Die Polit-Archäologin

Helena Ranta und andere EU-Pathologen sind zur Zeit dabei, das Rätsel von Racak zu lösen.

Ein bisschen missgelaunt ist die finnische Pathologin Helena Ranta in diesen Tagen: "Wir hatten tagelang keinen Strom, und das Telefonnetz ist auch zusammengebrochen", erzählt sie. Aber es ist nicht Finnland, das plötzlich von einer Energie-Krise heimgesucht wird. Vielmehr spricht Helena Ranta von den ungemütlichen Zuständen in Pristina, der größten Stadt im Kosovo.

Seit einer Woche befindet sie sich im Auftrag der Europäischen Union in der Krisenprovinz und hat einen speziellen Auftrag. Sie soll das angebliche Massaker von Racak aufklären. Schon seit Monaten stellt sich die finnische Pathologin die Frage, ob der ehemalige OSZE-Chef im Kosovo, William Walker, tatsächlich Recht hatte, als er wenige Tage nach dem Fund der 45 Leichen im Januar dieses Jahres gleich von einer "Gräueltat an albanischen Zivilisten, verübt von serbischen Sicherheitskräften" sprach.

Die Zweifel mündeten bei Ranta in einem Marathon von Anfragen und Interventionen bei den zuständigen Behörden: Das finnische Außenministerium ging sie mit der Bitte um eine neuerliche Untersuchung der Vorfälle an. Schließlich fand sie sogar Rückendeckung innerhalb der EU. Weniger beglückt ist das Haager Kriegsverbrechertribunal von Rantas Bemühungen. Der stellvertretende Chefankläger Graham Blewitt schrieb schon am 5. August an den finnischen Botschafter in den Niederlanden einen Brief, in dem er diplomatisch-höflich das Monopol der Haager Justiziare an der Aufklärung diverser Massaker anmahnte.

Doch das alles nützte nichts. Seit vorvergangenem Sonntag stochern die Mitarbeiter Rantas unter dem Schutz finnischer Kfor-Einheiten in Racak herum - erfolgreich, wie Ranta gegenüber Jungle World festhält: "Ich kann Ihnen beim besten Willen nichts Genaues sagen, aber die neuerlichen Untersuchungen waren ein 200prozentiger Erfolg."

Besonders befriedigend war wohl die Arbeit jener Ballistiker und Vermessungstechniker, die Ranta mit ins Kosovo genommen hat. "Es war wirklich die Mühe wert, unsere Experten mitzunehmen. Sie konnten einige Rätsel lösen", so Ranta. In mehreren Gesprächen mit Jungle World deutete Ranta schon in den vergangenen Monaten an, dass die Einschusswinkel der Kugeln und die Lage der Leichen kriminologisch gesehen nicht übereinstimmen würden. Dies lasse den Schluss zu, dass an den Leichen manipuliert worden sei.

Während die EU-Pathologen der Lösung des Rätsels schon ziemlich nahe zu sein scheinen, tappen die Experten des Haager Kriegsverbrechertribunals eher im Dunkeln. Am vergangenen Samstag wurde Helena Ranta ins Hauptquartier der Nato in Pristina bestellt - um über ihre Erkenntnisse Bericht zu erstatten. Sie weigerte sich jedoch: Zuerst würde sie mit ihrem Außenministerium in Helsinki und mit der EU Rücksprache halten, erst dann würden möglicherweise die Untersuchungsergebnisse im Fall Racak auch den Nato-Stellen übergeben.

Diese neuerliche Verweigerung Rantas ist das vorerst letzte Kapitel eines immer offeneren Zerwürfnisses zwischen der Europäischen Union und dem Kriegsverbrechertribunal. Während die EU-Experten scheinbar nüchtern und auf kriminaltechnischer Ebene die blutigen Rätsel des Kosovo-Konfliktes lösen wollen, jagen die Den Haager Fahnder dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic hinterher. Das müssen sie auch, denn das Haager Kriegsverbrechertribunal besitzt ein besonderes Privileg: Es agiert nicht unabhängig, sondern strikt weisungsgebunden.

Die Aufträge für diverse Nachforschungen erteilen für gewöhnlich die Nato oder die Vereinigten Staaten. Beide unterstützen die Fahnder in den Niederlanden finanziell und personell. Allein rechtlich ist das schon problematisch, denn mit jedem Scheck aus Washington verstößt das Tribunal gegen die eigenen Gründungssatzungen. So macht der kanadische Rechtsanwalt Chris Black in einer Studie vom Oktober dieses Jahres etwa darauf aufmerksam, dass "das Haager Tribunal gegen zwei wesentliche Grundsätze verstößt": Nach dem Artikel 16 soll der jeweilige Chefankläger "unabhängig agieren und keinerlei Instruktionen von einer Regierung oder einer Organisation erhalten". Außerdem müsse das Tribunal "sein Budget aus den regulären Mitteln der Vereinten Nationen bestreiten". Beides trifft nicht zu.

Selbst die Richterin Gabrielle Kirk McDonalds gibt zu, dass "wir von der Unterstützung diverser Regierungen und von Madeleine Albright persönlich profitierten". Auch die neue Chefanklägerin Carla Del Ponte meinte während einer Pressekonferenz am 30. September, sie sei "glücklich über die großartige Unterstützung der US-Regierung". Und sie hat Recht: Schon 1994/95 überwies die US-Regierung 700 000 US-Dollar nach Den Haag und versorgte die Fahnder mit Equipment im Wert von rund 2,3 Millionen US-Dollar. Der erhöhte Aufwand der politischen Justiz im Kosovo dürfte den Fahndern in den vergangenen zwei Jahren wohl noch mehr Dollars aus den USA beschert haben.

Auch aus anderen Quellen kommen Gelder: Die Open Society Foundation von George Soros überwies zuletzt 150 000 US-Dollar an das Haager Tribunal. Schon allein die Annahme einer solchen privaten Spende stellt eine Verletzung der Statuten des Gerichts dar.