Hand im Schritt

Leipzig ist Spitzenreiter bei der Video-Überwachung von Straßen und Plätzen.

Es begann mit Plakaten des Neuen Forums. »Haben Sie gerade Ihre Hand im Schritt?« wollten die Leipziger Bürgerrechtler Anfang Dezember wissen. »Einer sieht es«, hieß die Antwort eine Zeile tiefer: Mit dem Plakat sollte gegen die Kamera-Überwachung des Connewitzer Kreuzes im Leipziger Süden protestiert werden.

Mittlerweile bezieht sich selbst der Leipziger Polizeisprecher Günther Pusch auf diese indiskrete Frage: Die Kamera liefere doch lediglich Übersichtsbilder, wehrt er alle Kritik ab. Selbst beim Heranzoomen sei die Kamera so ungenau, dass »man keine Hand erkennen« könne - »geschweige denn, was sie gerade tut«.

Mit dem Trend zur platzübergreifenden Überwachung nimmt Leipzig bundesweit eine Vorreiterrolle ein. Die neue Kamera im Süden der Stadt ist bereits die zweite ihrer Art, zwei weitere Standorte werden derzeit geprüft. Und wahrscheinlich sind sie auch nicht die letzten: Ende Januar erst forderte der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung, Joachim Jacobi, eine gesetzliche Absicherung des staatlichen Filmens.

Die sächsischen Kommunen brauchen darauf gar nicht mehr zu warten: Auch in Dresden wird seit letztem Jahr die City-Einkaufsmeile überwacht. Ermöglicht wurde dies durch eine Gesetzes-Änderung des sächsischen Landtags 1996. Schneller waren da nur die Niedersachsen: Bereits 1995 ließen vier niedersächsische Kommunen Kameras in Fußgänger-Unterführungen installieren. Anderswo sitzt man derweil noch in den Startlöchern. So werden in Hessen und in Bremen entsprechende Gesetzesänderungen vorbereitet.In Berlin ist in den letzten Wochen eine Video-Überwachung diskutiert worden, die Pläne liegen aber vorerst auf Eis.

Seit Anfang Dezember gehört auch das sachsen-anhaltinische Halle zu den Städten mit Filmrecht. Mit einem Schönheitsfehler allerdings: In Sachsen-Anhalt fehlt dafür die gesetzliche Grundlage. Der Hallenser Bundestagsabgeordnete Roland Claus (PDS) beantragte deshalb im Dezember eine Einstweilige Verfügung, die jedoch am 17. Januar vom Hallenser Verwaltungsgericht abgelehnt wurde. Begründung: Da »nur überwacht«, nicht jedoch »aufgezeichnet« werde, seien auch die Persönlichkeitsrechte der Passanten nicht ernstlich gefährdet.

Das sieht der stellvertretende PDS-Fraktionsvorsitzende im Magdeburger Landtag, Matthias Gärtner, anders. Das Projekt sei nicht nur »teuer und unsinnig, sondern auch verfassungsrechtlich äußerst bedenklich«. Die Kameras sollten wieder demontiert werden. Dass die Landesregierung Nachfragen zur rechtlichen Grundlage bisher auswich, liegt wohl an der anstehenden Änderung von Sachsen-Anhalts Sicherheits- und Ordnungsgesetz. Innenminister Manfred Püchel (SPD) und die CDU sind für die Observation, Teile der SPD-Fraktion und die PDS dagegen.

Zur Begründung der öffentlichen Späh-Angriffe hört man überall dieselben Argumente: Die Kameras sollten helfen, Kriminalität einzudämmen und das Sicherheitsgefühl der Bürger zu stärken. Auch der Hallenser Oberbürgermeister Klaus Rauen (CDU) deutet nur anklagend auf die Kamera-Kritiker: Da sehe man mal wieder, wer etwas für die öffentliche Sicherheit tue und wer nicht.

Dass in Leipzig ausgerechnet das Connewitzer Kreuz überwacht wird - der Verkehrsknotenpunkt des als Hochburg der autonomen Szene geltenden Stadtteils - macht klar, dass es um Wichtigeres geht als um einfache Kriminalitätsbekämpfung. Mit einer Kampagne hat daher die AG Öffentliche Räume des Leipziger Bündnisses gegen Rechts auf den zunehmenden Sicherheitswahn reagiert: Ende Januar fand die erste Demonstration gegen die Kamera am Connewitzer Kreuz statt. Die Polizei beantwortete den Protest mit einem Großaufgebot weiterer Kameras.

Nun haben die Organisatoren für jeden Werktag Demonstrationen angekündigt; viel Hoffnung auf Erfolg machen sie sich trotzdem nicht: Versuche, die Bevölkerung über die Gefahren eines Überwachungsstaats aufzuklären, seien eigentlich zwecklos. Es sei »regelrecht deprimierend, was sich die Leute heute alles gefallen lassen«, klagt eine der Aktivistinnen.

Doch nicht nur in der linken Szene hat man Probleme mit der Video-Überwachung öffentlicher Räume. Auch der Geheimdienst- und Überwachungs-Kritiker Rolf Gössner diagnostiziert eine Kollision mit dem Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung. Derartige Kritik wird in der Regel mit dem Argument zurückgewiesen, dass das Recht, nicht Opfer von Kriminalität zu werden, höher zu bewerten sei. Auch verweisen Überwachungsbefürworter wie Leipzigs Ordnungsamtschef Uwe Wassermann gern auf die Tausenden von Kameras in Kaufhäusern oder Bahnhöfen, die bisher auch niemanden gestört hätten.

Dabei überschreiten private Sicherheitsfirmen ihre Befugnisse nicht nur, wenn sie öffentliche Bereiche per Video observieren. Auch für die Übergabe privat aufgezeichneter Daten an die Behörden gibt es keine Rechtsgrundlage - und doch findet sie täglich und regelmäßig statt. So nutzen etwa Bundesgrenzschutz (BGS) und Ordnungsbehörden das Kamerasystem der Deutschen Bahn AG auf Bahnhöfen mit. Der sächsische Datenschutzbeauftragte Thomas Giesen findet das zwar auch »nicht völlig bedenkenfrei«, hält die Rechtslage aber »im Wesentlichen für geklärt«. Da fällt es schon fast nicht mehr auf, dass die 100 000 Mark für die Kamera in Dresden nach einem Bericht des Spiegel von einem ortsansässigen Kaufhaus spendiert wurden.

Britische Verhältnisse - in Großbritannien sind manche Städte komplett im Blickfeld der Objektive - will Datenschützer Giesen, der jede Überwachung öffentlicher Plätze absegnen muss, zwar nicht. Hinter den Kamera-Projekten der Ordnungsbehörden steht er trotzdem - und beruhigt Skeptiker damit, dass die Polizei ja gar nicht genügend Kräfte habe, um flächendeckend zu überwachen.

Auch Wassermann beteuert immer wieder, dass die Stadt keine flächendeckende Überwachung plane - kein Wunder, ist daran doch schon die Stasi gescheitert. Unabhängig davon hatte er noch im letzten Jahr angekündigt, die Kamera bei guter Führung wieder zu entfernen. Doch Mitte Januar meldete die Leipziger Volkszeitung etwas ganz Anderes: Weil sich so überwältigend viele Bürger durch die Kamera sicherer fühlten, werde weiter überwacht.