Der Schriftsteller Faradsch Sarkuhi zur Fischer-Reise in den Iran

»Die nächste Krise kommt«

Kaum haben bei den iranischen Wahlen die islamischen Reformer um Staatspräsident Mohammad Khatami die Mehrheit errungen, fliegt der deutsche Außenminister Joseph Fischer nach Teheran. Demnächst soll Khatami zu einem Besuch nach Deutschland kommen. Der iranische Schriftsteller Faradsch Sarkuhi verbrachte unter dem Schah acht Jahre im Gefängnis. 1996 wurde er erneut verhaftet, 1997 wegen Verunglimpfung des Staates zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Auf internationalen Druck kam Sarkuhi wieder frei und konnte im Mai 1998 nach Deutschland reisen, wo er heute im Exil lebt.

Der deutsche Außenminister Joseph Fischer ist vergangene Woche in die Islamische Republik Iran gereist. Ist das die Fortsetzung einer langen Freundschaft, die lediglich kurz unterbrochen war?

Bereits bevor der Reformprozess im Iran eingesetzt hat, habe ich immer betont, dass ich den Ausbau wirtschaftlicher, politischer und kultureller Kontakte zwischen dem Iran und dem Westen unterstütze. Daher beurteile ich die Reise von Joschka Fischer, die ja dem Ausbau dieser Beziehungen dient, als positiv; besonders, da Fischer mit den iranischen Machthabern auch über Menschenrechtsfragen gesprochen hat. Wir wissen noch nicht, welche Fragen angesprochen wurden, inwieweit Fischer Druck ausgeübt hat und ob dies zu Ergebnissen geführt hat.

Beziehungen zwischen Staaten wird es immer geben, ob wir dies befürworten oder nicht. Im Vordergrund steht dabei: Inwieweit können die westlichen Regierungen die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen nutzen, um den Schutz der Menschenrechte und den Ausbau kultureller Beziehungen zu fördern? Die meisten Despotien in Entwicklungsländern wollen ihre Beziehungen zu den Industrieländern aufbauen, um dies zur Stabilisierung ihrer eigenen Macht zu nutzen. Auf der anderen Seite sind sie nicht bereit, Menschenrechtsfragen anzugehen. Auch auf dem Gebiet der kulturellen Beziehungen versuchen sie, die Kontakte auf die Regierung unterstützende Intellektuelle zu beschränken. Wir müssen darauf bestehen, dass Menschenrechte universelle Gültigkeit haben und kein Privileg der westlichen Länder sind. Ich hoffe, dass Fischer dies bei seinen Besprechungen getan hat.

Also keine eurozentrischen Forderungen, kein Imperialismus der Menschenrechte ...

Im Iran sprechen nicht nur Fundamentalisten, sondern auch religiöse Reformer von islamischen Menschenrechten und islamischer Demokratie. In Wirklichkeit sprechen sie nicht von der Kultur, sondern von der herrschenden Ideologie. Sie haben eine theokratische Regierung geschaffen. Die iranische Bevölkerung hat dies nicht akzeptiert. Die iranische Kultur hatte schon immer offene Türen zu den Kulturen der Welt, nicht nur kulturell, sondern auch politisch und wirtschaftlich. Leider akzeptieren auch einige Politiker und Intellektuelle in Europa unter dem Vorwand der Verschiedenheit der Kulturen die Einstellungen dieser despotischen Herrscher. Die iranische Kultur steht nicht im Widerspruch zu den Menschenrechten. Seit einem Jahrhundert kämpft die iranische Bevölkerung für Demokratie. Man darf Kultur einfach nicht mit der Ideologie der Regierung gleichsetzen.

Haben Sie von Fischer erwartet, dass er den Dialog mit einer Diktatur wiederaufnimmt?

Die Geschichte und Entwicklung der Grünen und Fischers selbst wecken bei mir große Erwartungen zu Menschenrechtsfragen. Allerdings kann kein Land und keine Regierung in einem anderen Land wirkliche Veränderungen bewirken, diese müssen immer von der einheimischen Bevölkerung ausgehen. Aber Europa und besonders Deutschland, die enge wirtschaftliche Beziehung zum Iran haben, können beim Ausbau von Demokratie und Menschenrechten im Iran großen Einfluss nehmen. Ein demokratischer Iran ist für die Sicherheit im Nahen und Mittleren Osten und den Aufbau beständiger wirtschaftlicher Beziehungen besser als eine Diktatur.

Unter der Vorgängerregierung von Rot-Grün hat Fallachian, der damalige Minister der Sicherheitspolizei, Deutschland besucht; es fanden Gespräche statt. Später wurde bekannt, dass Fallachian Terrorakte in Deutschland und die Morde an Intellektuellen im Iran in Auftrag gegeben hatte. Die Verhandlungen waren somit auf lange Sicht keine Hilfe für die deutschen Interessen. Von Fischer erwarte ich, dass er klare Forderungen zu den Menschenrechten stellt und diese dann auch verfolgt: Freiheit für politische Gefangene und Dissidenten, mehr Rechte für Frauen, Religionsfreiheit - insbesondere für die Bahai, deren Religion im Iran verboten ist -, Zulassung von politischen Parteien und NGOs, Meinungsfreiheit und Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte durch die internationale Gemeinschaft. Im Iran dürfen sich die Menschenrechtskommission der UN und Amnesty International nicht betätigen. Schon vor vielen Jahren hat Teheran zugestimmt, dass Maurice D. Copithorne jedes Jahr in den Iran reisen und einen Bericht zur Menschenrechtslage für die UN verfassen kann. Einige Male wurde ihm die Einreise erlaubt, seit vier Jahren wird sie ihm verweigert. Wenn Fischer dies nun einfordern würde, stellte das auch keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes dar.

Wie müsste eine strategische Politik gegenüber dem Iran aussehen?

Der Iran steht momentan zahlreichen Problemen gegenüber: Es gibt Widersprüche zwischen Tradition und Moderne, zwischen Despotie und Demokratie, es gibt eine wirtschaftliche Krise, und die Regierung versucht, der Bevölkerung ideologische und moralische Klischees aufzuzwingen.

Politisch stehen sich vier Richtungen gegenüber: Zum einen gibt es die Fundamentalisten und dann die Technokraten und Bürokraten, eine Gruppe um den vorigen Präsidenten Rafsandjani, die die Privatisierung unterstützt, gleichzeitig aber die Kontrolle durch eine starke Regierung fordert. Zum anderen haben wir religiöse Reformer, die Khatami unterstützen und im neuen Parlament die Mehrheit stellen. Sie wollen Reformen innerhalb des Rahmens des islamischen Systems und der Verfassung und geben eine modernere Interpretation des Islam als die Fundamentalisten. Des weiteren gibt es die liberale Bewegung, die für Demokratie und die Trennung von Religion und Regierung eintritt.

Man sollte auf der einen Seite die religiösen Reformer gegenüber den Fundamentalisten unterstützen, aber auf der anderen Seite auch die demokratischen Kräfte stärken. Wenn man nur die religiösen Reformer unterstützt und die liberalen Kräfte vernachlässigt, übersieht man die Wünsche der Mehrheit der Bevölkerung und die bevorstehende Entwicklung. Bisher sind die liberalen Kräfte in Iran zu keiner Wahl zugelassen und dürfen sich nicht politisch betätigen. Dies wird sich unter dem Druck der Bevölkerung jedoch ändern.

Sofern dieser Druck nicht von Khatami kanalisiert wird ...

Die Reformen, die im Iran politisch und kulturell durchgeführt wurden, sind durch den Druck der Bevölkerung ausgelöst worden. Die Menschen haben in den letzen zwanzig Jahren gegen die theokratische Regierung Widerstand geleistet: So haben Iranische Frauen von Anfang an gegen die Zwangsverschleierung gekämpft, und sei es nur, um ein paar Haarsträhnen unter dem Kopftuch herausschauen zu lassen. Und das, obwohl sie mit Peitschenhieben rechnen mussten.

Die Reformer versprechen, sich nicht mehr so stark in das Privatleben der Bevölkerung einzumischen, die Bevölkerung fordert eine völlige Aufhebung der Kontrolle. Die Reformer wollen Parteien zulassen, die die Verfassung anerkennen, die Bevölkerung will die Zulassung aller Parteien. Die Reformer wollen ihre Reformen unter Beibehaltung der Verfassung durchführen, die Bevölkerung wünscht die Modifizierung der Verfassung. Die Reformer sagen, dass sie Frauen mehr Rechte einräumen werden, die Frauen selbst fordern die Aufhebung der geschlechtsspezifischen Diskriminierung. Die Bevölkerung verlangt die Trennung von Religion und Herrschaft und den Erlass von Gesetzen durch das gewählte Parlament und nicht auf Basis des Korans. In den letzten zwei Jahren hat die Bevölkerung die Regierung durch ihren Widerstand dazu gebracht, zurückzustecken.

Im neuen Parlament haben die Reformer die Mehrheit. Sie stehen vor der Frage, ob sie unabhängige Parteien, die keinem Flügel der Regierung angehören, zulassen sollen oder nicht. Dazu wäre eine Modifizierung der Verfassung nötig. Der Bruder von Khatami hat nach seiner Wahl als Parlamentsabgeordneter betont, dass eine Modifizierung der Verfassung nicht auf der Tagesordnung steht. Die Bevölkerung wird ihren Widerstand nicht aufgeben - eine politische Krise ist programmiert.

Die Heinrich-Böll-Stiftung veranstaltet im April eine Iran-Konferenz. Die eingeladenen Referenten sind Khatami-nahe Kräfte und Intellektuelle, die ihn unterstützen wollen. Säkulare und demokratische Kräfte fehlen. Was nützt ein solcher Kulturdialog?

Ein Kulturdialog ist sehr positiv, wenn er alle Gruppierungen und Denkrichtungen einschließt. Ist er selektiv, ist dies weniger gut. Meiner Meinung nach darf kultureller Dialog nicht mit politischen Zielen und Programmen vermischt werden. Die Instrumentalisierung von Kultur für politische Zwecke ist gefährlich.