Arrivederci, ver.di?

Auf dem Weg in die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft gibt es Ärger: ÖTV-Funktionäre wollen ihre Posten nicht abgeben.

Wenn eine Abstimmung vier zu eins ausgeht, kann man eigentlich von einem eindeutigen Ergebnis sprechen. Mit vier zu einer Stimme wurde im Gründungsvorstand der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) die Forderung der ÖTV abgelehnt, die »Eckpunkte für das Zielmodell« neu zu verhandeln. Dazu kursiert derzeit ein Zwölf-Punkte-Papier, das der geschäftsführende Hauptvorstandes verfasst hatte.

Die angestrebte Dezentralität der neuen Organisation geht einigen Funktionären der ÖTV zu weit. Sie bevorzugen starke Gesamtvorstände - und wollen die 13 Fachbereiche möglichst klein halten. Das Gespenst von der »Gewerkschaft in der Gewerkschaft« geht in der ÖTV um. Postgewerkschaft, HBV, IG Medien und die nicht dem DGB angehörende Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) haben sich nun gegen die ÖTV verbündet und dessen Forderungen nach Neuverhandlungen abgelehnt.

Durchsetzen können sie sich damit noch lange nicht. Denn eigentlich sei die Abstimmung eins zu eins ausgegangen, kontern jetzt ÖTV-Funktionäre: Die mit 1,6 Millionen Mitgliedern zweitgrößte DGB-Gewerkschaft bringt genauso viele Mitglieder in die neue Organisation ein wie die vier Partnerinnen zusammen. Jetzt hängt der Haussegen schief. Die ÖTV gefährde den ver.di-Prozess, hört man unisono aus den anderen Gewerkschaften.

Bisher galt als Konsens, dass die ÖTV nicht - wie das die IG Metall mit der Textil- und Holzgewerkschaft getan hat - die anderen Gewerkschaften schluckt. In einem gleichberechtigten Prozess sollte etwas ganz Neues entstehen. Nun soll nach dem Willen der ver.di-Gegner in der ÖTV alles so bleiben, wie es nie war. »Es kommt Trauer über den Verlust der ÖTV auf«, heißt es in dem ÖTV-Papier. Zwar hat der Gewerkschaftstag im November letzten Jahres dem ver.di-Prozess zugestimmt. Doch das »Ja« war an viele »Abers« geknüpft.

So haben hauptsächlich die ÖTV-Kreisgeschäftsführer mit dem geplanten dezentralen Aufbau von ver.di Probleme. Ginge es nach dem Willen dieser Funktionäre, dann spielte die gewerkschaftliche Musik nicht in den 13 Fachbereichen, sondern bei der Gesamtorganisation. Nach Meinung der Verfasser des Papiers fehle der ÖTV im ver.di-Prozess eine klare Perspektive; zudem wird die »Struktur des Eckpunktepapiers und die sich damit abzeichnende Gewerkschaft ver.di nicht akzeptiert«.

»Das Papier der ÖTV ist nicht verhandelbar und muss zurückgezogen werden«, sagt IG-Medien-Sprecher Gerd Kirchgäßner und verweist auf das auch vom ÖTV-Vorsitzenden Herbert Mai mitgetragene Eckpunkte-Papier. Dort ist festgeschrieben, dass ver.di als Matrix-Organisation aufgebaut werden soll. Das heißt, dass es neben Bundes-, Bezirks- und Regional-Vorständen auf horizontaler Ebene 13 Fachbereiche mit eigenen Befugnissen auf vertikaler Ebene geben soll. Diese Fachbereiche sollen autonom über ihre Tarifpolitik und Öffentlichkeitsarbeit bestimmen können. Entsprechend ihrem Mitgliederanteil sollen sie auch über eigene Finanzen verfügen.

»Insbesondere auf der örtlichen Ebene, in den Kreisverwaltungen, wird ein Machtverlust befürchtet«, heißt es dagegen in dem Anti-ver.di-Papier. Gefordert wird, dass die »Strukturen der ÖTV in ver.di fortbestehen« sollen. Michael Sommer, Vizechef der Postgewerkschaft, hält dagegen: »Nicht wir vier Gewerkschaften gehen in einer fünften auf, sondern ver.di ist etwas Neues.«

An diesen Gedanken wollen sich die Kreisgeschäftsführer der ÖTV nicht so recht gewöhnen. Sie repräsentieren die Gewerkschaft auf der untersten Ebene und haben vielerorts durch ihre Verflechtung mit SPD-Kommunalpolitik relativ viel Macht. Damit sich die ÖTV-Struktur nicht spiegelbildlich in ver.di wiederfindet, wurde auch beschlossen, dass die neue Gewerkschaft weniger als die jetzigen 170 ÖTV-Kreise hat: 120 Geschäftsstellen plus einige Nebenstellen sollen geschaffen werden. Weil die Geschäftsführer nicht unbedingt ÖTV-Leute sein müssen, können sich die 170 ÖTV-Fürsten ausrechnen, dass einige nach der ver.di-Gründung überflüssig sein werden. Damit ist auch ein Status-Verlust begründet.

Das sind die eigentlichen Beweggründe, warum derzeit aus der ÖTV so scharf gegen ver.di geschossen wird. Geradezu grotesk ist der Vorwurf, es gebe »an der Basis wenig Informationen«, wie der bisherige ver.di-Prozess gelaufen sei. Wenn auch unzureichend und stets im Sinne von Mai hat das Mitgliederorgan ÖTV-Magazin regelmäßig über ver.di berichtet. Zusätzlich gibt es jede Menge interner Papiere und einen in unregelmäßigen Abständen erscheinenden ver.di-Infodienst für haupt- und ehrenamtliche Funktionäre. Ohnehin wird hier »die Basis« überbewertet. »Das einfache Mitglied will eine funktionstüchtige Gewerkschaft, tarifpolitischen Schutz und Beistand, wenn es Probleme hat. Den Laden am Laufen halten, das ist das Geschäft der Funktionäre«, pflegt IG-Medien-Chef Detlef Hensche zu sagen.

Gut ist es aber auch um den »tarifpolitischen Schutz« bei der ÖTV nicht bestellt: Durch Auslagerung öffentlicher Aufgaben, Umwandlung städtischer Unternehmen in privatwirtschaftliche Einheiten und Deregulierung des öffentlichen Personennahverkehrs schließt die Gewerkschaft quer durch die Republik Verträge ab, die den Gedanken des Bundesangestellten-Tarifvertrags (BAT) konterkarieren. Weil beispielsweise in Hamburg die private Pinneberger Verkehrsgesellschaft 30 Prozent des Stadtverkehrs abdecken darf, kamen die Busfahrer der städtischen Hamburger Hochbahn in die Bredouille: Im privaten Verkehrsgewerbe ist die ÖTV schwach organisiert und hat dort folglich die schlechteren Tarifverträge. Um wettbewerbsfähig zu sein, wurden nun auch die Tarife für die städtischen Busfahrer herabgesetzt.

Ähnliches geschieht im Hamburger Hafen, wo die städtische Lagerhausgesellschaft HHLA zerschlagen und teilprivatisiert wird. Das Tarifniveau gerät ins Wanken. Die Ironie dabei: Der ehemalige ÖTV-Vorsitzende von Hamburg, Rolf Fritsch, ist inzwischen Arbeitsdirektor bei der HHLA. Aber auch die Gewerkschaftslinken unter den Personalräten im Hafen entwickeln sich immer mehr zu Co-Managern und tragen so ziemlich alles mit, was die ÖTV zu verantworten hat.

Warum sollte sich das nach der ver.di-Gründung ändern? Das Argument, durch ver.di werde man durchsetzungsfähiger, ist scheinheilig. Alleine aus schierer Größe bleibt man auch dort schwach auf der Brust, wo sich wegen der Vernachlässigung keine Muskeln bildeten. Auch die IG Metall ist nur noch in der relativ gut organisierten Metall- und Elektroindustrie einigermaßen kampfstark. Im Kfz-Handwerk oder der Heizungs- und Sanitär-Branche sind die Tarifverträge nicht das Papier wert, auf das sie geschrieben sind.

Die Gewerkschaften als »Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals«, wie Karl Marx einst einklagte? Dazu benötigten sie vor allem eine Struktur, die es ermöglichte, »die Massen« zu mobilisieren. Dann würde sich fast jede Programmdebatte erübrigen. Ob aber die vorgesehene ver.di-Struktur dieser Anforderung entspricht, darf allein schon angesichts der Unübersichtlichkeit des Gremien-Wirrwarrs bezweifelt werden.