Ein schwarzer Koffer in Zürich

Das System Kohl war in Wirklichkeit das System BRD: Ein Blick in die Geschichte des westdeutschen Geheimkonten-Wesens.

Der deutsch-französische Elf-Leuna-Deal, die Geldkoffer-Übergaben in der Schweiz, die schwarzen Konten in Luxemburg, Liechtenstein und Zürich - der CDU-Spendenskandal war von Anfang an keine rein deutsche Angelegenheit, sondern reichte weit über die Republikgrenzen hinaus. Je mehr Details auf den Tisch kommen, desto deutlicher wird die europäische Dimension der Affäre.

Und nicht nur das: Seit der Stöpsel gezogen ist und sich der Wasserspiegel im Spendensumpf langsam senkt, tauchen nach und nach die Konturen der deutschen Geheimpolitik im Kalten Krieg auf. Mit dabei: alte Nazis, der Bundesnachrichtendienst, die Staatsbürgerliche Vereinigung, die Hanns-Seidl-Stiftung, die Friedrich-Ebert-Stiftung, portugiesische Sozialdemokraten, spanische Faschisten usw. usf.

Die CDU, nach den sozialistischen Anflügen ihrer Anfangszeit von ihrem ersten Vorsitzenden Konrad Adenauer schon bald zum antibolschewistischen Bollwerk umfunktioniert, hatte noch nie große Probleme damit, sich aus den Kassen von Großfinanz und Kapital finanzieren zu lassen - um das Geld anschließend nutzbringend gegen den Feind im Osten und im eigenen Land zu verwenden.

Die Basis für die guten Kontakte der Partei zu Konzernchefs wurde schon während des Zweiten Weltkriegs gelegt. Ludwig Erhard, damals Leiter des von ihm selbst gegründeten Instituts für Industrieforschung legte bereits 1944 eine Denkschrift vor, in der er seine Vorstellungen von einem Wirtschaftssystem im Nachkriegsdeutschland niederlegte. Zielrichtung: die Beibehaltung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, die Verhinderung von Sozialisierungen und der Erhalt der Macht der Großkonzerne.

Das Papier kursierte bald in den Spitzen der deutschen Industrie und stieß dort auf großes Interesse und Wohlwollen: bei deutschen Herren mit so wohlklingenden und altbekannten Namen wie Friedrich Flick, Philipp Reemtsma, Fritz Jessen (Siemens), Karl Goetz (Dresdner Bank) oder Oswald Rösler (Deutsche Bank).

Erhard sollte schon bald Gelegenheit bekommen, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen - als Wirtschaftsminister unter Adenauer. Die einstigen Nazi-Finanziers hielten beste Kontakte zu der Partei, der sie das maßgeblich zu verdanken hatten.

Der Regierungsantritt der sozialliberalen Koalition 1969 machte neue Geschütze erforderlich. Die Sozialdemokraten sollten so schnell wie möglich wieder aus dem Amt gejagt werden - mit allen Mitteln.

Im Bundestagswahlkampf 1972, den sich die CDU rund 70 Millionen Mark kosten ließ, kam der Partei deshalb ein Konglomerat aus bewährten Nationalsozialisten und Fachleuten aus dem Goebbels-Ministerium zu Hilfe. Sie starteten eine groß angelegte Kampagne gegen Kanzler Willy Brandt. Ausgerechnet diese alten Nazis sorgten sich in Zeitungsanzeigen um die »Sicherheit auch für unsere jüdischen Mitbürger«, welche allein von einer CDU-Regierung gewährleistet werden könne. Wie Bernt Engelmann in seinem »Schwarzen Kassenbuch« nachweist, wurde die Kampagne vor allem von Inhabern mittlerer Industriekonzerne finanziert, die fast alle eine tiefbraune Vergangenheit aufwiesen.

Die großen Konzerne favorisierten in ihrem Bestreben, die CDU wieder an die Macht zu hieven, dagegen die 1954 gegründete Staatsbürgerliche Vereinigung (SV) - eine äußerst effektive Geldwaschanlage: Über angeblich gemeinnützige Vereine in Liechtenstein sowie Konten in der Schweiz und Luxemburg flossen zwischen 1969 und 1980 mehr als 200 Millionen Mark am Fiskus vorbei in die Kassen der CDU.

Auch die hessische CDU-Spendenaffäre hängt offenbar mit der SV zusammen. Nachdem die Geldquelle nach den Enthüllungen des Flick-Skandals Anfang der Achtziger versiegt war, existierten auf diversen Konten noch immer zweistellige Millionenbeträge. Vieles deutet darauf hin, dass die angeblichen »Erbschaften aus jüdischen Vermögen« der hessischen CDU in Wahrheit diese Restposten der SV waren, die sich der rechte Landesverband um Dregger, Kanther und Konsorten unter den Nagel riss.

Eines der Konten, über das die SV in den siebziger Jahren die Spenden an die CDU abwickelte, war bei der Schweizerischen Bankgesellschaft (heute die Union des Banques Suisses, UBS) angelegt. Nach 1980 lag es fast zehn Jahre brach, bis der CDU-Steuerberater Horst Weyrauch wieder auf das Konto aufmerksam wurde und es zum Grundstein der Schwarzen Konten von Helmut Kohl machte. Denn auch nach dem Flick-Skandal wurde die CDU weiterhin großzügig mit Finanzspritzen versorgt. Nach Angaben des CDU-Finanzberaters Uwe Lüthje erhielt die Partei allein zwischen 1989 und 1992 zehn Millionen Mark. Das Geld sei jeweils von Walther Leisler Kiep in Zürich kassiert und dann über die Grenze geschmuggelt worden.

Woher dieses Geld stammt, ist weiterhin ebenso unklar wie die Quelle diverser weiterer Zahlungen an die Christdemokraten. Allerdings tauchen nach und nach immer mehr Namen von mutmaßlichen Spendern auf: So soll laut Lüthje der Siemens-Konzern um das Jahr 1990 herum eine Million Mark an Kiep übergeben haben. So wie es sich gehört: im schwarzen Koffer in Zürich. Der Münchner Medienmogul Leo Kirch soll wiederum zu den anonymen Spendern gehören, denen der Ehrenmann Kohl sein »Ehrenwort« gegeben hat. Das wird vom Ex-Kanzler zwar dementiert, es wäre jedoch mehr als erstaunlich, wenn Kirch seinem Busenfreund Kohl nicht finanziell unter die Arme gegriffen hätte.

Schließlich verdankt er ihm alles: Die Zulassung von Privaten Rundfunkanstalten im Jahre 1984 durch die Kohl-Regierung machte den Aufstieg des rechtskonservativen Filmhändlers zum Herren über unzählige Firmen und Fernsehkanäle sowie den Springer-Konzern überhaupt erst möglich. Immer wieder setzte sich Kohl auch persönlich für Kirch ein: unter anderem bei der Deutschen Telekom, um Kirchs d-box als Standard für das digitale Fernsehen durchzusetzen. Ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Kirch hat sein Imperium dazu genutzt, Kohl politisch zu fördern - durch einseitige Berichterstattung und sogar eine eigene Kohl-Sendung: »Zur Sache, Kanzler« auf Sat.1.

Wie die Enthüllungen der vergangenen Woche zeigen, hat jedoch auch die SPD längst gelernt, geheime Kassen für politische Interessen einzusetzen - und wie das zu den Sozialdemokraten passt, ging es dabei um den Kampf gegen Links, nicht gegen Rechts: Als 1974 das faschistische Regime in Portugal durch die Nelkenrevolution gestürzt wurde und die Kommunisten immer einflussreicher wurden, richtete die Schmidt-Regierung einen Geheimfonds im Etat des BND ein, berichtete die Süddeutsche Zeitung. Das Geld sollte dazu dienen, »die Demokratie zu fördern«, also die Kommunisten zurückzudrängen.

Mit insgesamt 53 Millionen Mark wurde der Fonds zwischen 1974 und 1982 ausgestattet - das Geld floss nicht nur nach Portugal, sondern auch nach Spanien und in die Türkei. Die Millionen wurden jedoch nicht direkt vom BND in die betreffenden Staaten transferiert, sondern an die Bundestagsparteien ausgezahlt. Diese sollten damit dann ihre Schwesterparteien in den jeweiligen Ländern unterstützen.

Die SPD tat das mit einigem Erfolg: In Portugal und auch in Spanien kamen bald die so genannten Sozialisten an die Regierung. Und in der Türkei regiert heute mit Bülent Ecevit der einstige Vorsitzende der »Republikanischen Volkspartei« CHP, die bis heute von der Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD unterstützt wird - auch wenn Ecevit inzwischen seine eigene »Demokratische Linkspartei« gegründet hat.

Die CSU nutzte das BND-Geld, wie zu erwarten, um die spanischen Faschisten nach ihrem Machtverlust wieder zu stärken: Günstling war vor allem der rechtsextreme Manuel Fraga Iribarne. Und auch das 1977 von der Hanns-Seidel-Stiftung gegründete Institut für Sozialstudien - ein Sammelbecken für Falangisten und alte Franco-Freunde - gehörte zu den Endverbrauchern der BND-Millionen.

Die CDU dagegen wirtschaftete schlecht mit dem Geheimdienstgeld: Die katalanische Partei, die von der CDU unterstützt wurde, blieb bedeutungslos. Vielleicht haben die Christdemokraten das Geld lieber in die eigene Tasche gesteckt - was die Parteien mit den Millionen anstellten, wurde nämlich niemals kontrolliert. Und übrigens: Auch die SPD hat nach Angaben der Süddeutschen Zeitung Anfang der achtziger Jahre einige dubiose Finanzspritzen in Millionenhöhe erhalten, deren Herkunft bis heute ungeklärt ist.