Sandsäcke verprügeln

Lange Zeit verweigerte der Amateur-Box-Verband Frauen die Wettkampfteilnahme, nun aber dürfen sie auch offiziell. Bei Blaugelb Weißensee trainieren die Boxerinnen schon ebenso hart wie ihre Kollegen.

Ihre Mama hatte eigentlich »Nein!« gesagt. Aber am Ende hat Kati sich doch noch durchgesetzt, denn Judo war ihr einfach zu langweilig. Jetzt lässt sie sich von ihrem Trainer durch die olle muffige Boxhalle hetzen: Alte Sandsäcke aus Leder, die seit Jahren behauen werden und auch so aussehen, hängen von der Decke, an der Wand kleben zahlreiche Fotos von internationalen und lokalen Champions. Der Schweißgeruch derjenigen, die hier Tag für Tag trainieren, ist in jeden Winkel des Raums eingedrungen, und am Ende der Halle steht er, der Boxring: mindestens einen halben Meter hoch, eingezäunt durch abgewetzte Seile.

Aus einer Ecke kommt ein hysterisches Geheule, als würde da gerade jemand verprügelt werden: Ein Boxer, der zu Besuch ist, begleitet seine Schläge gegen den Sandsack mit hohen Tönen. »Rumbrüllen, das brauchen nur die kleinen Jungs«, meint Jonny ein wenig geringschätzig: »Ausatmen reicht. Der Rest kommt aus dem Arm.« Jonny ist eine von fünf Frauen, die jeden Mittwochabend beim Berliner Verein Blaugelb Weißensee das Boxen trainieren. Bei jedem Schlag, den sie dem Sandsack verpassen, pusten die Frauen scharf durch die Nase. Das klingt gefährlich genug. Mit gesenktem Kopf blicken sie den Sandsack von unten so böse an, als gälte es, ihn zu zerfetzen. Das Piraten-Kopftuch ist tief in die Stirn gezogen, die Gesichter glühen vor Anstrengung. Seitwärts, aufwärts, Passgang, diagonal: Während die eine Hand an den Sandsack prallt, bleibt die andere schützend am Kinn. Frauenboxen ist eine der letzten exotischen Sportarten.

In Berlin lassen sich die Boxclubs, in denen Frauen trainieren, an einer Hand abzählen. Umso bunter ist die Mischung der Frauen, die einmal in der Woche aus den verschiedenen Stadtteilen nach Weißensee kommen, um hier zu boxen. Kati ist ein bisschen blass und würde auch als Kunstturnerin durchgehen. Dabei ist die angehende Kfz-Mechanikerin die Berliner Meisterin im Federgewicht. Sie ist zwar erst 17, aber bei den Juniorinnen gibt es keine ernst zu nehmenden Gegnerinnen mehr für Kati. Denn das schüchterne, wortkarge Mädchen wird im Ring zum »Killer«, meint Karen.

Auch Karen ist zierlich, sie fährt den ganzen Weg von Kreuzberg hierher mit dem Fahrrad. Die kleine Sabrina geht noch zur Schule und kommt geschminkt zum Training. Jonny dagegen ist 1,90 Meter groß und trägt einen modischen Herrenhaarschnitt. Sie hat schon so einige Kämpfe hinter sich. Doch die Narbe in ihrem Gesicht ist »auf der Straße« entstanden, »in meinen wilden Jahren«. Jonny boxt, weil sie weiß, »dass das gut ankommt bei den Frauen.«

Vehement muss sie da dem abgetakelten ehemaligen Box-Europameister René Weller widersprechen, der mal erklärte, Frauenboxen sei unerotisch, die Mädels sollten sich lieber schön machen und damit basta! Mit dieser Auffassung steht Weller allerdings nicht allein. Überall stößt man als Boxerin auf Befremden. »Die Leute können sich einfach nicht vorstellen, dass das ein ganz normaler Sport ist«, schimpft Karen. Denn gerade im Box-Milieu war lange Zeit die Männerwelt noch in Ordnung.

Die Herren im Deutschen Amateur-Boxverband wehrten sich erfolgreich dagegen, so etwas Gefährliches wie boxende Frauen offiziell zu Wettkämpfen zuzulassen. Der Blaugelb-Trainer Rainer Kühn ärgerte sich über den »alten, verknöcherten Männerverein« und versuchte mit allerlei Tricks, den Ausschluss der Frauen zu umgehen: Schließlich gab es nie eine Regel, die den Frauen das Boxen ausdrücklich verboten hätte. Doch das Berliner Hauptkampfgericht argumentierte, in den Regeln sei immer nur vom »Kämpfern« im maskulinen Genus die Rede, und verbot Kühn selbst den Frauenfight in den Pausen zwischen den Männerkämpfen. So konnten erst 1995 die ersten legalen Amateur-Wettkämpfe zwischen Frauen stattfinden. Und noch immer müssen Frauen vor Kämpfen ein Attest darüber vorweisen, dass sie nicht schwanger sind. Kopf- und Mundschutz sind Pflicht. Der Brustschutz-Zwang wurde zur allgemeinen Erleichterung der Trägerinnen abgeschafft. »Dieser Brustschutz ist eine Art 'einer für alle' - eine Riesen-Rüstung, die immer nur im Weg ist«, erläutert Jonny und renkt sich den Kopf zurecht, »knack!«

Nach dem Training am Sandsack geht's ans Schattenboxen. Voller Konzentration werden hier Schritte und Schlagabfolgen gegen eine imaginäre Gegnerin durchprobiert. Zack! Geschwindigkeit ist wichtig, nicht nur in den Armen, auch in den Beinen. Vor dem Spiegel überprüfen die Boxerinnen ihre Haltung beim Schlagen und die Technik. Der »Stil«, wie sie es nennen, ist für die fünf Frauen ein wichtiger Aspekt beim Boxen. Mehr oder weniger leichtfüßig - die Anfängerinnen hoppeln noch etwas ungeschickt - federn sie vor und zurück. Irgendwie schaffen sie es, dabei den Spiegel noch aggressiver und böser anzugucken als zuvor die Sandsäcke. Die Killer-Pose steht ihnen gut und im Wettkampf kann es nicht schaden, schon durch den Anblick die Gegnerin in Schrecken zu versetzen. Ein bisschen Eitelkeit ist wohl auch im Spiel. Nicht umsonst erinnert der Boxring auch an eine Bühne.

Übrigens stehen die Jungs, die sich an diesem Abend dem Training angeschlossen haben, den Frauen an Eitelkeit in nichts nach. Sie rufen einander sinnige Sprüche zu wie: »Zeig ihm mal den Türsteher-Haken«. Dass auch Frauen in ihrem Verein boxen, finden sie »schon in Ordnung«. Gibt es Unterschiede? Kati meint, dass die Männer eher darauf aus sind, ihren Gegner k.o. zu schlagen. »Frauen wollen dagegen mehr zeigen, was sie können.« Doch an Aggressivität mangelt es auch den Boxerinnen nicht: »Das kommt schließlich ganz auf die Frau an.«

Beim Sparring stehen sich Karen und Kati im Ring gegenüber. Plötzlich gehen sie aufeinander los. Aua! Das tat bestimmt weh. Doch Kati scheint nichts gemerkt zu haben, und der Kampf geht weiter. Immer wenn ein Schlag tatsächlich ein bisschen zu hart gelandet ist, folgt ein »Tschuldige« und ein Abschlag der Fäuste. Über Schmerzen scheint man allgemein in dieser Sportart nicht allzu viele Worte verlieren zu wollen. Beim Frauenboxen ist es eine ungeschriebene Regel, dass man die Brust der Gegnerin vermeidet. »Manchmal kriegt man da zwar doch einen Schlag ab, aber das ist eigentlich kein Problem«, meint Sabrina. Und sonst? Klar, ein blaues Auge kann schon mal vorkommen. »Aber im Kampf bist du so konzentriert, dass du überhaupt keine Schmerzen spürst«, erklärt die Berliner Meisterin Kati - und die muss es ja wissen. Ein bisschen mehr Hingabe, ein bisschen mehr Ehrgeiz als bei »normalen« Freizeit-Sportlerinnen ist den Fünfen anzumerken.

Trainer Kühn meint, dass man beim Boxen einfach ehrgeizig sein muss: »Der Anfang ist hart. Aber du musst deine Hausaufgaben beim Training gemacht haben, sonst kriegst du Keile, wenn es ernst wird.« Außerdem kommt man ohne Ehrgeiz als Pionierin in einer solchen Männerdomäne wie dem Boxen wohl auch nicht besonders weit.

Als ich gehe, sagt der Trainer: »Also dann bis Freitag. Um 18 Uhr ist Training.« Haben sie mich angesteckt, ohne dass ich es gemerkt habe?