schießbude". Und trotzdem laufen die Spandauer Woche für Woche auf.

Tatsächlich bleibt dem Verein auch gar nichts anderes übrig als die Kicker aufs Spielfeld zu schicken. Denn angesichts eines aussichtslosen Tabellenstandes die Mannschaft einfach zurückzuziehen geht laut DFB-Statuten so einfach nicht. Zumindest dann nicht, wenn man in der nächsten Saison nicht in der alleruntersten Spielklasse weitermachen will. Dorthin muß ein Team automatisch versetzt werden, wenn es vor Ablauf der Hinrunde im Jahr zuvor abgemeldet wurde - wenn man aber diese eine Hälfte schon durchgestanden hat, dann kann man die andere genausogut auch noch zu Ende spielen und absteigen.

Für Zibulski hat das Zurückziehen der Mannschaft sowieso nie ernsthaft zur Diskussion gestanden. Und dann pfeift der Schiedsrichter Elfmeter - selbstverständlich für die anderen - und die verwandeln natürlich und einen kleinen Moment lang ist Zibulski ernsthaft sauer. Dann fängt er sich jedoch wieder und sagt: "Stellen Sie sich eine Regionalligamannschaft vor, die plötzlich in der 1. Liga spielen soll, so ähnlich ist das hier im Moment auch. Spielerische Defizite müssen mit körperlichem Einsatz wettgemacht werden, nicht umsonst hat die Verbandsliga den Ruf, eine Kampfliga zu sein. Aber das ist nicht so einfach, denn wir hatten vier englische Wochen und das ist einfach zuviel für die jungen Spieler."

Plötzlich aber wird der Mann aufgeregt, denn kurz nach dem 3:0 für Adlershof pfeift der Schiedsrichter Elfmeter für Spandau. Der Gefoulte tritt an - Zeit für Zibulski, sich noch ein bißchen mehr aufzuregen, denn im Gegensatz zu seinem Spieler kennt der Coach natürlich die Regel, nach der der Gefoulte niemals selber schießen soll. Und dann passiert, was meistens passiert, der nicht besonders plaziert geschossene Ball wird vom Torhüter pariert. Zibulskis Spieler sinken daraufhin zu Boden, so wie man es nur von Bayern-Spielern in der 93. Minute gegen Manchester kennt, denn mit dem Verlieren wollen sie sich nicht so einfach abfinden.

Glücklicherweise sind die schrecklich langen ersten 45 Minuten des Spiels irgendwann vorbei. Ziemlich bedröppelte Spandauer schleichen in ihre Kabine. Und die Adlershofer haben sich kurz vor dem Anpfiff schon längst vollzählig und tatendurstig auf das Spielfeld begeben, als die ersten Spandauer langsam kommen. "Die Jungs hatten sich so viel vorgenommen, aber jetzt sind sie verunsichert", bedauert Zibulski und sagt: "Die saßen in der Kabine wie kleine Häufchen Elend." Nein, geschrien habe er nicht, "das hat doch gar keinen Zweck." Was er ihnen gesagt hat? "Das Leben geht weiter!"

Das tut es tatsächlich, bloß blöderweise weiter wie bisher. Kurz nach dem Wiederanpfiff fällt auch schon das 4:0. Daran, den Job hinzuwerfen, hat Coach Zibulski, der eigentlich in dieser Saison als Trainer pausieren wollte, noch nicht gedacht: "Ich bin doch bei den Spielern und beim Verein im Wort", sagt er und schreit angesichts eines einsam den Ball führenden Spandauer Spielers seinen Kickern zu: "Wer hilft denn da mal?" Keiner, und schon ist die kleine Chance auch schon vorüber.

Einer seiner Kumpel, derzeit Trainer einer Berliner A-Jugend-Mannschaft, hat sich zu ihm an den Spielfeldrand gestellt. "Wenn ich meinen Spielern sage, sie sollten die Räume eng machen, dann antworten die mir: Hä? Welche Räume, wir sind doch nicht mehr in der Kabine!" versucht er Zibulski zu trösten. Der hört kaum hin, denn er muß sich schon wieder ärgern, nachdem ein Adlershofer gleich drei seiner Kicker locker umspielt und nur durch eigenes Unvermögen kein Tor erzielt hat. Nachdem ein Ball im Seitenaus gelandet ist und es bis zur Wiederbeschaffung ein wenig dauert, fordert Zibulski den Schiedsrichter auf: "Pfeif ab, sind keine Bälle mehr da!" Der Schiri lacht, Zibulski lacht auch, nein, er will ja in Wirklichkeit weiterspielen lassen. Auch denjenigen, der heftig seine Auswechslung verlangt, denn er habe Seitenstiche. "Seitenstiche!" ruft der Trainer, "was soll denn das sein?"

Auf diese Frage gibt es viele mögliche Antworten, aber der Spieler verzieht bloß das Gesicht und macht weiter. "Habt ihr schon mal Seitenstiche gehabt?" fragt Zibulski die Umstehenden, und alle verneinen, bis auf den Dicken, der erklärt, dochdoch, das kenne er, und letztens, als er einem Bus nachgerannt sei, da habe er durchaus auch welches verspürt, und das könne ganz gemein weh tun. Zibulski nickt, sowas hatte er sich schon gedacht. "Seitenstiche kommen bei leidlich trainierten Menschen einfach nicht vor!" erklärt er. Ist er denn nicht für das Training seiner Jungs zuständig? Ja. Aber der mit dem Seitenstechen hat drei Wochen unentschuldigt gefehlt, und deswegen leidet er entweder wirklich, und das ist dann die gerechte Strafe, oder er leidet nur unter dem Spielstand, und dann besteht kein Grund zur Auswechslung.

Und der vormals Seitenstechen-Geplagte beharrt tatsächlich nicht länger auf seinem Gebrechen, sondern rennt weiter. Meistens in die falsche Richtung, aber damit paßt er sich ganz gut ins Gesamtbild ein.

"Wir müssen doch die Fehler derjenigen ausbaden, die die Kinder ausbilden. Wobei ausbilden das falsche Wort ist - ich frage mich oft wirklich, was die den ganz Kleinen überhaupt beibringen. Ich habe schon 16jährige erlebt, die absolute Bewegungs-Legastheniker waren, völlig ohne Ballgefühl, keine Ahnung von Taktik oder Stellungsspiel haben, nicht in der Lage sind, mal ein bißchen zu rennen, und die sich trotzdem für begnadete Fußballer halten", sagt der Kumpel.

Zibulski hilft das im Moment allerdings nicht weiter. "Ich habe das Motto: "Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren", muntert er sich auf, vielleicht wird er demnächst "mal ein Spiel auf Video aufnehmen. Dann kann man mit der Mannschaft viel besser die Fehler analysieren." Ob das allerdings bei seinen zutiefst verunsicherten Jungs "was bringt", weiß er selber nicht genau. "Manchmal hilft's", zuckt er mit den Achseln, "und, machen wir uns nichts vor, auch ein Bundesliga-Spitzentrainer könnte hier nichts bewirken!"

Gestreßt vom sportlichen Mißerfolg fühlt sich Zibulski nicht. "Vor zwei Jahren, als ich mit Marathon gegen den Abstieg spielte, da mußte ich mich wirklich beruhigen. Da habe ich dann sehr viel Autogenes Training gemacht, denn wir hatten ja den Anspruch, drinzubleiben. Wir haben es schließlich geschafft - nun ja, jetzt werde ich dem Abstieg kaum entgehen können, denn in diesem Jahr könnte es durch die Regionalligareform bis zu neun Vereine erwischen." In dem Moment fällt das 5:0 für Adlershof. "Ein schönes Tor, sowas gelingt nur, wenn man führt. Wenn man es zum 2:1 brauchen würde, gelänge so etwas nie!" konstatiert Zibulski.

Und klopft seinen Jungs nach dem Abpfiff aufmunternd auf die Schultern, während sich die Spandau-Supporter trösten: "Dann eben beim nächsten Mal. Statistisch gesehen, kann's ja nicht immer schiefgehen!"