Länderpunkt Faröer

Unbekannte Sportarten II: Groundhopping. Das Sammeln von Stadien ist eine komplizierte Sache, denn jeder macht sich seine eigenen Regeln. Selbst dem deutschen Verband gelang bisher keine Vereinheitlichung.

Fan-Sein heißt reisen, jedenfalls dann, wenn man die Liebe zur Kickerei auch nur ein kleines bisschen ernst nimmt. Denn natürlich ist klar, dass der Lieblingsverein immer auf wirklich jeden Unterstützer angewiesen ist - und auswärts ganz besonders.

Nach nur wenigen Jahren kommt jedoch auch der hartnäckigste Fan ins Grübeln. Spätestens dann, wenn er festgestellt hat, dass der Verein völlig unabhängig von seiner Anwesenheit gewinnt oder verliert und das Interessanteste an einer Auswärtsfahrt niemals das Spiel ist. Und wenn man das eigene Team nun wirklich überall mal hat verlieren sehen, dann wird es entweder Zeit, sich einen anderen Club oder ein neues Hobby zu suchen. "Ich war jetzt vier Mal im Münchener Olympiastadion, das ist so ranzig da, ich weiß gar nicht mehr, warum ich mich mal darauf gefreut habe, dass Hertha in der Ersten Liga gegen Bayern spielen würde", begründet z.B. Dirk vom Brandenburger Fanclub Hertha BSC Beifallrufergruppe Nah-Ost sein Engagement für die Amateure des Berliner Erstligisten, das selbstverständlich Reisen ins verschnarchte Umland mit sich bringt.

Wahrscheinlich haben viele Fußballfans einmal so angefangen wie Dirk. Sie sind tapfer durch die deutsche Provinz gefahren, bis sie wirklich jedes Kaff mit assoziiertem Fußballstadion besucht hatten. Vielleicht fiel ihnen dann irgendwann auf, dass auch andere Länder Käffer haben, und schon war es passiert. Sie wurden Groundhopper. Und hatten damit ein Hobby, das anscheinend fast niemand kennt. Stadien sammeln eben.

So ganz unbekannt ist das Groundhopping dann wohl doch nicht, denn die Startauflage des gerade erschienenen Fachbuches "Abenteuer Groundhopping" von Jörg Heinisch war ausverkauft, noch ehe der Verlag dafür werben konnte. Dabei betrieben die Groundhopper bis Ende der Achtziger ein namenloses Hobby. Und ein sehr schwieriges dazu, denn die ersten Stadionhopper waren nicht organisiert und sahen sich mit einer Vielzahl logistischer Probleme konfrontiert. Die Spielpläne ausländischer Ligen waren mangels internationaler Sportzeitungen und Internet nur mühsam zu erhalten, unorganisierte Einzelreisen in den Ostblock waren fast unmöglich, Hochgeschwindigkeitszüge so gut wie unbekannt.

Trotzdem gab es schon Ende der siebziger Jahre Groundhopper, zumindest in England, wo 1978 der "92 Club" gegründet wurde, in dem jeder Mitglied werden konnte, der nachweislich jedes Stadion der ersten vier Ligen besucht hatte - schon vier Jahre zuvor war die Verleihung einer extra angefertigten Krawatte für alle diese Hardcore-Hopper angeregt worden.

Für die scheint es mittlerweile jedoch auch ein Leben jenseits der Profiligen zu geben: Heinisch zitiert dazu Dave Woodings, der ihm mitteilte, dass es für viele Hopper mit dem 92er Club allein nicht getan sei, schließlich sei es weit reizvoller, "mit über 25 anderen Idioten rumzustehen und bei Spielen der zehnten oder elften Liga eingeregnet zu werden".

300 deutsche Groundhopper sehen das wohl ähnlich, denn sie sind Mitglied der "Vereinigung der Groundhopper Deutschland", V.d.G.D. In die man nicht einfach so aufgenommen wird, die Zugangsvoraussetzungen sind ziemlich hart: Man muss 100 Stadien besucht sowie in zehn verschiedenen Ländern Spiele gesehen haben (also über zehn Länderpunkte verfügen), dazu von einem Mitglied vorgeschlagen werden und auf Vereins-Rivalitäten verzichten.

Die Zählweise für Stadionbesuche ist jedoch individuell unterschiedlich: "Jeder macht sich seine eigenen Regeln", schreibt Heinisch dazu, und die zu vereinheitlichen sei zwar von der V.d.G.D. ausdrücklich geplant, aber bisher noch nicht tatsächlich in Angriff genommen worden. Denn wie auch immer man entscheidet, irgendwer würde immer Punkte verlieren und übelnehmen, worauf es die Groundhopper-Vereinigung dann doch lieber nicht ankommen lassen möchte.

Und überhaupt wären auch äußerst komplizierte Sachverhalte zu regeln: Muss etwa ein Groundhopper, wenn ein Verein z.B. ein neues Stadion bezieht, dieses nun auch besuchen, um seinen Punkt behalten zu dürfen, oder gilt der alte Punkt weiter und der Sammler kann sich für den Besuch des neuen Spielortes sogar einen weiteren Punkt gutschreiben?

Noch schwieriger ist die Sache mit den Länderpunkten, die schon damals bei der RTL-Show "Tutti-Frutti" äußerst kompliziert war und bei den Groundhoppern sogar noch verwirrender ist. Zählt man nun die Staaten oder die Fifa-Mitgliedschaften? "In Großbritannen haben England, Schottland, Wales und Nordirland eigene Nationalmannschaften und eigene Ligen. Das Gegenbeispiel wäre Monte Carlo, das ein eigener Staat ist, sich aber sportpolitisch Frankreich angeschlossen hat", stellt Heinisch fest. Aber auch das Länderpunktesammeln nach Fifa-Mitgliedsverbänden klappt nicht reibungslos. Was ist z.B. mit Hongkong, bis zur Rückgabe an China ein eigenständiger Staat mit vollwertigem Groundhopper-Länderpunkt?

Echten Groundhoppern sind solche Probleme jedoch meistens völlig egal. Solchen z.B., wie sie in "Abenteuer Groundhopping" porträtiert werden. Einer von ihnen ist der Ratinger Kommunikationswissenschaftler Stephan Schlei, heute 43 Jahre alt, der seit 27 Jahren reist. 900 000 Kilometer ist er bisher getrampt, 2 027 Spiele in 41 Fifa-Ländern hat er in 776 verschiedenen Grounds gesehen. Die Komplettierung mancher Ligen war dabei einfach, "für Malta, wo alle zehn Erstligisten im Nationalstadion spielen", brauchte er gerade mal 45 Stunden. In Neuseeland hatte er dagegen ausgesprochenes Pech, ausgerechnet im Januar, als er dort war, hatte die Liga Sommerpause.

"Länderpunkt Faröer. Oder: Man bekommt im Leben nichts geschenkt" heißt der Bericht des Groundhoppers Christian Doehr. Vom dänischen Billund sollte es per Flugzeug auf die Inseln gehen, aber "als wir nach 90 Minuten die Faröer Inseln erreichten, kam die Durchsage vom Kapitän, dass starker Nebel herrsche und man deshalb noch etwas kreise". Nach einer Stunde musste man zurück nach Billund fliegen, "erstaunlich die Gelassenheit der einheimischen Färinger, die derlei Ungemach wohl gewohnt sind. Einer erzählte vom bisherigen Rekord, als die Landung im siebenten Anlauf glückte."

Fari Farsang dagegen erzählt von weitaus größeren Problemen, die er z.B. als Groundhopper in Algerien hatte. "Es sollte der schwärzeste Tag in meinem Fan-Dasein werden. Nach Korea zu fliegen und das Spiel fällt aus - na gut, solche Kapriolen können vorkommen. In Bukarest ein Spiel wegen Lokschadens verpassen - was soll's? Aber bitte nicht hier ..." Farsang - "nur noch 27 Minuten trennten mich von meinem Länderpunkt Algerien" - wurde im Stadion verhaftet. "In weniger als zehn Minuten fand das Topspiel der Woche zwischen USMH Union Sport Musulman Harrach Algier, dem Fünften der Liga, und MPO Mouloudia Petro Oran, dem Ersten der Liga, statt und ich kochte vor Wut auf einer Polizeistation." Für Farsang fiel das Spiel aus.

Ein Engländer, von dem Jörg Heinisch ebenfalls berichtet, hat mit ausgefallenen Spielen dagegen überhaupt kein Problem. Er sammelt sie nämlich, wann immer er von einem abgesagten Match hört, fährt er sofort zum entsprechenden Ground, um sich dort die Absage offiziell bestätigen zu lassen.

Andere Groundhopper sammeln dagegen gerade Jahrtausendwechsel-Spiele. Dabei muss die erste Hälfte einer Begegnung im Jahr 1999 angesehen werden, im Jahr 2000 fährt man dann zum Rückspiel und schaut sich dann die zweite Halbzeit an. Und sieht, wenn man viel Pech hat, ein auch insgesamt grottenschlechtes Spiel.

Jörg Heinisch: Abenteuer Groundhopping. Argon Sportverlag, Kassel 1999, 224 S., DM 29,80