Guten Putsch!

Nach dem Militärputsch in C(tm)te d'Ivoire ist der neue Staatschef, General Guei, mit widersprüchlichen Erwartungen konfrontiert.

Für mich war es ein guter Putsch. Seit 40 Jahren war nur eine Partei an der Macht. Wir müssen mit neuen Leuten experimentieren.« Wo immer Korrespondenten die Bevölkerung von C(tm)te d'Ivoire über die Machtübernahme des Militärs in den Weihnachtstagen befragten, hörten sie Äußerungen wie diese. Westliche Regierungen scheinen ebensowenig traurig zu sein über den Sturz von Präsident Henri Bédié, dem sie ökonomische Unfähigkeit und mangelnden Reformwillen vorwarfen.

Einzig einige afrikanische Staaten sehen ihre Interessen durch den Putsch gefährdet, der ein autoritäres Präsidialregime beseitigte und zeigte, dass Frankreich nicht mehr ohne weiteres zu Gunsten befreundeter Herrscher militärisch interveniert. Die nahe der Hauptstadt Abidjan stationierten französischen Soldaten blieben in ihrer Kaserne, als die meuternde Armee den Erben eines jahrzehntelang von Frankreich unterstützten neokolonialen Regimes stürzte.

Seit der Unabhängigkeit 1960 hatte Félix Houphou't-Boigny die C(tm)te d'Ivoire auf repressive und paternalistische, im regionalen Vergleich aber relativ milde Art regiert. Es war ihm gelungen, alle Regionen und Bevölkerungsgruppen in sein Klientelsystem einzubeziehen. Diese geschickte Politik sorgte gemeinsam mit seiner Popularität als einer der wichtigsten Führer der antikolonialen Bewegung dafür, dass sein Regime nie ernsthaft gefährdet war.

Das System war jedoch ganz auf seine Person zugeschnitten und zerfiel 1993 mit seinem Tod. 1994 spaltete sich die Republikanische Sammlungsbewegung (RDR) von der Ex-Einheitspartei PDCI (Demokratische Partei der C(tm)te d'Ivoire) ab, gemeinsam mit der Ivoirischen Volksfront (FPI) bildete sie eine »Republikanische Front«, die bei freien Wahlen wahrscheinlich die PDCI von der Macht verdrängt hätte. Henri Bédié, der 1993 die Präsidentschaft übernommen hatte, zog es daher vor, die Opposition zu behindern. FPI und RDR boykottierten die Präsidentschaftswahlen von 1995.

Die sozialen Unterschiede wurden immer extremer. Obwohl das Pro-Kopf-Einkommen mit 710 Dollar mehr als doppelt so hoch ist wie in den Nachbarstaaten, liegt die C(tm)te d'Ivoire mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von nur 46 Jahren am untersten Ende der weltweiten Skala. Korruption, Misswirtschaft und Kapitalflucht erreichten ungeahnte Ausmaße, so dass IWF, Weltbank und EU 1999 die Auszahlung von Krediten und Finanzhilfen stoppten. Auf die wirtschaftliche Krise und den Legitimitätsverlust reagierte Bédié mit einer nationalistischen Politik der »Ivoirisierung«, u.a. durften nur noch »reine Ivoirier« für die Präsidentschaft kandidieren.

Diese Regelung richtete sich gegen den gefährlichsten Konkurrenten Bédiés bei den für Oktober 2000 angesetzten Präsidentschaftswahlen, den RDR-Führer Alessandre Ouattara, dessen Vater in Burkina Faso geboren worden war. Ouattara gilt als Vertreter des Nordens, wo muslimische Bevölkerungsgruppen dominieren. Die neue Linie, so Joachim Beugre von der Oppositionszeitung Le Jour, »hat die nationale Einheit zerbrochen. Dieses Konzept ließ die Leute glauben, dass jeder aus dem Norden ein Ausländer sei.« Auch machte Bédié die ArbeitsmigrantInnen aus anderen westafrikanischen Staaten für die soziale Krise verantwortlich und ließ Zehntausende ausweisen.

Möglicherweise gab die Brandrede gegen Oppositionelle und »Ausländer«, die Bédié am 22. Dezember hielt, den Ausschlag für seinen Sturz, der tags darauf mit Soldatenunruhen begann. Nach Angaben des neuen Regimes trieb die Nichtauszahlung der Prämien für den Einsatz bei der UN-Truppe in der Zentralafrikanischen Republik die Soldaten auf die Straße; man habe die Macht nur übernommen, um die Unruhen zu beenden und eine wirkliche Demokratisierung zu ermöglichen.

Das mag bezweifelt werden, zumindest aber haben sich die Putschisten bislang recht gemäßigt verhalten. Die Zahl der Verhaftungen blieb gering. Und obwohl das Militär die neue Regierung dominiert und die Schlüsselministerien für sich beansprucht, handelt es sich um die repräsentativste Regierung, die das Land jemals hatte. In ihr sind RDR, FPI und zwei kleinere Oppositionsparteien vertreten, auch PDCI-Politiker wurden beteiligt.

Ihre Popularität verdanken die Putschisten nicht zuletzt der Verbindung mit der Popkultur des Landes. Nach dem Vorbild der karibischen Rasta-Bewegung nahmen sich ivoirische Musiker auch politischer und gesellschaftlicher Themen an. Die Stars der Szene wie Alpha Blondy oder Serge Kassy waren so populär, dass sie, anders als Journalisten und Politiker, vor Verhaftung sicher waren. Songs wie »Diktatur« oder »Die Diebe des Landes« wurden zwar im staatlichen Radio nicht gespielt, verbreiteten sich aber dennoch im ganzen Land - auch in den Kasernen. Nachdem die Armee die Radiostationen besetzt hatte, wurde die bislang verbotene Musik gesendet.

Das Bündnis von Musik und Maschinengewehr wird aber nur dann von Dauer sein, wenn Guei seine Versprechen hält und bald Wahlen organisiert. »Heute stehe ich auf der Seite Gueis, weil ich glaube, dass er das tun wird, was die Bevölkerung will«, erklärte Kassy, »wenn sich aber später herausstellt, dass er nur an der Macht interessiert ist, werde ich der erste sein, der gegen ihn kämpft.« Andere Oppositionelle teilen diese Haltung. Sie sehen im Putsch eine Chance, die autoritären Strukturen des PDCI-Regimes zu beseitigen, sind sich aber der Gefahr bewusst, dass es den Generälen an der Macht gut gefallen könnte.

Die erste Krise scheint Guei gemeistert zu haben. Anfang Januar hatte die FPI ihren Austritt aus der Koalitionsregierung erklärt, weil sie mit der Zuteilung der Ministerposten nicht zufrieden war und das neue Regime verdächtigte, die RDR zu begünstigen. Zugleich gab es Gerüchte über einen Gegenputsch radikalerer Kräfte. Mit der Schaffung von zwei zusätzlichen Ministerposten gelang es, die FPI umzustimmen, ohne allerdings die hinter dem Streit stehenden Differenzen beizulegen.

Die RDR, der das Wirtschafts- und Finanzministerium zugesprochen wurde, steht für eine neoliberale Linie; bis Juni 1999 war Ouattara Vizedirektor des IWF. Die FPI dagegen vertritt sozialdemokratische Ideen, und die PDCI dient den Offizieren ihre Parteistrukturen für die Wiedererrichtung des alten Klientelsystems an. Gueis Versuch, alle politischen Blöcke zusammenzuhalten, ist auf längere Sicht ein unmöglicher Kraftakt.