Heidi Lippmann

"Nein! - egal unter welchem Helm"

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende war der Erste: Auch die PDS, meinte Wolfgang Gehrcke schon während des Kosovo-Krieges, müsse künftig Ja sagen können zu Interventionskräften, die im Auftrag der Uno für Recht und Ordnung sorgen. Wer mitregieren will, muss kämpfen können: Gehrckes Vorstoß hatte Erfolg. Ein halbes Jahr später sind sowohl die Bundestagsfraktion als auch der Parteivorstand auf den Uno-Kampftruppen-Kurs eingeschwenkt. Doch damit nicht genug: Um die Grünen gegebenenfalls ablösen zu können in Berlin, soll im neuen Parteiprogramm die Forderung nach Abschaffung der Nato ersetzt werden durch die nach ihrem Rückbau. Heidi Lippmann, friedens- und abrüstungspolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion.

Vor nicht einmal einem halben Jahr hat die PDS mit Plakaten wie "Europa schaffen ohne Waffen" gegen den Kosovo-Krieg mobil gemacht. Jetzt ist der Krieg vorbei - und schon hält man es in Ihrer Partei für geboten, Kampfeinsätzen zuzustimmen, wenn sie von den Vereinten Nationen legitimiert sind. Ist die PDS nur antimilitaristisch, solange das Wählerstimmen bringt?

Nein, überhaupt nicht. Wir sind grundsätzlich eine antimilitaristische Partei und werden das auch bleiben. Die Plakate haben nach wie vor ihre Richtigkeit. Die Debatte jetzt dreht sich ja nur um Einsätze nach Kapitel 7 der Uno-Charta. Da gibt es unterschiedliche Positionen in der Fraktion, im Parteivorstand und innerhalb der Partei. Die endgültige Klärung darüber wird der Parteitag im April in Münster bringen.

Seltsam ist es schon, dass die Debatte erst nach Kriegsende losgeht. Gehrckes Position ist doch seit April bekannt.

Als der Krieg lief, haben wir eine ganz klare Position gehabt: Wir haben uns gegen den Nato-Einsatz gerichtet. Wir hätten, unabhängig von der rechtlichen Grundlage, niemals eine Bombardierung Jugoslawiens und des Kosovo zugelassen. Im Frühjahr war für uns entscheidend, dass es sich um einen Nato-Einsatz handelte, der völkerrechts- und verfassungswidrig war. Es gab also Punkte auf rein rechtlicher Ebene, die für unsere Position gesprochen haben. Was aber nicht heißt, dass jede rechtlich zulässige Entscheidung auch politisch richtig sein muss.

Endet Antimilitarismus nicht dann, wenn man sich Gedanken darüber macht, ob Kriege mit Uno-Mandat geführt, solche ohne jedoch nicht geführt werden dürfen?

Das ist sicher ein Problem. Aber die Bundestagsfraktion und der Parteivorstand haben ja nicht für ein grundsätzliches Ja zu Militäreinsätzen gestimmt, sondern entschieden, dann, wenn es eine völkerrechtliche Grundlage gibt, zu prüfen, ob man eine solche Entscheidung mitträgt. Es stimmt, dass damit eine Debatte eröffnet worden ist, die vorher in der PDS nicht geführt wurde.

Der Fraktionschef hat Ihrer Partei geraten, Abschied vom "Gefühlspazifismus" zu nehmen. Fühlen Sie sich angesprochen?

Nein, ich bezeichne mich nicht als Gefühlspazifistin. Ich bin auch in dem Sinne keine Pazifistin, sondern lehne militärische Einsätze und militärische Strukturen ab, habe aber durchaus Verständnis für die Kämpfe von Befreiungsbewegungen.

Aus den Äußerungen des Vorstands und der Fraktionsspitze wird der Wunsch deutlich, der SPD als Koalitionspartner zur Seite zu stehen. Holt die PDS jetzt auf außenpolitischem Gebiet das nach, wofür die Ökos immerhin zehn Jahre gebraucht haben?

Ich hoffe es nicht, und ich kämpfe auch ganz massiv dagegen. Ich bin der Meinung, dass unser Grundsatzprogramm auch weiterhin seine Richtigkeit hat. Wir dürfen uns diesem seit Bosnien und Kosovo aufgemachten moralischen Druck - die PDS verweigere sich humanitären Einsätzen - nicht ergeben. Ich sage ganz klar Nein zu militärischen Einsätzen, egal unter welcher Helmfarbe, und werde mich auch innerhalb der Partei dafür einsetzen, dass es im April in Münster zu keiner Öffnung dieser Position kommen wird.

Gehrcke votiert nicht nur für Uno-Einsätze, sondern will auch die Forderung nach Abschaffung der Nato aus dem Programm streichen - bei gleichzeitiger Stärkung der OSZE. Gehen Sie da konform?

Den Antrag zur Stärkung der OSZE habe ich selbst mit eingebracht - und der ist losgelöst von der Nato-Debatte auch gut und richtig. Dennoch bleibt unser Ziel nach wie vor die Abschaffung der Nato. Wir machen Lösungsvorschläge, wie dieser Ausstieg aussehen kann, und ich denke, daran wird auch die Mehrheit der Partei festhalten. Was ich vollkommen falsch finde ist, dass die derzeitige Debatte in der Fraktion und im Parteivorstand quasi schon entschieden wurde, ohne den Parteitag abzuwarten. Die Strukturentscheidung aber, die jetzt gefallen ist, die ist auf jeden Fall falsch.

Also hat sich die Parteispitze schon durchgesetzt?

Das sehe ich nicht so. Ich habe täglich sehr viele Anfragen aus fast allen Landesverbänden - dort ist der Unmut groß. Darüber hinaus sollen ja bald der Entwurf der Programmkommission für den Parteitag und ein Gegenentwurf vorliegen, in dem der Punkt Kampfeinsätze behandelt wird. Die Debatte ist am Laufen.

Von den "Gefühlspazifisten" hört man wenig. Werden diese bis zum Parteitag auch Abschied genommen haben vom Antimilitarismus?

So wie es sich mir darstellt, ist der größte Teil der Mitglieder der Meinung, dass wir an dem bisherigen strikt antimilitaristischen Kurs festhalten sollen. Und ich denke nicht, dass Gehrke und Gysi und diejenigen, die das in der Fraktion und im Parteivorstand unterstützt haben, sich mit ihrer Position durchsetzen werden.

Gysis Rechtfertigung von Uno-Kampfeinsätzen zeugt von dem Glauben, dass die Vereinten Nationen reformierbar seien. Wird da den rechten Legitimationen von Militäreinsätzen nicht einfach eine weitere von links hinzugefügt?

Da müssen Sie Herrn Gysi fragen. Klar ist, dass das Gewaltmonopol der Uno vom größten Teil der Fraktion akzeptiert worden ist. Es geht jetzt nur darum, wie mit den Beschlüssen umgegangen wird. Dabei ist die zentrale Frage, was eine Entscheidung nach Kapitel 7 der Uno-Charta mit sich bringt: Bedeutet das automatisch Waffengewalt oder gibt es Alternativen dazu? Sollten auf dem Parteitag damit auch militärische Angriffe impliziert werden, werde ich das auf keinen Fall mittragen.

Auch Sie setzten auf die Vereinten Nationen - auf Uno-Polizisten, die in Ost-Timor eingesetzt werden könnten. Sollte es einer antimiIitaristischen Partei nicht eher darum gehen, die Uno als Instrument der Veto-Mächte, die ihre Interessen im Sicherheitsrat durchsetzen wollen, zu kritisieren?

Natürlich. Aber gerade in der Ost-Timor-Frage waren wir sehr unter Druck und haben versucht, unterschiedliche Möglichkeiten zu prüfen. Eine davon war die Forderung nach Uno-Polizeieinheiten, die es so ja noch nicht gibt. Ich gebe zu, dass damit zunächst nur ein Konstrukt entstanden ist, mit dem ich auch nicht glücklich bin.

Gehrcke und Gysi haben nun den Fall von Ruanda 1995 zur Gretchen-Frage gemacht: Bei Völkermord komme man als demokratischer Sozialist um Zustimmung zu Uno-Kampfeinsätzen nicht mehr herum. Bleiben Sie auch bei Völkermord bei Ihrem Nein?

Ja, denn auch in Ruanda wurden nicht alle politischen und wirtschaftlichen Druckmittel unterhalb der militärischen Ebene genutzt. Solange die UN von nationalstaatlichen Prinzipien gelenkt und von imperialistischen Interessen einzelner UN-Sicherheitsratsmitglieder geprägt ist, sind ihre Entscheidungen in Frage zu stellen. Was insbesondere der afrikanische Kontinent braucht, ist soziale Emanzipation. Hierzu kann der reiche Norden durch eine nachhaltige Wirtschaftspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, insbesondere durch Schuldenerlasse und eine andere Politik von IWF, WTO und Weltbank beitragen. Was er nicht braucht, sind militärische Interventionen und Rüstungsexporte. Dieses sind die Schwerpunkte, für die die PDS sich auch weiterhin einsetzen muss.