Die Pathologin Helena Ranta über das angebliche Massaker von Racak

»Ich werde Racak neu untersuchen«

Es war der 15. Januar 1999: Glaubt man der Anklageschrift des Haager Kriegsverbrechertribunals, so kam es an diesem Tag zu einem »Mord an 45 kosovo-albanischen Zivilisten« - ausgeführt von Sicherheitskräften Jugoslawiens und Serbiens. In einem special report der OSZE hieß es nur wenige Tage später, dass viele der Opfer aus »extremer Nahdistanz erschossen« worden seien. Geschehen sein soll das angebliche Massaker - von dem der deutsche Außenminister später sagen sollte, es sei für ihn »der Wendepunkt« gewesen - in Racak, einem Dorf unweit der Provinzhauptstadt Pristina. Ein Jahr nach dem Beginn des Nato-Angriffs auf Jugoslawien mehren sich nun die Anzeichen, dass es in Racak kein Massaker gegeben hat. Der deutsche OSZE-Beobachter Henning Hensch äußerte letzte Woche in den »Tagesthemen«, die »von uns als Massaker dargestellten Vorgänge« seien »eigentlich militärische Auseinandersetzungen gewesen«. Und plötzlich tauchen auch Schreiben wieder auf, die der Öffentlichkeit lange nicht zugänglich waren: Die forensischen Autopsie-Protokolle eines finnischen Pathologen-Teams unter der Leitung von Helena Ranta. Aus ihnen geht hervor, dass es keine Hinweise auf Hinrichtungen in Racak gibt. Im Gegenteil: Nur bei einem Opfer seien Spuren entdeckt worden, die auf einen Schuss aus »relativer Nähe« deuten könnten. »There was no evidence of contact discharge or close-range firing«, heißt es in dem Bericht zu den anderen Toten.

Die deutsche Regierung scheint Ihren bisher geheimen Bericht über das so genannte Massaker von Racak nun der Öffentlichkeit übergeben zu haben. In der Berliner Zeitung wird vermutet, dass Ihr Bericht die offizielle Geschichtsschreibung zu Racak und den Folgen über den Haufen wirft ...

... oh, die Deutschen waren das? Das muss ich mal mit meinem Außenministerium abklären. Ich dachte bisher, ich hätte das Problem selbst verursacht, und habe mich lange gefragt, wie es wohl möglich sei, dass Teile meines Berichtes plötzlich in Zeitungen stehen.

Die Veröffentlichung Ihres Berichtes hat einiges Aufsehen erregt, weil plötzlich überall Wissenschaftler auftauchen, die aus Ihrem Bericht die Interpretation ableiten, das Massaker von Racak sei gar kein Massaker gewesen. Haben Sie das so gemeint?

Ich bin jetzt wieder im Kosovo, um abermals die Vorgänge von Racak zu untersuchen. Vielleicht ist das die wichtigste Botschaft, die ich Ihnen übermitteln kann. Ich muss erst wieder nach Finnland zurückfahren und muss mir die Berichte aus deutschen Medien ganz genau ansehen. Sie werden verstehen, dass ich jetzt nicht viel mehr dazu sagen kann. Ich muss sicherstellen, dass ich jetzt nicht schon wieder missinterpretiert werde.

Werden Sie denn falsch interpretiert?

Das glaube ich nicht, denn ich habe keine Ahnung, was gerade in Deutschland und anderswo über unseren Bericht geschrieben wird. Ich bin jetzt seit einer Woche wieder hier.

Der Gerichtsmediziner Klaus Püschel sagte einer deutschen Zeitung, er interpretiere Ihren Bericht so, dass es keine Erschießungen aus nächster Nähe in Racak gegeben habe und daher die Annahme, es handele sich um ein Massaker oder um Hinrichtungen, nicht zutreffe.

Das ist eine Interpretation von jemandem, den ich nicht kenne. Und ich weiß nicht, wer ihm meinen Bericht gezeigt hat, damit er so etwas daraus schließen kann. Es ist aber extrem gefährlich und unprofessionell, so etwas zu interpretieren. Aber wie gesagt - ich muss da zuerst einmal den vollständigen Text und das Interview lesen. In meiner Presseaussendung habe ich niemals etwas über Entfernungen geschrieben. Wichtig ist alleine, dass ich jetzt wieder hier bin.

Wie kommen dann die deutschen Medien darauf, so etwas zu schreiben?

Das weiß ich nicht. Der Reporter der Berliner Zeitung war hier, hat aber nie mit mir gesprochen. Er wollte - das haben mir Sicherheitsleute gesagt - auch direkt nach Racak fahren, aber der Zutritt wurde ihm verweigert. Ich wurde also von niemandem hier im Kosovo interviewt.

In dem Interview mit der Berliner Zeitung sagt der deutsche Pathologe auch, dass aus Ihrem Bericht hervorgehen würde, dass die Leute nicht direkt in Racak, sondern woanders getötet wurden und sie möglicherweise bewegt wurden. Steht das so in Ihrem Bericht?

Oh. Nun, ich weiß nicht, wo er seine Informationen herbekommt. Ich weiß nicht, wie er darauf kommt. Ich würde da wesentlich vorsichtiger sein. Alle Schlüsse wie diese sind gefährlich.

Warum sollen sie gefährlich sein?

Nochmals: Ich weiß nicht, was da vorgeht. Ich habe nur von Menschen in Finnland gehört, dass es einen oder zwei Artikel gab. Wenn ich nach Hause komme, werde ich wesentlich gescheiter sein. Die ganze Situation ist sehr verwirrend für mich. Die Berliner Zeitung hat ja wohl auch geschrieben, ich stehe unter Druck der Nato und die würde bestimmen, was ich sage oder nicht sage und wie ich es sage. Das war eine der Hauptbotschaften. Eine Freundin in Finnland hat mich gefragt: »Soll ich bei der Berliner Zeitung anrufen und ihnen sagen, dass du dich nicht unter Druck setzen lässt?«

Also stehen Sie nicht unter Druck?

Natürlich bin ich unter Druck, aber mir befiehlt keiner, was ich sagen soll oder nicht sagen soll. Ich treffe meine Entscheidungen unabhängig und ich bin unparteiisch. Ich werde diese Politik fortsetzen.

Also ist auch die Interpretation falsch, dass die Leichen bewegt wurden?

Aber nein. Wir wissen, dass die Leichen bewegt wurden. Da besteht kein Zweifel. Aber lassen Sie uns wieder miteinander sprechen, wenn ich zurück in Finnland bin. Dann kann ich Ihnen wesentlich mehr sagen.