Nebel

Wer hat den Ball gesehen?

Was für ein Spiel! "Skandal!", rief der Coach des FC Barcelona, Louis van Gaal. Der von Gastgeber Hertha erzielte Ausgleichstreffer sei ungültig gewesen und seiner Mannschaft habe der Schiedsrichter glatt zwei Elfmeter verweigert. Van Gaal hatte es selbst gesehen - na ja, genau genommen nur gehört. Von seinen Spielern und die müssen es ja wohl wissen - aber eigentlich hatten die auch nichts gesehen.

Denn es gab an diesem Abend im Berliner Olympiastadion nichts zu sehen - nichts als Nebel. Und trotzdem wussten es alle genau - nicht nur der Teamchef von Barca. Die Reporter der B.Z. hatten in der Nebelsuppe angeblich ein "Spiel" von Hertha gesehen, dpa berichtete überschwenglich von "Superparaden" des Berliner Schlussmannes Gabor Kir‡ly und Nationaltrainer Erich Ribbeck will sogar eine "beeindruckende Leistung" des Mittelfeldspielers Dariusz Wosz beobachtet haben. Das Gegenteil kann schließlich niemand beweisen.

Wie denn auch? Das gesamte Spektakel war einfach perfekt inszeniert: Mehr als 60 000 Zuschauer waren ins Olympiastadion gekommen, hatten bis zu 80 Mark für ihre Karte bezahlt - und sahen: Nebel. Und auf tm3 haben immerhin weitere 2,8 Millionen Zuschauer live und in Farbe auf die weiße Wolkenwand gestarrt - präsentiert von Krombacher und unterbrochen von einer Viertelstunde Werbung. Ein solcher Quotenrenner ist selbst der ARD-Sendeschluss zu seinen besten Zeiten nicht gewesen - aber der wurde ja auch nicht von einer Biermarke gesponsert.

Der Champions-League-Sender tm3 war trotzdem nicht besonders angetan von diesem Ereignis und auch die Werbeagentur Team war ziemlich angesäuert, obwohl sie nur selten so wenig Fußball für so viel Kohle vermarkten kann. Team verkauft nämlich die Bandenwerbung - kann aber eigentlich ihren Kunden gar nicht beweisen, dass sie die teuer bezahlten Reklameschilder überhaupt aufgestellt hat.

Und wer stand mit einem Siegerlächeln daneben? Dieter Hoeneß, der Manager von Hertha BSC. Ihm konnte es ja egal sein, was es auf dem Platz zu sehen gab. Das Ziel des Vereins - "sich so teuer wie möglich verkaufen" - ging nämlich voll auf: Der Eintritt musste ja schließlich schon beim Vorverkauf oder spätestens am Eingang entrichtet werden. Die von Hoeneß geforderte Fortsetzung des Spiels sicherte seinem Team außerdem ein mysteriöses Unentschieden - schließlich hätte Hertha ohne das fiese Witterungsdoppel aus Kälte und Nebel gegen den spanischen Meister nicht die Spur einer Chance gehabt. Wer weiß, vielleicht hat der Berliner Verein ja sogar mit Nebelkerzen nachgeholfen und man konnte die bloß nicht erkennen - wegen der schlechten Sicht.

Den Hertha-Fans jedenfalls war es recht: Schreien sie sonst immer dann empört auf, wenn sich eines ihrer Idole theatralisch fallen lässt, ereiferten sie sich nun laustark, wann immer ein Kicker zu Boden hätte gegangen sein können - also die gesamten 90 Minuten lang. Kurz vor dem Halbzeitpfiff war die Begeisterung auf der Tribüne riesengroß: "Wir haben den Ball gesehen! Wir haben den Ball gesehen!"

Immerhin ein Indiz dafür, dass dieses Spiel wirklich stattgefunden hat. Was aber noch lange nicht beweist, dass Barcelona nicht doch standesgemäß gewonnen hat.