Deutsche Nationalmannschaft

Adler auf der Brust

Erich Ribbeck macht es möglich: Die Feinde der deutschen Nationalmannschaft können sich auf ein frühes Aus des Teams bei der Europameisterschaft freuen.

Davon, welche Wörter sie ihren Lesern zumuten können, haben die Macher der Bild sehr genaue Vorstellungen. Die meisten aber der im Blatt verpönten Ausdrücke gehören durchaus zum normalen Wortschatz der User. Bei Bild behilft man sich daher mit der Pünktchenlösung: Wann immer Worte wie Scheiße, ficken oder ähnliches unerlässlich zu sein scheinen, druckt man nur den ersten Buchstaben und ersetzt den Rest durch schlichte Punkte.

Wenn Bild jedoch plötzlich, entgegen aller Tradition, auf eben diese Punkte verzichtet, und das auch noch in einer Headline, dann muss die Lage wirklich mehr als beschissen sein. Und so war es dann auch am 28. April dieses Jahres: »Dieses Trikot ist euch doch scheißegal«, titelte das Blatt. »Ihr rennt doch nur, wenn's um dicke Kohle geht.« Gemeint waren die deutschen Fußball-Nationalspieler, die in einem grauenvollen Freundschaftsspiel gegen die schweizerischen Kader-Kicker gerade mal so und auch nur durch ein eigentlich irreguläres Tor ein 1:1 geschafft hatten.

Solche Schlagzeilen hatte man beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) eigentlich verhindern wollen und sich deswegen für die letzten Testspiele vor der Europameisterschaft zweitklassige Gegner ausgesucht. Wohl wissend, dass der gemeine Fan der National-Elf nichts lieber sieht als hohe Siege gegen hilflose Amateur-Fußballer - vor allem vor anstehenden internationalen Wettbewerben. Der aus solchen Kanter-Siegen resultierende Optimismus schlägt sich dann nämlich im massenhaften Erwerb des offiziellen Nationalmannschafts-Zubehörs nieder, was für den DFB ein gutes Geschäft und für antideutsche Ästheten die Hölle ist.

Und dann das, ausgerechnet gegen die Schweiz, gegen die man in den letzten 44 Jahren eigentlich immer gewonnen hatte. »Ich sehe mir lieber einen alten Rambo-Film zum fünften Mal an als ein Länderspiel. Bei Rambo weiß ich jedenfalls, dass er bis zum Schluss kämpft«, beschwerte sich denn auch Leser Thorsten G. aus Höxter umgehend bei Bild und meinte wahrscheinlich, dass er Rambo im Gegensatz zur deutschen Fußball-Nationalmannschaft deswegen so klasse findet, weil der immer gewinnt. Dabei übersah er, dass es sich bei diesem Spiel doch eigentlich um ein für deutsche Fußball-Nationalmannschaften normales Spiel gehandelt hatte. Eines, in dem man halt herumdaddelte - und am Ende durch Glück und Schiedsrichter-Hilfe doch noch halbwegs erfolgreich war.

Aber Glück haben reicht zur Zeit einfach nicht mehr. Das Publikum erwartet mindestens ehrlich erkämpfte Siege, und deswegen ist Fußball-Deutschland nach der Pseudo-Niederlage gegen die Schweiz ernsthaft böse. Als erster offizieller Kritiker meldete sich kurz nach dem Abpfiff ausgerechnet der Ex-Nationalspieler Paul Breitner zu Wort. Dem Mann, der es schon seit Jahren in unnachahmlicher Weise versteht, jede Kritik an der National-Elf wie ein Bewerbungsschreiben zu formulieren, war nach Hans-Hubert Vogts' Ausscheiden vom DFB zuerst der Job als National-Trainer angeboten worden. Weil Breitner daraufhin gleich das Maul zu weit aufriss, wurde dieses Angebot vom Verband nicht weiter aufrecht erhalten. Und nun witterte Paule eine neue Chance.

Damit steht er nicht allein. Auch Mario Basler versuchte in einem Interview mit Bild vom Unentschieden gegen die Schweiz zu profitieren: »Ich bin bereit! Erich Ribbeck muss nur über seinen Schatten springen und mich anrufen. Es muss sich einfach was ändern bei der EM«, erklärte er, denn »ich bin nie zurückgetreten. Für mich wäre es eine Ehre, bei der EM zu spielen.« Wie auch für Thomas Häßler, einen weiteren Alt-Star, der das Durchschnittsalter der Nationalmannschaft noch einmal nach oben drücken würde. Dabei hatte man beim DFB nach der Fußball-WM vor zwei Jahren noch mit dem Gedanken gespielt, wie die Franzosen, jungen Talenten mit möglichst nichtdeutschen Eltern, eine Chance zu geben. Diese Chance sah meist so aus, dass die U-35-Kicker während eines Freundschaftsspiels 30 bis 45 Minuten Gelegenheit erhielten, ihr Können zu zeigen. In dieser Zeit wurde von den Newcomern aber nicht nur exzellente Zuspiele, entscheidende Pässe und atemberaubende Kunststücke erwartet, sondern auch Tore. Was natürlich nicht klappte.

Nun versucht man es wieder mit den etablierten Stars. Auch ohne Erfolg. Oder, wie es der Sportinformations-Dienst sid ausdrückte: »Das war die Karikatur eines Länderspiels. Das einzig zu erkennende Konzept des Trainers ist Konzeptlosigkeit.« Der Daily Telegraph ergänzte: »Englands EM-Gegner sah phasenweise aus, als hätte er noch nie zusammen gespielt. Es ist kaum zu sehen, wie der kritisierte Trainer Erich Ribbeck die wohl schlechteste deutsche Mannschaft seit Menschengedenken bis Juni in einen ernsthaften Konkurrenten verwandeln kann.«

Das weiß der kritisierte Trainer selbst auch nicht. Zumal ihm mit Uli Stielicke ein Assistent an die Seite gestellt wurde, der eher gegen ihn als für ihn arbeitet. Wofür Erich Ribbeck nichts kann, denn es war der DFB, der Stielicke ungewollt fies verarscht hatte. Denn nur der kennt den feinen Unterschied zwischen Team-Chef und Trainer, und so wähnte sich wegen eines Verständnisproblems Stielicke ungefähr eine Stunde lang als alleiniger Coach der Nationalmannschaft und nicht als Assistent von Erich Ribbeck. Er gab damals, wohl sehr geschmeichelt, Interviews, in denen er der Presse seine Pläne näher erläuterte. Weil er dabei einen karierten Anzug trug, wurde er sofort zur Witzfigur - obwohl er die Nachricht, dass Ribbeck der Chef sein würde, später sehr gefasst aufnahm und sofort versicherte, dann eben mit ihm ein schlagkräftiges Team aufbauen zu wollen.

Erich Ribbeck zeigte jedoch wenig Fingerspitzengefühl, der Eindruck des aufgeblasenen Gernegroß blieb bestehen, und Stielicke steht nach wie vor als der Idiot da - obwohl sich sein Vorgesetzter kaum besser präsentiert. Schwache Spiele schön zu reden schafft Ribbeck ebenso mühelos wie sein Vorgänger, und einen übergeordneten Plan scheint er auch nicht zu haben. Den Bayern-Kicker Jens Jeremies suspendierte er, weil der es gewagt hatte, den Zustand der National-Elf in einem Interview als »jämmerlich« zu bezeichnen. Vor dem Spiel gegen die Schweiz hatte er die nach Vogts' selbstgedichteten Versöhnungsappellen schon allerhand gewohnten Journalisten mit der ernst gemeinten Forderung verblüfft, sie sollten doch lieber »mal im Vorfeld Positives« schreiben »anstatt hinterher Kritik zu üben«.

So redet man sich um den Job, auch wenn man in der Vergangenheit große Erfolge als Coach erzielen konnte. Nach dem »qualvollen Remis« (Corriere della Sera) bzw. der »erstklassigen Blamage« (Hamburger Morgenpost) gegen die Schweiz forderte ARD-Kommentator Reinhold Beckmann vom DFB folgerichtig: »Hoffentlich macht er jetzt das Richtige!« So sahen das auch die Zuschauer von Sat.1, die am letzten Wochenende per Teletext-Umfrage zu 80 Prozent einen neuen Übungsleiter forderten.

Egidius Braun, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, ist jedoch niemand, der so einfach Leute entlässt. »Wir sind dabei, unser Ansehen zu verlieren«, erklärte er zwar unmittelbar nach dem Schweiz-Spiel, ließ sich dann jedoch drei Tage später ins ZDF-Sportstudio einladen, um gemeinsam mit dem Boss von Bayer Leverkusen und ehemaligen Ribbeck-Chef Rainer Calmund darauf hinzuweisen, dass Erich Ribbeck einen sehr guten Job mache und nicht so kurz vor der EM ausgewechselt werde. »Ich bin lange genug im Profigeschäft und weiß, was los ist, wenn der Präsident sich öffentlich vor den Trainer stellt. Was bei normalen Bundesliga-Vereinen ein völlig eindeutiges Signal an den erfolglosen Trainer ist - endlich den Hausstand zu packen und sich ans Telefon zu hängen, um einen neuen Arbeitsplatz zu suchen -, bedeutet im DFB-Sprech traditionsgemäß nur, dass man am bisherigen Coach festhält.

Und das ist auch gut so. Denn Trainerwechsel führen meistens, außer beim MSV Duisburg, zu ungeahnten Konsequenzen. Wenn Ribbeck aber bleibt, dann könnten diejenigen, die die deutsche Nationalmannschaft hassen, ausnahmsweise eine sorgenfreie EM genießen. Nicht nur, weil einschlägige Charaktere wie der 1860-Coach Werner Lorant nach dem Desaster in Kaiserslautern verkündeten: »Der deutsche Fußball hat seinen Charakter verloren. Ich sehe in der Mannschaft keinen Siegeswillen. Wenn ein Länderspiel mit Adler auf der Brust nichts mehr wert ist, dann bin ich kein Deutscher mehr!«

Sondern auch, weil vielleicht dieses eine Mal ein Fußball-Traum wirklich in Erfüllung gehen könnte. Fußball-Deutschland könnte dieses Mal tatsächlich schon in der Vorrunde rausfliegen, und dann wäre es auch denjenigen, die das Nationalteam hassen, endlich einmal möglich, einen internationalen Wettbewerb entspannt zu verfolgen, ohne jedes Mal einen Elfmeter-Pfiff oder eine ungerechte Freistoß-Entscheidung des zweifellos gekauften Unparteiiischen befürchten zu müssen. Zeit wär's.